Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1193 
seine Zweckmäßigkeit; das Rechtsgefühl empfindet! 
eine Genugtuung, wenn eine gemeinschädliche 
Handlung durch Gesetz als solche gebrandmarkt? 
und gestraft wird, wenn auch die Strafe nicht in 
jedem Fall zur Anwendung gebracht werden kann 
(Caro S. 34 f; Lexis S. 908, 918). Übrigens 
bleibt die Wirkung der strafrechtlichen Behandlung 
des Wuchers auf die moralische Genugtuung für 
die öffentliche Meinung nicht beschränkt. So wer- 
den beispielsweise die Wirkungen des deutschen 
Gesetzes als günstig bezeichnet, wenn es natürlich 
auch den Wucher nicht völlig ausrotten konnte. 
„Die wucherische Ausbeutung war doch wieder 
gesetzlich gebrandmarkt, und die Gerichte hatten für 
sie keine Schergendienste zu verrichten. Die jähr- 
liche Zahl der Anklagen und Verurteilungen war 
ohne Zweifel im Verhältnis zu den tatsächlich 
vorkommenden Wucherfällen nur klein, aber es 
war doch wohl als ein günstiges Anzeichen zu be- 
trachten, daß sie ziemlich stetig abnahm“ (Lexis, 
S. 918). 
Wuchergesetze können ihrem Zweck nur ent- 
sprechen, wenn sie dem Strafrichter eine möglichst 
genaue Bestimmung des Wucherdelikts an die Hand 
geben. Proteusartig und aalglatt wandelt und 
windet sich der Wucher, um, in einer Rechtsform 
gefaßt, eine andere einzugehen. Wenn irgendwo, 
so ist hier eine möglichst genaue Determination 
der abstrakten naturrechtlichen Prinzipien durch 
die positive Gesetzgebung notwendig (Pesch, Zins- 
grund 411). Nachdem in den meisten modernen 
Staaten die staatliche Zinsgrenze beseitigt war, 
mußte man für den Begriff des Wuchers andere 
Merkmale als die Höhe des Zinsfußes zu gewinnen 
suchen, die „unabhängig von diesem gewisser- 
maßen mechanischen Merkmal“ (Lexis S. 908) 
waren. Der Wucher wird in die Ausbeutung der 
Notlage, des Leichtsinns usw. verlegt, die unter 
Berücksichtigung des Risikos im einzelnen Fall in 
der Uberschreitung des veränderlichen landes- 
üblichen Zinsfußes erblickt oder aber als den wirt- 
schaftlichen Ruin des Schuldners herbeizuführen 
geeignet betrachtet wird. 
Die Gegner der Zinsbeschränkungen machen 
unter anderem geltend, der Zinsfuß bestimme sich 
durch Angebot und Nachfrage auf dem Kapital- 
markt; unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen 
sei darum die Festlegung der Zinsgrenze unge- 
rechtfertigt, die vielleicht angängig gewesen sei, so- 
lange für die feste Anlage von Leihkapitalien nur 
Rentenkauf und Hypothekdarlehen zur Verfügung 
standen. Seitdem sich aber der moderne Börsen- 
verkehr in Staatspapieren und andern börsen- 
gängigen Schuldverschreibungen ausgebildet habe, 
lasse sich mit den alten Beschränkungen nichts 
mehr erreichen. Wenn auch der Börsenkurs völlig 
sicherer Staatspapiere einen zuverlässigen Anhalt 
für die Feststellung des Zinsfußes bei den besten 
Kapitalanlagen biete, um das Zinsmaximum etwa 
um den Satz von 1% höher als für erststellige 
Hypotheken festzusetzen, so wäre doch nach Lexis 
Wucher und Zins. 
1194 
eine solche Maßregel ohne praktische Bedeutung, 
da der Wucherer sich mit derartigen soliden Ge- 
schäften nicht befasse. „Wenn der Wucherer aber 
die Unerfahrenheit des Kreditbedürftigen aus- 
beutet, um von demselben trotz voller hypothe- 
karischer Sicherheit des Darlehens einen über- 
mäßigen Zins zu verlangen, so läßt sich die Uber- 
vorteilung des Schuldners aus der Überschreitung 
des tatsächlich berechtigten landesüblichen Zinses 
für gute Anlagen ebenso gut beurteilen, als wenn 
kn gese gesetzlicher Maximalsatz gegeben wäre“ (Lexis 
07). 
Vom Standpunkt der absoluten Freiwirtschaft 
läßt sich kein Verständnis für ein Zinsmaximum 
gewinnen. Nach dieser Theorie wird jeder um so 
besser seinen Vorteil wahrnehmen, je weniger sich 
die Staatsgewalt in seine wirtschaftliche Tätig= 
keit einmischt. Deshalb meint Lexis (S. 906), 
vom Standpunkt des „bürgerlichen“ Prinzips der 
„Wirtschaftlichkeit" sei nichts einzuwenden, wenn 
der Geldgeber sich für seine Leistung unter Be- 
nützung aller ihm günstigen Umstände eine mög- 
lichst hohe Gegenleistung verschaffe, auch wenn 
diese durch das mit der Leistung verbundene Risiko 
nicht gerechtfertigt sei. Aber auch das Prinzip der 
Wirtschaftlichkeit hat seine Grenze, wo es mit der 
moralischen Ordnung in Konflikt kommt. 
Der entscheidende Einwand gegen die gesetzliche 
Fixierung des ist aber nach Lexis der, 
daß die große Verschiedenheit des 
Risikos bei den gänzlich außer acht ge- 
lassen werde. Bei aleatorischen Darlehen gebe es 
gar keine Grenze für das Risiko, daher könne 
selbst ein ganz enormer Zins nach dem Prinzip 
der Gleichheit der Spieleinsätze und der Gewinn- 
chancen noch vollberechtigt sein (ebd.). Aber solche 
Ausnahmen machen das Zinsmaximum keineswegs 
unberechtigt; bei allen Gesetzen kommt der große 
Durchschnitt der Fälle in Betracht. Die Berech- 
tigung einer exorbitant hohen Zinsforderung müßte 
eben im speziellen Fall durch das ausnehmend 
hohe Risiko begründet werden. Das wird, wo es 
sich um Geschäftsunternehmungen handelt, wohl 
nicht allzu schwierig sein. Ubrigens sällt es dem 
Wucherer gar nicht ein, sein Geld aufs Spiel zu 
setzen. Trotz hinreichender Deckung durch Pfand 
usw. sucht er sein Opfer auszupressen. — Ebenso- 
wenig kann gegen gesetzliche Zinsschranken geltend 
gemacht werden, daß es unmöglich sei, ihre Um- 
gehung zu verhindern. Denn jedes Gesetz muß 
mit der Möglichkeit rechnen, daß manche sich seinen 
Vorschriften zu entziehen suchen. 
Aus der gesetzlichen Beschränkung des Zins- 
sußes und der Bestrafung seiner Überschreitung 
ergebe sich, so wird weiter eingewendet, der weitere 
Übelstand, auf den die Gegner der Wuchergesetze 
stets besonderes Gewicht gelegt haben, daß die an- 
ständigen Kapitalisten sich von jenen Geschäften 
zurückzögen, bei denen wegen des großen Risikos 
ein den gesetzlichen Satz überschreitender Zinsfuß 
vollkommen gerechtfertigt sei, und daß sich nun die 
    
   
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.