Ich glaube nicht, daß er wieder aufgerichtet werden kann, wenn der
Brauch sich festsetzt, nur den Beauftragten einer Partei zum Kanzler zu
ernennen, den jederzeit seine Auftraggeber wieder abberufen können.
Max Weber verdanken wir die politische Großtat nach der Revolution:
er hat im Bunde mit Simons gegen die Bewunderer des französischen
Systems durchgesetzt, daß der Reichspräsident nicht vom Reichstag, sondern
vom Volk erwählt wird. Das Staatsoberhaupt der deutschen Republik
kann ebenso wie früher der Kaiser einen Kanzler berufen aus der Beamten-
schaft, aus den freien Berufen oder aus dem Reichstag, und ihn mit der
Regierungsbildung betrauen; bei seiner Entscheidung kann die persönliche
Eignung ebenso schwer in die Wagschale fallen wie die programmatische
Abereinstimmung mit der Mehrheit. Wenn dem Kanzler dann bei einem
unbedeutenden Anlaß, zumal während wichtiger schwebender Verhand-
lungen mit dem Ausland, das Vertrauen der Mehrheit entzogen wird, und
er behält noch das Vertrauen des Staatsoberhaupts, so kann er mit dessen
Interstützung an das Volk appellieren, gegen die Parteien, denen er genau
so wie der volksgewählte Präsident, der ihn berufen hat, nicht unfrei
gegenüberstehen würde. Nur auf diesem Wege, der in der Verfassung klar
vorgezeichnet ist, kann es auch einmal einer Führernatur gelingen, eine
neue Partei zu schaffen, die überlebte und entseelte Fraktionen zer-
sprengt, zumal, wenn die Parteien aus taktischen Rücksichten Grundsätze
preisgeben, an denen die öffentliche Meinung der Nation festhalten will.
Ich rede wahrlich nicht der Gewaltherrschaft der Minderheit das Wort
— ich lehne sie grundsätzlich ab. Die Diktatur des DProletariats wie des
Faschismus ist dem deutschen Volke wesensfremd. Es ist mein Glaubens-
satz: der Rechtsstaat muß dem einzelnen Bürger grundsätzlich die Freibeit
geben, für seine Aberzeugung einzutreten, ohne sein Leben und seine
Existenz zu gefährden. AUnd wenn es ihm gelingt, ihm und seinen Ge-
sinnungsgenossen, für ihr Drogramm die Mehrheit zu gewinnen, dann
sollte es in Handlungen der Regierung seinen Ausdruck finden.
Ich glaube ferner, daß der mit einer Minderbeitsregierung untrennbar
und logisch verbundene Terrorismus das kostbarste Gut der Nationen ver-
dirbt — die menschliche Natur der Volksgenossen. Nicht der wenigen, die
für ihre Uberzeugung ihr Leben lassen, sondern der vielen, die sich ducken,
und um des Vorteils willen Schmach und Anrecht auf sich nehmen.
So will ich durchaus daran festhalten, daß das Parlament die Macht
behält, den Kanzler zu stürzen, der das Vertrauen der Mehrheit nicht mehr
besitzt, ebenso wie seine Ernennung durch das Vertrauen der Mehrbeit
bestätigt werden muß; aber die Initiative zur Führerauslese sollte bei der
überparteilichen Instanz liegen und nicht bei den Parteien, denen es in
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