Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Kulturländern zutage. In England sind die 
Ausgaben der Lokalbehörden von 29 852 Mill. im 
Jahr 1867/68 auf 139 118 Mill. Pfund Ster- 
ling im Jahr 1904/05 und auf den Kopf der 
Bevölkerung berechnet von 27,63 auf 80,32 Mge- 
stiegen. Im Jahr 1904/05 übertrafen die ge- 
samten Aufwendungen der Lokalverwaltungen mit 
zusammen 163.8 Mill. diejenigen des Staats um 
36,1 Mill. Pfd. Sterl. Ahnlich haben sich die 
Verhältnisse auch in Frankreich und Italien ent- 
wickelt. Die Finanzverwaltungen der Welthaupt- 
städte haben mit größeren Summen zu operieren 
als manches Königreich. Im Deutschen Reich be- 
trugen 1907 die Ausgaben sämtlicher Städte und 
Landgemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern 
1976 Mill. Al., das sind 120 Mill. mehr als die 
ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben sämt- 
licher Bundesstaaten ohne Preußen. Von dieser 
Summe entfiel weitaus der größte Teil, nämlich 
452,6 Mill., auf die Verwaltung der städtischen 
Betriebe, 342 Mill. wurden für Bildung und 
Kunst, 282 Mill. für Zinsen und Schuldentil- 
gung, 195 Mill. für die Bauverwaltung, 157 Mill. 
für die allgemeine Verwaltung, 156,4 Mill. für 
die Armenverwaltung, 74 Mill. für die Polizei, 
55 Mill. für die Kämmerei-, 37 Mill. für die 
Steuerverwaltung und 225 Mill. für sonstige 
Zwecke (Wohlfahrtseinrichtungen der verschieden- 
sten Art) aufgewendet. Die größten Ausgaben- 
etats hatten 1907 aufzuweisen die Städte: 
Berlin 159,082, Frankfurt a. M. 110,548, 
Düsseldorf 103,515, Essen a. d. R. 58,908, 
Dresden 57,378, München 49,058 Mill. Mr. 
Der Haushaltsplan der Stadt Leipzig schließt für 
  
das Jahr 1911 in Einnahme und Ausgabe mit 
fast 61¼ Mill. Ak ab gegenüber 24,7 im Jahr 
1900, 14,4 im Jahr 1890, 6.1 im Jahr 1880 
und 2,6 Mill. AI im Jahr 1870. Eine ähnliche 
Entwicklung ist bei allen größeren deutschen 
Städten zu beobachten. 
Daß die Städte zur Erfüllung ihrer stets 
wachsenden und oft recht kostspieligen Aufgaben 
mit den Einnahmen aus ihrem eignen Ver- 
mögen, Steuern und Gebühren, Zuschüssen von 
Staat und Stiftungen usw. auf die Dauer nicht 
auskommen konnten, sondern teilweise in erheb- 
lichem Grad Anlehensmittel in Anspruch nehmen 
mußten, darf wohl auf Grund des Vorgetragenen 
nicht wundernehmen. In Deutschland wurde der 
Schuldenstand der Gemeinden mit mehr als 
10000 Einwohnern für 1907 auf 5260 Mill. J 
berechnet, derjenige der Gemeinden bis 10 000 Ein-- 
Städtewesen, modernes. 
  
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Geldmarkts in Form von Kursverlusten entstehen, 
wird schon seit Jahren eine Zentralisation 
des Kommunalkredits in der Weise an- 
gestrebt, daß an Stelle der verschiedenen Anleihen 
der einzelnen Städte ein oder einige wenige ein- 
heitliche Papiere, an Stelle der Obligationen der 
einzelnen Städte eine Stadtobligation treten 
sollen. Die Errichtung einer Kommunalbank (in 
Form einer Aktiengesellschaft) bildet seit 1908 den 
Gegenstand eingehender Erhebungen und eifriger 
Beratungen im deutschen Städtetag, welchem 
gegenwärtig 165 Städte mit mehr als 20 000 Ein- 
wohnern mit einer Gesamteinwohnerzahl von 18½ 
Mill., und 10 Städteverbände als korporative 
Mitglieder angehören; es stehen aber dem Pro- 
jekt noch so erhebliche Schwierigkeiten finanzieller 
und öffentlich -rechtlicher Art entgegen, daß an 
eine Verwirklichung vorerst nicht zu denken ist. 
Seit 1. April 1910 besteht jedoch in Düsseldorf 
eine Geldvermittlungsstelle für den vor- 
übergehenden Austausch verfügbarer Barmittel 
zwischen den größeren Städten. Statutengemäß 
können sich ihr alle deutschen Städte mit über 
80 000 Einwohnern anschließen. Die Tätigkeit der 
Vermittlungsstelle besteht darin, daß sie die kredit- 
suchenden mit den kreditanbietenden Städten in 
Verbindung bringt. Gebühren werden nicht er- 
hoben; es zahlt jedoch jede angeschlossene Stadt 
einen Verwaltungskostenbeitrag von 10 MK jähr- 
lich. Bis jetzt haben sich 54 Städte der Stelle 
angeschlossen, die schon im ersten Jahr ihres 
Bestehens eine außerordentlich umfangreiche Ver- 
mittlungstätigkeit entfalten konnte. 
III. Verfasung und Berwaltungsorgani- 
sation der Städte. Die Städte des Mittelalters 
erfreuten sich einer weitgehenden Selbständigkeit 
sowohl auf politischem wie wirtschaftlichem Ge- 
biet, die sie zu kleinen Staaten in dem immer ohn- 
mächtiger werdenden Reich und in den noch nicht 
erstarkten landesherrlichen Territorien gemacht 
hatte. Als aber mit dem Vordringen des fürst- 
lichen Absolutismus im 17. Jahrh. die Landes- 
herren neben der außer= und innerpolitischen Für- 
sorge sich auch die Pflege und Förderung der 
wirtschaftlichen Interessen ihrer Untertanen, ins- 
besondere von Handel und Gewerbe, angelegen 
sein ließen, und die Lehren der eudämonistischen 
Staatsphilosophie, welche die oberste Aufgabe des 
Staats darin erblickte, durch unmittelbares Ein- 
greifen in alle Verhältnisse des öffentlichen, und 
wenn nötig, auch privaten Lebens das „Glück“ des 
Volks herbeizuführen, in Theorie und Praxis zur 
wohner auf 1265 Mill. k. Der gesamte Schulden= Herrschaft gelangten, verloren die Städte ihre 
dienst erforderte 285,8 Mill. AI. Der größte Teil selbständige Stellung und Verwaltungstätigkeit 
der Anlehen entfällt auf die gewerblichen Betriebe und sanken in der Hauptsache zu bloßen Verwal- 
der Gemeinden und verzinst sich von selbst, be= tungsorganen der zentralisierten Staatsgewalt 
lastet also nicht die Steuerzahler. Die Schulden herab. Eine neue Periode beginnt für die deut- 
werden überall getilgt. 
Um die Nachteile zu beheben, welche den 
Städten aus der Zersplitterung des Anleihe- 
wesens und der ungeregelten Inanspruchnahme des 
  
schen Städte erst mit der Städteordnung 
des Freiherrn v. Stein vom 19. Nov. 1808. 
Dieser geniale Entwurf, welcher als Teil der 
großen Stein-Hardenbergschen Verwaltungs-
	        
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