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Minister, allenfalls sogar zu noch schwereren Fol-
gen kommen können.
Wenn demnach die für eine Regierung aus
dem Versuch, einen mit einer fremden Macht ab-
geschlossenen Staatsvertrag auf nicht gesetzlichem
Weg zur Durchführung zu bringen, sich ergeben-
den Schwierigkeiten sehr große, ja mitunter sehr
gefährlicher Natur sind, so ergeben sich anderseits
aus der Nichterfüllung der Vertragsverbindlich-
keiten, welche dem Ausland gegenüber in aller
Form übernommen wurden, nicht minder üble
Folgen. Denn dadurch, daß die parlamentarischen
Körperschaften eines Landes einen Staatsvertrag,
zu dessen Abschluß die vollziehende Gewalt des-
selben ohne vorher einzuholende Zustimmung der
Kammern berechtigt war, nicht genehmigen oder
die zur Durchführung der Bestimmungen desselben
notwendigen Mittel verweigern, hört der einmal
geschlossene Vertrag nicht auf, dem andern Ver-
tragschließenden gegenüber für die Staatsregie-
rung völkerrechtlich verbindlich zu sein. Ja es
befindet sich die letztere unter solchen Umständen
in einer peinlicheren und in jeder Art weit schlim-
meren Lage als in den Fällen, in welchen der
Staatsvertrag ohne Zustimmung der Stände
überhaupt gar nicht zustande kommen kann. In
diesen Fällen ist es möglicherweise eine arge Bloß-
stellung der Staatsgewalt, daß sie nicht imstande
ist, die im Vertrag enthaltenen Versprechungen,
auf deren Erfüllung sie dem andern Staat sichere
Aussichten machte, zur Ausführung zu bringen.
Es gereicht ihr im internationalen Verkehr keines-
wegs zur Ehre, daß sie so wenig Voraussicht
hatte und zu wenig Einfluß besaß, um die von
ihr eingegangenen Verpflichtungen zum Vollzug
gelangen zu lassen. Eine eigentliche Verbindlich-
keit aber gegen das Ausland ist in solchen Fällen
noch nicht vorhanden, somit ist auch kein Anlaß
zu direkten schweren Verwicklungen internatio-
naler Natur gegeben.
Anders verhält sich die Sache, wenn sich eine
Staatsregierung einer andern gegenüber vertrags-
mäßig gebunden hat. Dadurch mußte in dem
Vertragsgegner der Glaube erweckt werden, sie sei
auch imstande, ihr gegebenes Wort einzulösen.
Ja schon die Tatsache, daß die Verfassung des
betreffenden Landes dem Staatsoberhaupt als
Inhaber der vollziehenden Gewalt die Befugnis
einräumt, sich andern Staaten gegenüber durch
Staatsverträge zu binden, ohne dazu der vor-
herigen Genehmigung der verfassungsmäßigen
Landesvertretung zu bedürfen, muß bei den andern
Mächten die Meinung erwecken, daß in der par-
lamentarischen Vertretung des betreffenden Landes
im allgemeinen die Uberzeugung herrsche, es würde
die vollziehende Gewalt und die von ihr mit der
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten des
Staats betrauten Behörden diese Angelegenheiten
in einer Weise ordnen, daß an der nachträglichen
Genehmigung der von ihnen getroffenen Ab-
machungen durch die Kammer, wenigstens was
Staatsverträge.
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die wesentlichen Punkte dieser letzteren anlangt,
nicht gezweifelt werden dürfe. So ergibt sich für
eine Staatsregierung, die sich trotz der Anwen-
dung aller Mittel außerstande sieht, wegen ver-
weigerter Zustimmung der verfassungsmäßigen
Landesvertretung einen von ihr gültig abgeschlos-
senen internationalen Vertrag zur Ausführung zu
bringen, eine mehr oder minder bedenkliche, auf
alle Fälle jedoch eine höchst peinliche Lage. Zu-
nächst wird vielleicht die Folge solcher Vorgänge
ein Ministerwechsel sein. Sodann wird sich die
neue Regierung auf das angelegentlichste bemühen
müssen, den Vertragsgegner im Weg diplomati-
scher Verhandlungen zum Aufgeben der ihm aus
dem abgeschlossenen Vertrag zustehenden Rechts-
ansprüche oder mindestens zur Verzichtleistung
auf einen Teil dieser Ansprüche zu bewegen. Wenn
das aber nicht gelingt und die Regierung sich
außerstande sieht, die Verfassung des ihr anver-
trauten Landes zu verletzen, sei es nun daß sie aus
Gewissenhaftigkeit davor zurückschreckt, oder sei es
daß sie vermeint, der infolge eines Verfassungs-
bruches zu befürchtenden Schwierigkeiten nicht
Herr zu werden, so können die ernstesten inter-
nationalen Verwicklungen sich ergeben, und es
stehen Abbruch der diplomatischen Beziehungen
zwischen den betreffenden Staaten, die Anwendung
von Gegenmaßregeln, z. B. die Belegung der
Einfuhr aus dem wortbrüchigen Staat mit drücken-
den Zollsätzen, die Beschlagnahme von demselben
gehörigen Gütern und andere dergleichen unlieb-
same Maßregeln in Aussicht. Auch ist das Ein-
treten eigentlicher kriegerischer Verwicklungen durch-
aus nicht ausgeschlossen. Die Nichtausführung
eines gültig abgeschlossenen Staatsvertrags stellt
sich auf alle Fälle als eine sehr ernstliche Be-
schwerde im völkerrechtlichen Verkehr dar. Mäch-
tige und auf die Wahrung ihrer Ehre eifersüchtige
Staaten nehmen den Bruch eines mit ihnen ab-
geschlossenen Staatsvertrags möglicherweise nicht
hin, ohne auf einer gehörigen Genugtuung zu
bestehen, oder falls eine solche nicht gewährt wird,
sich in anderer Weise Recht zu verschaffen. An-
gesichts so ernster Gefahren werden vielleicht die ver-
fassungsmäßigen Volksvertretungen der Staaten,
in welchen sich ein bis dahin unüberwindlicher
Widerstand gegen die Ausführung eines mit einer
andern Macht abgeschlossenen Übereinkommens
erhob, nicht auf ihrem ablehnenden Standpunkt
beharren, sondern einen mehr oder minder ehren-
vollen Rückzug antreten, um mittels eines wenn
auch bedeutenden Opfers das größere Unheil eines
drohenden Kriegs abzuwenden. Der Ausgang
derartiger internationalen Konflikte wird sich
übrigens natürlich großenteils einerseits nach der
Wichtigkeit der ins Spiel kommenden Interessen,
anderseits nach der Machtstellung der betreffenden
Staaten und den Charaktereigenschaften der die-
selben bewohnenden Völker sowie auch nach den-
jenigen der maßgebenden Staatsmänner richten.
Sache des vertragschließenden Teils ist es natür-