157 Städtewesen, modernes. 158
demokratischeres Wahlrecht (die Sechstelung an Bürgervorsteher, Gemeindebevollmächtigte usw.)
Stelle der Zwölftelung bzw. Neuntelung) unter werden auf Zeit (meist sechs Jahre) gewählt. In
gleichzeitiger Einführung der Verhältniswahl für Preußen muß die Hälfte Hausbesitzer sein. Diese
die Bürgerausschuß- und Gemeinde= (Stadt-) Vorrechtsstellung wird heute als nicht mehr zeit-
ratswahlen mit gebundenen Listen. — Hessen gemäß vielfach bekämpft, weil die Häuser in den
hat eine besondere Städteordnung ebenfalls erst Städten zu sehr Gegenstand der Spekulation ge-
seit 1874, welche auf alle Gemeinden mit mehr worden sind, die Hausbesitzer nur einen verhält-
als 10 000 Einwohnern kraft Gesetzes Anwendung nismäßig kleinen Teil der Wähler ausmachen
findet und auf der gleichen Verfassungsgrundlage und oft nur nominelle Eigentümer ihrer mit Hypo-
beruht wie die Gemeindeordnung. — In Elsaß= theken überlasteten Häuser sind. Um eine das Ge-
Lothringen trat an Stelle der französischen meinwesen schädigende Machtstellung einflußreicher
Rechtsvorschriften die Städteordnung vom 6. Juni Familien und deren Interessenwirtschaft zu ver-
1895. Die Städte mitmehr als 25000 Einwohnern hindern, schränken verschiedene Städteordnungen
und die ihnen gleichgestellten Gemeinden wurden (Preußen, Elsaß-Lothringen) die gleichzeitige
als eine besondere Klasse hervorgehoben und vor Teilnahme mehrerer Familienmitglieder an der
allem der Staatsaufsichtsbehörde gegenüber wesent= Stadtverwaltung oder nur am Stadtrat (Baden)
lich günstiger gestellt. Die Verwaltungsorgani= erheblich ein. Nach der Städteordnung für Hessen-
sation blieb aber für alle Gemeinden im großen Nassau können Mitglieder der Bürgervertretung
und ganzen die gleiche. Sitz und Stimme im Gemeinderat haben.
Die Reichsverfassung läßt, abgesehen von Die Zusammensetzung des Stadt-
militärischen, gerichtlichen, sanitären und finan= vorstands erfolgt entweder nach dem Kol-
ziellen Sonderinteressen, die Landeshoheit der legialsystem (deutschen System) oder nach dem
Bundesstaaten betr. Reglung des Städterechts Bureausystem (französischen System). In
unberührt. Geschichtliches Herkommen und ört= den Gebieten mit Kollegialsystem besteht der
liche Eigenheiten sind nirgends einschneidender und Stadtvorstand aus dem Oberbürgermeister oder
unzertrennlicher mit der Sache selbst verknüpft Bürgermeister, einem oder mehreren Beigeord-
und dabei in den einzelnen Teilen des Reiches neten und einer nach der Größe der Städte ver-
nach Beschäftigungsart und Charakter, Kultur= schiedenen Anzahl von ehrenamtlichen Mitglie-
zustand und Lebensansprüchen der Bevölkerung dern (Magistratsräte, Stadträte, Ratsherren,
verschiedener gestaltet als im Gemeindeverfassungs-Senatoren, Schöffen), zu denen nach Bedürfnis
recht, so daß eine reichsgesetzliche einheitliche Nor= weitere besoldete Beamte (Rechtsrat, Syndikus,
mierung des deutschen Städterechts wohl niemals Kämmerer, Baurat, Schulrat, Stadtarzt usw.)
in Frage kommen kann. treten können. Beim Bureausystem werden die
Für jede Stadtverwaltung sind von wesent= Geschäfte des Stadtvorstands vom Bürgermeister
lichem Belang: einmal die soziale Gliederung der besorgt, dem erforderlichenfalls ein oder mehrere
Bevölkerung und die (politische) Zusammensetzung Beigeordnete als Stellvertreter und Amtsgehilfen
der Bürgerschaftsvertretung (Stadtverordneten= zur Seite stehen. Das Kollegialsystem ist das am
versammlung), sodann die Bildung des Stadt= weitesten verbreitete; das Bureausystem gilt nur
vorstands (Magistrats, Stadtrats) und das Ver= in der Rheinprovinz (doch ist auch hier eine kol-
hältnis von Stadtvorstand und Bürgerschafts= legiale Stadtbehörde zulässig), in der bayrischen
vertretung zueinander. Pfalz, in Hessen sowie in den sieben östlichen Pro-
Die Teilnahme an den Gemeindewahlen vinzen Preußens bei Städten unter 2500 Einwoh-
ist überall von einem (Steuer-) Zensus und (bzw. nern. Die Mitglieder des Stadtvorstands werden
oder) von einer längeren Aufenthaltsdauer in der überall gewählt, und zwar in den sieben östlichen
betreffenden Stadt (Elsaß-Lothringen und Hessen) preußischen Provinzen von der Stadtverordneten-
abhängig gemacht. Es besteht entweder das Drei= versammlung, in Hannover von einem aus den
klassensystem mit einem verhältnismäßig nied= Magistratsmitgliedern und einer gleichen Anzahl
rigen Zensus (sieben östliche preußische Provinzen, von Bürgervorstehern bestehenden Wahlkollegium,
Rheinland, Westfalen, Hessen-Nassau, Baden) oder in Schleswig-Holstein und Württemberg von der
gleiches Stimmrecht innerhalb des Zensus, der gesamten Bürgerschaft, in Bayern vom Gemeinde-
teilweise aber ziemlich hoch ist (Hannover, Schles= kollegium, in Baden vom Bürgerausschuß, in
wig-Holstein, Frankfurt a. M., Bayern, Würt- Hessen-Nassau der Bürgermeister und sein Stell-
temberg). vertreter von den unbesoldeten Magistratsmitglie=
Die zur unmittelbaren Führung der Stadt= dern und den Stadtverordneten, die sonstigen
verwaltung berufenen Organe sind der Ge-Magistratsmitglieder von den Stadtverordneten
meindevorstand (Magistrat, Stadtrat, Ge= allein. Die Wahl der besoldeten Magistratsmit-
meinderat, Bürgermeister) und die Gemeinde= glieder erfolgt meist auf zwölf Jahre oder (in
vertretung (Stadtverordnetenversammlung, Hannover stets) auf Lebenszeit, die der unbesol-
Bürgerausschuß, Kollegium der Gemeindebevoll= deten auf sechs Jahre. In Baden werden Ober-
mächtigten). Die Mitglieder der Stadtverord= bürgermeister und Bürgermeister auf neun Jahre
netenversammlung (Stadtverordnete, Bürgerräte, q— gewählt. Der Bestätigung der Regierung bedürfen