Das öffentliche Organ aber der Wilson-Gläubigen wurde die „Basler
Nationalzeitung“, darin der Osterreicher Bauer die deutsche Sprache mit
einer gefährlichen Meisterschaft handhabte, um Wilsons Sache vor Deutsch-
land zu plädieren, als schriebe er in seinem Auftrag. Er wurde nicht müde,
bald lockend, bald drohend in immer neuen Variationen das Thema zu
behandeln: Vertraut Wilson! Schon vor der Waffenstillstandsbitte am
1. Oktober riet er Deutschland, das Schicksal der Welt lieber in Wilsons
als in Ludendorffs Hände zu legen, und hob die großen Worte des Prä-
sidenten heraus: Es darf kein Anterschied gemacht werden zwischen denen,
gegen die wir gerecht, und denen, gegen die wir nicht gerecht zu sein wün-
schen. Nach der ersten Wilson-Note verbürgte er sich für die materielle und
moralische Macht des Präsidenten, sich durch zusetzen, wenn nur die Mittel-
mächte im Vertrauen auf die Reinheit Wilsons ihr Schicksal ohne Winkel-
züge in seine Hände legten. Seine Ehre und die Ehre der Anion wäre ver-
pfändet, er dürfte und würde nicht das Vertrauen des deutschen Volkes
täuschen. — In diesem Augenblick, da die niederschmetternde Note vom
14. Oktober eintraf, gab er nur uns die Schuld: warum haben der
Kaiser und der Kronprinz den Wink des Präsidenten nicht verstanden,
warum geht auch jetzt die öffentliche Meinung Deutschlands nicht auf den
Kern seiner Forderung ein. Je völliger die Mittelmächte zur Sühne bereit
sind, desto mehr könne Wilson als moralischer Diktator wirken; andern-
falls wüchse von Tag zu Tag die Macht des Marschalls Foch.
Solche Gedankengänge fanden in Deutschland einen wohlvorbereiteten
Boden. — Man verachte unser Volk darum nicht. Als Ende September
der General Ludendorff hörte, in Marseille sei die Lungenpest ausgebrochen,
da klammerte er sich in seiner Not — so sagte er selbst 1 — an diese Nachricht
wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Kann man es unseren hungern-
den und erschöpften Massen verargen, daß sie in ihrer Verlassenheit sich
an Wilson klammerten? Er hatte wie ein gottbegeisterter Prophet ge-
sprochen und wirklich seine und seines Volkes Ehre für einen gerechten
Frieden verpfändet. Menschlicher Anstand sträubte sich, ihm öffentlichen
Wortbruch zuzutrauen. Vor allem aber war es doch die Oberste Heeres-
leitung selbst, die sich außerstande erklärt hatte, die verzweifelte Lage zu
meistern, und das deutsche Volk an Wilson als Retter gewiesen hatte.
Am die Mitte des Oktober war das Elend in den Städten unsagbar.
Keine Kohlen, keine ausreichende Kleidung, ein ständiger Hunger. Durch
ganz Europa ging damals eine Grippeepidemie. In Berlin erkrankten allein
1 Bgl. Schwertfeger: „Die politischen und militärischen Verantwortlichkeiten
im Verlauf der Offensive von 1918“, Das Werk des Untersuchungsausschusses.
2. Bd., Berlin 1925, S. 249.
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