getroffenen Vereinbarungen neue Komplikationen ein, die zu gegenseitigen
ARepressalien führten und eine solche Steigerung erreichten, daß von deut-
scher Seite Prinz Waldemar von Dänemark, der Bruder der Kaiserin-
mutter und Vorsitzende des dänischen Roten Kreuzes, angerufen werden
mußte, um den Greueln ein Ende zu machen. Ich weiß, daß der Deutsche
Kaiser sehr ungehalten darüber war, daß man deutscherseits es zu einer so
verschärften Lage hatte kommen lassen durch Maßnahmen, die ohne sein
Wissen unternommen worden waren.
Aus Anlaß der Stockholmer Konferenz hatte der deutsche Reichskanzler
mich mit einem wichtigen diplomatischen Auftrag betraut, über den ich
heute noch nicht in der Lage bin, mich zu äußern.
Die Korrespondenz mit Rußland wurde immer lebhafter. Ihr unmittel-
barer Zweck war natürlich, Hilfe zu bringen. Aber ich leugne nicht, daß
ich von Anfang an wachsame Ausschau hielt nach Zeichen der Kriegsmüdig-
keit. Ich wollte die Hoffnung nicht fahren lassen, daß das kaiserliche Ruß-
land sich in schwerer Kriegsnot auf die mächtige Tradition deutsch--russi-
scher Freundschaft zurückbesinnen würde. Ich habe alles getan, was ich
ihren ZRegierungen befürwortet werden sollten. Damit war gesagt, daß sie der Ge-
nehmigung der Regierungen bedurften, um praktische Geltung zu erlangen. Am
13. Mai 1916 wurden dann WBereinbarungen zwischen den Delegierten der Roten
Kreuze unterzeichnet.
Es wurde beschlossen, Zentralausschüsse und lokale Hilfsausschüsse zu bilden, in
welchen auch Neutrale sitzen sollten. Sie sollten die Wünsche der Gefangenen fest-
stellen, die Liebesgaben verteilen und das Recht haben, die Lager — nach Ein-
holung der Erlaubnis bei deren militärischen Behörden — zu besuchen.
Ferner wurden Vereinbarungen getroffen über: Nachrichtenübermittlung in die
Heimat; Gefangenen- und Totenlisten; Nachforschung nach Vermißten; Austausch
von Andenken; Postdienstbeschleunigung und Pakerdienst; Sicherung von Geld-
sendungen an Gefangene; Liebesgaben; Bücherbeschaffung und Abermittlung; Be-
handlung von Arzten und Sanitätspersonal, Austausch nicht für den Dienst der
Gefangenen benötigter Personen; Pflege der Verwundeten und Kranken, Hygiene
der Lager; notwendiges Minimum der Einrichtungsgegenstände für Offiziere und
Mannschaften; Nahrung, Kleidung, Behandlung der Gefangenen; Erleichterung der
Seelsorge; Bertretungsausschuß der Gefangenen in jedem Lager.
Das Wichtigste war vielleicht der Beschluß, einen gemischten Ausschuß für die
kriegführenden Länder zu bilden, aus drei Neutralen, drei von den deutschen, öster-
reichischen und ungarischen Roten Kreuzen und drei vom russischen Roten Kreuz
ernannten Mitgliedern. Diese Ausschüsse sollten durch die Lager aller beteiligten
Länder reisen und Erkundigungen einziehen, Auskünfte von den Behörden ver-
langen, ohne Zeugen mit den Gefangenen sprechen dürfen. Leider wurden gerade der
Bildung dieser gemischten Kommission, welche der Entstehung von Greuellegenden
vorgebeugt und wirklichen Mißständen vielfach abgeholfen hätte, von russischer Seite
Steine in den Weg geworfen. Es kam nur eine Reise von Neutralen zur Aus-
fübrung.
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