Sechstes Kapitel
Julitrisis
Im Juni 1917 war man imstande, sich ein klares Bild von der Lage
an den Fronten und besonders hinter den Fronten zu machen.
Die beiden gewaltigen Ereignisse, die russische Revolution und der
Eintritt Amerikas in den Krieg hatten die Weltlage von Grund
aus verwandelt.
In ARnußland wurde die Katastrophe wie durch ein Wunder noch auf-
gehalten. In der ersten Zeit gab es zwei RNegierungen, die den gleichen An-
spruch auf Macht erhoben: den Dumaausschuß und den Arbeiter= und
Soldatenrat. Kerenski war Wizepräsident der Sowjets und Justiz-
minister der „Provisorischen Regierung“ zugleich. Die Sowjets verdankten
ihre Macht dem Schrei nach Frieden und Brot, der mit unerwarteter
Stärke gleich bei Beginn der Revolution losgebrochen war. Es gelang
Kerenski, die Arbeiter- und Soldatenräte immer wieder zu zügeln. Die
imperialistischen Kriegsziele waren sofort mit dem alten Regime begraben
worden. Aber England und Frankreich bestanden auf ihrem Hfunde Fleisch,
der vereinbarten Mitwirkung an der Kampagne des Jahres. Was kümmerte
die Alliierten das künftige Schicksal Rußlands? Wenn seine Armeen nur
Osterreich angriffen und deutsche Truppen banden.
Anfang Mai erzwingen die Alliierten eine Note Miliukows, darin von
einem Kriege bis zum siegreichen Ende die Rede ist. Die erregten Massen
antworten mit NRiesendemonstrationen, die deutlich von Lenin und den
Maximalisten gelenkt werden. Wenn auch Kerenski den Aufstand be-
schwört, so müssen doch Miliukow und der Kriegsminister Gutschkow bald
darauf ausscheiden. Kerenski wird Kriegsminister und damit die beherr-
schende Figur Rußlands. Einen Separatfrieden mit Deutschland stößt
auch die zweite Provisorische Regierung zurück. Aber Kerenski will die
Fortsetzung des Krieges um anderer Ziele willen. Die Parole „Keine
Annexionen und keine Entschädigungen" klingt immer wieder in
die Welt hinaus. Die deutliche Resonanz, die sie bei den kämpfenden
Völkern findet, ermutigt Kerenski. Er beschwört die Staatsmänner der
Alliierten, ihre Kriegsziele herabzustimmen. Wenn das geschieht, so glaubt
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