den Unterstaatssekretär in seinem Widerstand gegen die Forderungen der
Marine.
Der Ausgangspunkt unserer Beziehungen war mein Wirken für die
Gefangenen. Noeggerath wollte der carit as inter arma eine hohe poli-
tische Bedeutung zumessen, wogegen ich mich anfänglich sträubte. Er
erklärte den Kampf um unseren guten Namen für so wichtig wie die
Schlachten, die unsere Heere schlugen. Am jeden Dreis müsse verhindert
werden, daß unsere Feinde ihren „Greuelbedarf aus deutschen Gefangenen-
lagern deckten. Sie brauchten die „GCerman atrocities“ nicht nur zum
Zweck der Auslandspropaganda, sondern in erster Linie, um die „Moral“
der eigenen Völker zu befestigen.
Noeggerath erschreckte mich durch die These: wenn wir den Kriegs-
willen der Feinde nicht erweichen, so verliert Deutschland den Krieg, denn
die Alliierten haben unerschöpfliche Hilfsquellen an Menschen und Ma-
terial und können, wenn ihre Kriegsmoral nicht versagt, länger aushalten
als wir.
Aber die politische Kriegführung gegen die feindliche „Moral"“ habe über-
haupt noch nicht begonnen. Er bat mich um meine Hilfe und deutete an,
daß ich vielleicht beim Kaiser intervenieren könnte. Rußlands Kriegswille
sei durch das Schwert zu brechen. Frankreich sei im Felde nicht entschei-
dend zu besiegen und würde leiden und kämpfen, solange England nicht
aus dem Kriege heraus will. Den englischen Kriegswillen aber könne
Deutschland lähmen. Drüben sei bereits eine starke Opposition gegen den
Vernichtungskrieg latent vorhanden: wir sollten sie in die Offentlichkeit
rufen. Noeggerath forderte: erstens den Kampf in der Schuldfrage.
Es gelte, der Weltmeinung bestimmte Tatsachen der Kriegsentstehung stets
aufs neue einzuhämmern, die das Dogma vom deutschen Aberfall schließ-
lich zerstören müßten. Zweitens den Kampf in der Greuelfrage. Wir
müßten nicht nur der Ententepropaganda keine Angriffsfläche bieten,
sondern zur Offensive gegen die Anfehlbarkeitspose der Feinde übergehen.
Wir hätten überwältigendes Material über die Greueltaten der Alliierten,
das wir aus falschem Zartgefühl zurückhielten. Mit offiziellen Zeitungs-
artikeln sei es allerdings nicht getan. Man könnte die feindlichen Völker
nicht zwangsweise auf die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ abonnieren.
In der Greuel= wie in der Schuldfrage müsse die Aufmerksamkeit der
Welt durch große Kanzlerreden herangeholt werden. Das aber seien nur
Hilfsaktionen. In England würde der Wille, den Krieg à outrance durch-
zufechten, sich so lange behaupten, bis durch Herrn v. Bethmann dem eng-
lischen Volk deutlich gemacht wird: ein mit Englands Ehre und Sicher-
heit vereinbarer Friede ist auf dem Wege der Verhandlungen erreichbar.
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