153
Kulturländern zutage. In England sind die
Ausgaben der Lokalbehörden von 29 852 Mill. im
Jahr 1867/68 auf 139 118 Mill. Pfund Ster-
ling im Jahr 1904/05 und auf den Kopf der
Bevölkerung berechnet von 27,63 auf 80,32 Mge-
stiegen. Im Jahr 1904/05 übertrafen die ge-
samten Aufwendungen der Lokalverwaltungen mit
zusammen 163.8 Mill. diejenigen des Staats um
36,1 Mill. Pfd. Sterl. Ahnlich haben sich die
Verhältnisse auch in Frankreich und Italien ent-
wickelt. Die Finanzverwaltungen der Welthaupt-
städte haben mit größeren Summen zu operieren
als manches Königreich. Im Deutschen Reich be-
trugen 1907 die Ausgaben sämtlicher Städte und
Landgemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern
1976 Mill. Al., das sind 120 Mill. mehr als die
ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben sämt-
licher Bundesstaaten ohne Preußen. Von dieser
Summe entfiel weitaus der größte Teil, nämlich
452,6 Mill., auf die Verwaltung der städtischen
Betriebe, 342 Mill. wurden für Bildung und
Kunst, 282 Mill. für Zinsen und Schuldentil-
gung, 195 Mill. für die Bauverwaltung, 157 Mill.
für die allgemeine Verwaltung, 156,4 Mill. für
die Armenverwaltung, 74 Mill. für die Polizei,
55 Mill. für die Kämmerei-, 37 Mill. für die
Steuerverwaltung und 225 Mill. für sonstige
Zwecke (Wohlfahrtseinrichtungen der verschieden-
sten Art) aufgewendet. Die größten Ausgaben-
etats hatten 1907 aufzuweisen die Städte:
Berlin 159,082, Frankfurt a. M. 110,548,
Düsseldorf 103,515, Essen a. d. R. 58,908,
Dresden 57,378, München 49,058 Mill. Mr.
Der Haushaltsplan der Stadt Leipzig schließt für
das Jahr 1911 in Einnahme und Ausgabe mit
fast 61¼ Mill. Ak ab gegenüber 24,7 im Jahr
1900, 14,4 im Jahr 1890, 6.1 im Jahr 1880
und 2,6 Mill. AI im Jahr 1870. Eine ähnliche
Entwicklung ist bei allen größeren deutschen
Städten zu beobachten.
Daß die Städte zur Erfüllung ihrer stets
wachsenden und oft recht kostspieligen Aufgaben
mit den Einnahmen aus ihrem eignen Ver-
mögen, Steuern und Gebühren, Zuschüssen von
Staat und Stiftungen usw. auf die Dauer nicht
auskommen konnten, sondern teilweise in erheb-
lichem Grad Anlehensmittel in Anspruch nehmen
mußten, darf wohl auf Grund des Vorgetragenen
nicht wundernehmen. In Deutschland wurde der
Schuldenstand der Gemeinden mit mehr als
10000 Einwohnern für 1907 auf 5260 Mill. J
berechnet, derjenige der Gemeinden bis 10 000 Ein--
Städtewesen, modernes.
154
Geldmarkts in Form von Kursverlusten entstehen,
wird schon seit Jahren eine Zentralisation
des Kommunalkredits in der Weise an-
gestrebt, daß an Stelle der verschiedenen Anleihen
der einzelnen Städte ein oder einige wenige ein-
heitliche Papiere, an Stelle der Obligationen der
einzelnen Städte eine Stadtobligation treten
sollen. Die Errichtung einer Kommunalbank (in
Form einer Aktiengesellschaft) bildet seit 1908 den
Gegenstand eingehender Erhebungen und eifriger
Beratungen im deutschen Städtetag, welchem
gegenwärtig 165 Städte mit mehr als 20 000 Ein-
wohnern mit einer Gesamteinwohnerzahl von 18½
Mill., und 10 Städteverbände als korporative
Mitglieder angehören; es stehen aber dem Pro-
jekt noch so erhebliche Schwierigkeiten finanzieller
und öffentlich -rechtlicher Art entgegen, daß an
eine Verwirklichung vorerst nicht zu denken ist.
Seit 1. April 1910 besteht jedoch in Düsseldorf
eine Geldvermittlungsstelle für den vor-
übergehenden Austausch verfügbarer Barmittel
zwischen den größeren Städten. Statutengemäß
können sich ihr alle deutschen Städte mit über
80 000 Einwohnern anschließen. Die Tätigkeit der
Vermittlungsstelle besteht darin, daß sie die kredit-
suchenden mit den kreditanbietenden Städten in
Verbindung bringt. Gebühren werden nicht er-
hoben; es zahlt jedoch jede angeschlossene Stadt
einen Verwaltungskostenbeitrag von 10 MK jähr-
lich. Bis jetzt haben sich 54 Städte der Stelle
angeschlossen, die schon im ersten Jahr ihres
Bestehens eine außerordentlich umfangreiche Ver-
mittlungstätigkeit entfalten konnte.
III. Verfasung und Berwaltungsorgani-
sation der Städte. Die Städte des Mittelalters
erfreuten sich einer weitgehenden Selbständigkeit
sowohl auf politischem wie wirtschaftlichem Ge-
biet, die sie zu kleinen Staaten in dem immer ohn-
mächtiger werdenden Reich und in den noch nicht
erstarkten landesherrlichen Territorien gemacht
hatte. Als aber mit dem Vordringen des fürst-
lichen Absolutismus im 17. Jahrh. die Landes-
herren neben der außer= und innerpolitischen Für-
sorge sich auch die Pflege und Förderung der
wirtschaftlichen Interessen ihrer Untertanen, ins-
besondere von Handel und Gewerbe, angelegen
sein ließen, und die Lehren der eudämonistischen
Staatsphilosophie, welche die oberste Aufgabe des
Staats darin erblickte, durch unmittelbares Ein-
greifen in alle Verhältnisse des öffentlichen, und
wenn nötig, auch privaten Lebens das „Glück“ des
Volks herbeizuführen, in Theorie und Praxis zur
wohner auf 1265 Mill. k. Der gesamte Schulden= Herrschaft gelangten, verloren die Städte ihre
dienst erforderte 285,8 Mill. AI. Der größte Teil selbständige Stellung und Verwaltungstätigkeit
der Anlehen entfällt auf die gewerblichen Betriebe und sanken in der Hauptsache zu bloßen Verwal-
der Gemeinden und verzinst sich von selbst, be= tungsorganen der zentralisierten Staatsgewalt
lastet also nicht die Steuerzahler. Die Schulden herab. Eine neue Periode beginnt für die deut-
werden überall getilgt.
Um die Nachteile zu beheben, welche den
Städten aus der Zersplitterung des Anleihe-
wesens und der ungeregelten Inanspruchnahme des
schen Städte erst mit der Städteordnung
des Freiherrn v. Stein vom 19. Nov. 1808.
Dieser geniale Entwurf, welcher als Teil der
großen Stein-Hardenbergschen Verwaltungs-