Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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als seit dem 8. Jahrh. der Kriegsdienst vor allem! 
Reiterdienst war, den der kleine Mann nicht 
leisten konnte. So entwickelte sich allmählich ein 
erblicher Kriegerstand, dem der waffenlose Bauern- 
stand gegenüberstand. Auf diesen erblichen Krieger- 
stand geht zum größten Teil der heutige niedere 
Adel zurück, während der hohe Adel seine Wurzel 
im fränkischen Amterwesen hat; der Königsdienst 
stellte den Dienstadel dem alten Geschlechtsadel 
gleich. Dieser Beamtenaristokratie, zu der auch die 
Bischöfe gehörten, trat die durch ihren Reichtum 
und die Freiheit ihres Besitzes ausgezeichnete 
Klasse der freien Grundbesitzer an die Seite. So 
führten die wirtschaftlichen und sozialen Verände- 
rungen jener Zeit dazu, daß sich der ursprünglich 
einheitliche Stand der Freien in drei Klassen auf- 
löste: die der Hochfreien, die sich mehr und 
mehr zu einem erblichen Adel entwickelte, die der 
Mittelfreien, d. h. der freien Grundbesitzer 
des Mittelstands (mediocres), endlich die der 
grundherrliche Gewalt geratenen freien Hinter- 
sassen, die sich immer mehr dem Stand der Hörigen 
näherten. Diese unterste Klasse der Freien waren 
die Minderfreien (minores). Die Unfreien 
(Servi) standen auch noch in der fränkischen Zeit 
rechtlich im Privateigentum des Herrn und nahmen 
keinen Teil am staatlichen Leben. 
Die in der Karolingerzeit beginnende Verände- 
rung des Heerwesens und des Heerdienstes brachte 
im weiteren Verlauf des Mittelalters auch 
eine völlige Verschiebung der ständischen Verhält- 
nisse. Diese Umbildung des Ständewesens vollzog 
sich, indem gewisse Berufsklassen zunächst zu einer 
gesellschaftlichen Sonderstellung gelangten und 
dann zu Berufsständen wurden, die schließlich zur 
Entstehung von Geburtsständen führten. Dabei 
wurde innerhalb der einzelnen Berufsklassen der 
Gegensatz von Freiheit und Unfreiheit dergestalt 
überwunden, daß unfreie Personen auf Grund 
des Berufs (die Ministerialen) in die Freiheit 
aufstiegen, freie Personen in die Hörigkeit herab- 
sanken. Unter den Freien gestaltete sich die stän- 
dische Gliederung verschieden nach Landrecht 
und nach Lehnrecht. « 
Aus dem karolingischen Beamtenadel, in dem 
die Reste des bei den nichtfränkischen deutschen 
Stämmen noch vorhandenen uralten Geburtsadels 
aufgegangen waren, entwickelte sich der Reichs- 
fürstenstand (Herrenstand). Neben den Fürsten 
standen die „Edeln“ (adalinge, nobiles, ma- 
Snates) oder „freien Herren“ (liberi barones, 
auch kurz barones genannt), auch „Edelfreie" 
(adelvrie) oder schlechthin „Freie“ (liberi). Zu 
ihnen gehörten die weltlichen Grundherren, die 
vermöge ihres großen Besitzes ihrer Heeresfolge- 
pflicht in rittermäßiger Weise genügen konnten 
und anderseits als Schutz= und Vogteiherren ihrer 
Hintersassen, als Obermärker, Immunitäts= und 
Gerichtsherren eine herrschende Stellung ein- 
Stände. 
  
nahmen, die sie den Fürsten immer näher brachte. 
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So faßte man die Mitglieder des ersten Standes 
zusammen als vürsten, graven unde vrien 
(Fürsten, Grafen und Freien). 
Neben dem freien Ritterstand hatte sich der 
Stand der unfreien Ritter, der Ministerialen 
oder Dienstmannen ausgebildet (vgl. hierüber d. 
Art. Hörigkeit, Abschn. IV). 
Die Nitterschaft beruhte auf einem eigentüm- 
lichen Gemisch von Berufs= und Geburtsstand. 
„Ritter"“ war derjenige, der sich nach Ab- 
legung des Rittergelübdes in den Ritterorden 
hatte aufnehmen lassen. Erst wenn dieser 
Ritterberuf auf Kind und Enkel übergegangen 
war, galt die Familie als ritterbürtige („zum 
Schild und Wappen geboren“). So war es 
zunächst doch noch den Söhnen von Bürgern 
und Bauern möglich, durch Ergreifen des ritter- 
lichen Berufs, allerdings erst in der dritten Gene- 
ration, ihre Nachkommen in den Ritterstand auf- 
rücken zu lassen. Aber in der Zeit der Hohen- 
staufen konnten Bauernsöhne nur mit königlicher 
Genehmigung den Ritterberuf wählen, während 
die Söhne von Bürgern freie Hand behielten. 
Im weiteren Verlauf der Zeit wurde das Auf- 
rücken in den Ritter= bzw. Adelstand ermöglicht 
durch Erwerb eines Mannlehens und seit Karl IV. 
durch Erteilung des sog. Briefadels, d. h. durch 
Erhebung in den Adelstand durch königliches 
Diplom ohne Rücksicht auf ritterlichen Lebens- 
beruf. So war der Adel zu einem reinen Ge- 
burtsstand geworden, der weder durch eine 
besondere Berufswahl erworben noch durch un- 
ritterliches Leben verloren werden konnte. 
Die freie Landbevölkerung (Gemeinfreien) nicht- 
ritterlichen Stands zerfiel in drei Klassen: die im 
Vollbesitz ihrer Freiheit und ihres Eigens ge- 
bliebenen Bauern, die Nichtgrundbesitzer und die 
freien Zinsleute (vgl. hierzu d. Art. Bauernstand. 
Über die Grundhörigen und Leibeignen vgl. 
d. Art. Hörigkeit). 
Die lehnrechtliche Ständescheidung 
lernen wir aus den Rechtsbüchern des 13. Jahrh. 
kennen in dem System der Heerschilde. Den ersten 
Heerschild hat der König; im zweiten stehen die 
geistlichen Fürsten, im dritten die Laienfürsten; 
nach dem Sachsenspiegel haben den vierten die 
freien Herren, den fünften die Schöffenbarfreien 
(d. h. freie Grundbesitzer von mindestens drei 
Hufen Lands, die einem altfreien Geschlecht an- 
gehören, den Ritterdienst leisten und zum Schöffen- 
amt im Grafschaftsgericht fähig sind) und die 
Ministerialen, den sechsten die Mannen der In- 
haber des fünften Schilds; der siebte Schild bleibt 
im Sachsenspiegel unbenannt. Nach dem Schwa-- 
benspiegel stehen im vierten Schild die Hochfreien, 
im fünften die Mittelfreien, im sechsten die Mini- 
sterialen, im siebten alle übrigen ritterfähigen 
Leute. Die praktische Bedeutung des Heerschild- 
wesens lag darin, daß niemand von einem Heer- 
schildgenossen Lehen nehmen konnte, doch gerieten 
seit dem 14. Jahrh. diese Regeln in Vergessenheit.
	        
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