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bündeten Regierungen sowohl wie im Reichstag
wurde den Bestimmungen betr. das Heilverfahren
eine ganz besondere Bedeutung beigemessen. Ein-
mal bezweckt es, dem Versicherten die Gesundheit
zu erhalten bzw. wiederzugeben und ihn damit zu
befähigen, in ausreichender Weise für seine Fa-
milie zu sorgen und seine ganze Kraft für seinen
Beruf und damit für die Allgemeinheit einzusetzen,
anderseits bedeutet das Heilverfahren eine Lei-
stung, welche der Angestelltenschaft nicht erst nach
kürzerer oder längerer Wartezeit, sondern schon
im ersten Jahr von seiten der Versicherungsanstalt
zugute kommen wird. Zunächst sind für diesen
Zweck 7,5 Mill. M ausgeworfen. Diese Summe
kann aber aus andern zur Verfügung des Ver-
waltungsrats stehenden Mitteln bis auf etwa
20 Mill. Ak erhöht werden. Das ist eine Summe,
mit der sich nach den bei der Invaliden- und Hin-
terbliebenenversicherung gemachten Erfahrungen
Außerordentliches leisten läßt.
An Stelle der Barleistungen an Ruhegeld= und
Rentenberechtigte können auch Sachleistungen
treten (§§ 44 ff). Darunter ist die Unterbringung
der Berechtigten in einem Invaliden= oder Waisen-
haus zu verstehen. Die Aufnahme, welche auf
Antrag der Rentenberechtigten erfolgt, verpflichtet
ihn auf ein Vierteljahr. Trunksüchtigen können
ebenfalls Sachleistungen gewährt werden. Das
muß geschehen auf Antrag des beteiligten Armen-
verbands oder der zuständigen Gemeindebehörde.
Bei entmündigten Trunksüchtigen ist die Zustim-
mung des Vormunds erforderlich. Die Sach-
leistung kann auch durch Aufnahme in eine Trinker-
heilanstalt oder mit Zustimmung der Gemeinde
durch Vermittlung einer Trinkerfürsorgestelle ge-
währt werden.
4) Als weitere Leistungen des Gesetzes sind zu
erwähnen die Erstattung von Beiträgen
(§§ 60 f) bzw. die Gewährung einer
Leibrente (§ 62). Stirbt eine weibliche Ver-
sicherte nach Ablauf der Wartezeit von 60 Bei-
tragsmonaten vor Eintritt in den Genuß eines
Ruhegelds oder einer Leibrente, und besteht kein
Anspruch auf Hinterbliebenenrenten, so ist auf
Verlangen die Hälfte der für die Versicherte bis
zu ihrem Tod eingezahlten Beiträge als Abfin-
dung zurückzugewähren. In diesem Fall sind
nacheinander anspruchsberechtigt der Ehegatte, die
Kinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister,
wenn sie mit der Versicherten zur Zeit ihres Todes
in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von
der Versicherten wesentlich aus ihrem Arbeitsver-
dienst unterhalten worden sind. Der Anspruch
muß innerhalb eines Jahrs nach dem Tod geltend
gemacht werden. Statt der Abfindung kann dem
Berechtigten eine lebenslängliche Rente
gewährt werden. Scheidet eine weibliche Ver-
sicherte nach Ablauf der Wartezeit für das Ruhe-
geld infolge Verheiratung aus einer versicherungs-
pflichtigen Tätigkeit aus, so steht ihr ein Anspruch
Privatbeamtenversicherung.
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Beiträge zu. Damit sind weitere Ansprüche an
die Versicherung ausgeschlossen. Den weiblichen
Versicherten kann aber auch auf Antrag an Stelle
der freiwilligen Fortsetzung der Versicherung oder
der Aufrechterhaltung der erworbenen Anwart-
schaft oder der Erstattung von Beiträgen eine
Leibrente gewährt werden, deren Höhe sich
nach dem Wert der erworbenen Anwartschaft auf
Ruhegeld und nach dem Alter der Antragstellerin
richtet. — Die Leistungen nach diesem Gesetz sind
keine öffentlichen Armenunterstützungen (8 92).
III. Fräger der Persicherung ist die in
Berlin zu errichtende Reichsversicherungsanstalt,
welche eine öffentliche Behörde darstellt. Ihre
Organe sind das Direktorium, der Verwaltungs-
rat, die Rentenausschüsse, die Vertrauensmänner.
In allen Organen ist die Mitwirkung der Ver-
sicherten vorgesehen und durch das Gesetz bestimmt.
Das Direktorium vertritt die Reichsversiche-
rungsanstalt gerichtlich und außergerichtlich und
hat die Stelle eines gesetzlichen Vertreters. Es
besteht aus einem Präsidenten und der erforder-
lichen Anzahl von beamteten Mitgliedern, sowie
aus je zwei Vertretern der versicherten Angestellten
und ihrer Arbeitgeber. Präsident und beamtete
Mitglieder sowie die höheren etatsmäßigen Be-
amten werden auf den Vorschlag des Bundesrats
vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Der Ver-
waltungsrat besteht aus dem Präsidenten des
Direktoriums oder seinem Stellvertreter als Vor-
sitzenden und mindestens je zwölf Vertretern der
versicherten Angestellten und ihrer Arbeitgeber.
Nach Bedarf kann der Reichskanzler deren Zahl
erhöhen. Die Vertreter der Arbeitgeber werden
von den Arbeitgebervertretern unter den Ver-
trauensmännern, die übrigen von den Angestellten-
vertretern unter den Vertrauensmännern gewählt.
Der Rentenausschuß hat Nuhegeld, Rente
und Abfindung festzustellen und anzuweisen, Ruhe-
geld und Rente zu entziehen und einzustellen,
Anträge auf Einleitung des Heilverfahrens ent-
gegenzunehmen und dieses vorzubereiten, in An-
gelegenheiten der Angestelltenversicherung Auskunft
zu erteilen. Bei richterlichen Entscheidungen dürfen
als Beisitzer nur Männer mitwirken. Die Ver-
trauensmänner wählen die Beisitzer für die
Rentenausschüsse, für die Schiedsgerichte, für das
Oberschiedsgericht und für den Verwaltungsrat.
Sie selbst werden je zur Hälfte aus den Ver-
sicherten —. auch den weiblichen —, die nicht
Arbeitgeber sind, und aus den Arbeitgebern der
versicherten Angestellten gewählt. Wahlberechtigt
sind volljährige Deutsche. Gewählt wird nach den
Grundsätzen der Verhältniswahl. Die Ver-
trauensmänner verwalten ihr Amt ebenso wie die
Versicherungsvertreter im Verwaltungsrat und im
Rentenausschuß unentgeltlich als Ehrenamt.
IV. Organe der Riechtsprechung. Recht-
sprechende Organe sind in höherer Instanz die
Schiedsgerichte und das Oberschiedsgericht. Die
auf Erstattung der Hälfte der für sie geleisteten Schiedsgerichte nehmen nach den Vorschriften