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als seit dem 8. Jahrh. der Kriegsdienst vor allem!
Reiterdienst war, den der kleine Mann nicht
leisten konnte. So entwickelte sich allmählich ein
erblicher Kriegerstand, dem der waffenlose Bauern-
stand gegenüberstand. Auf diesen erblichen Krieger-
stand geht zum größten Teil der heutige niedere
Adel zurück, während der hohe Adel seine Wurzel
im fränkischen Amterwesen hat; der Königsdienst
stellte den Dienstadel dem alten Geschlechtsadel
gleich. Dieser Beamtenaristokratie, zu der auch die
Bischöfe gehörten, trat die durch ihren Reichtum
und die Freiheit ihres Besitzes ausgezeichnete
Klasse der freien Grundbesitzer an die Seite. So
führten die wirtschaftlichen und sozialen Verände-
rungen jener Zeit dazu, daß sich der ursprünglich
einheitliche Stand der Freien in drei Klassen auf-
löste: die der Hochfreien, die sich mehr und
mehr zu einem erblichen Adel entwickelte, die der
Mittelfreien, d. h. der freien Grundbesitzer
des Mittelstands (mediocres), endlich die der
grundherrliche Gewalt geratenen freien Hinter-
sassen, die sich immer mehr dem Stand der Hörigen
näherten. Diese unterste Klasse der Freien waren
die Minderfreien (minores). Die Unfreien
(Servi) standen auch noch in der fränkischen Zeit
rechtlich im Privateigentum des Herrn und nahmen
keinen Teil am staatlichen Leben.
Die in der Karolingerzeit beginnende Verände-
rung des Heerwesens und des Heerdienstes brachte
im weiteren Verlauf des Mittelalters auch
eine völlige Verschiebung der ständischen Verhält-
nisse. Diese Umbildung des Ständewesens vollzog
sich, indem gewisse Berufsklassen zunächst zu einer
gesellschaftlichen Sonderstellung gelangten und
dann zu Berufsständen wurden, die schließlich zur
Entstehung von Geburtsständen führten. Dabei
wurde innerhalb der einzelnen Berufsklassen der
Gegensatz von Freiheit und Unfreiheit dergestalt
überwunden, daß unfreie Personen auf Grund
des Berufs (die Ministerialen) in die Freiheit
aufstiegen, freie Personen in die Hörigkeit herab-
sanken. Unter den Freien gestaltete sich die stän-
dische Gliederung verschieden nach Landrecht
und nach Lehnrecht. «
Aus dem karolingischen Beamtenadel, in dem
die Reste des bei den nichtfränkischen deutschen
Stämmen noch vorhandenen uralten Geburtsadels
aufgegangen waren, entwickelte sich der Reichs-
fürstenstand (Herrenstand). Neben den Fürsten
standen die „Edeln“ (adalinge, nobiles, ma-
Snates) oder „freien Herren“ (liberi barones,
auch kurz barones genannt), auch „Edelfreie"
(adelvrie) oder schlechthin „Freie“ (liberi). Zu
ihnen gehörten die weltlichen Grundherren, die
vermöge ihres großen Besitzes ihrer Heeresfolge-
pflicht in rittermäßiger Weise genügen konnten
und anderseits als Schutz= und Vogteiherren ihrer
Hintersassen, als Obermärker, Immunitäts= und
Gerichtsherren eine herrschende Stellung ein-
Stände.
nahmen, die sie den Fürsten immer näher brachte.
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So faßte man die Mitglieder des ersten Standes
zusammen als vürsten, graven unde vrien
(Fürsten, Grafen und Freien).
Neben dem freien Ritterstand hatte sich der
Stand der unfreien Ritter, der Ministerialen
oder Dienstmannen ausgebildet (vgl. hierüber d.
Art. Hörigkeit, Abschn. IV).
Die Nitterschaft beruhte auf einem eigentüm-
lichen Gemisch von Berufs= und Geburtsstand.
„Ritter"“ war derjenige, der sich nach Ab-
legung des Rittergelübdes in den Ritterorden
hatte aufnehmen lassen. Erst wenn dieser
Ritterberuf auf Kind und Enkel übergegangen
war, galt die Familie als ritterbürtige („zum
Schild und Wappen geboren“). So war es
zunächst doch noch den Söhnen von Bürgern
und Bauern möglich, durch Ergreifen des ritter-
lichen Berufs, allerdings erst in der dritten Gene-
ration, ihre Nachkommen in den Ritterstand auf-
rücken zu lassen. Aber in der Zeit der Hohen-
staufen konnten Bauernsöhne nur mit königlicher
Genehmigung den Ritterberuf wählen, während
die Söhne von Bürgern freie Hand behielten.
Im weiteren Verlauf der Zeit wurde das Auf-
rücken in den Ritter= bzw. Adelstand ermöglicht
durch Erwerb eines Mannlehens und seit Karl IV.
durch Erteilung des sog. Briefadels, d. h. durch
Erhebung in den Adelstand durch königliches
Diplom ohne Rücksicht auf ritterlichen Lebens-
beruf. So war der Adel zu einem reinen Ge-
burtsstand geworden, der weder durch eine
besondere Berufswahl erworben noch durch un-
ritterliches Leben verloren werden konnte.
Die freie Landbevölkerung (Gemeinfreien) nicht-
ritterlichen Stands zerfiel in drei Klassen: die im
Vollbesitz ihrer Freiheit und ihres Eigens ge-
bliebenen Bauern, die Nichtgrundbesitzer und die
freien Zinsleute (vgl. hierzu d. Art. Bauernstand.
Über die Grundhörigen und Leibeignen vgl.
d. Art. Hörigkeit).
Die lehnrechtliche Ständescheidung
lernen wir aus den Rechtsbüchern des 13. Jahrh.
kennen in dem System der Heerschilde. Den ersten
Heerschild hat der König; im zweiten stehen die
geistlichen Fürsten, im dritten die Laienfürsten;
nach dem Sachsenspiegel haben den vierten die
freien Herren, den fünften die Schöffenbarfreien
(d. h. freie Grundbesitzer von mindestens drei
Hufen Lands, die einem altfreien Geschlecht an-
gehören, den Ritterdienst leisten und zum Schöffen-
amt im Grafschaftsgericht fähig sind) und die
Ministerialen, den sechsten die Mannen der In-
haber des fünften Schilds; der siebte Schild bleibt
im Sachsenspiegel unbenannt. Nach dem Schwa--
benspiegel stehen im vierten Schild die Hochfreien,
im fünften die Mittelfreien, im sechsten die Mini-
sterialen, im siebten alle übrigen ritterfähigen
Leute. Die praktische Bedeutung des Heerschild-
wesens lag darin, daß niemand von einem Heer-
schildgenossen Lehen nehmen konnte, doch gerieten
seit dem 14. Jahrh. diese Regeln in Vergessenheit.