Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

ein unbesiegtes Deutschland nicht mehr in seiner Sicherheit bedroht zu 
fühlen. Ja hier und da wird das lockende Schlagwort eingestreut: Deutsch- 
lands Eintritt in die Friedensliga bedeutet die Niederlage des preußischen 
Militarismus. 
Am 28. September 1916 hält es Lloyd George für nötig, in offene 
Kampfesstellung gegen Grey und Wilson zu treten: in seinem Boxer- 
Interview sagt er, so grob und zornig er es kann, nach Amerika hin- 
über: Hände weg vom Krieg. Die Hetgpresse jubelt ihm zu. 
Aber eine starke unterirdische Strömung des Widerwillens ist an vielen 
Stellen zu spüren, im Parlament, in Versammlungen, in Zuschriften an die 
großen Zeitungen. Einmal über das andere ergeht aus altliberalen Kreisen, 
gerade aus solchen, die nahe Fühlung mit der kämpfenden Truppe haben, 
die Aufforderung an Grey, „hinter den kriegsvergnügten Zivilisten aufzu- 
wischen“: vor England, vor Amerika, aber auch vor Deutschland. Grey 
wartet, bis die Kampagne des Jahres ihrem enttäuschenden Ende zugeht, 
und hält dann seine berühmte Rede vom 23. Oktober, darin er deutlich 
Amerika ermutigt, sein Gewicht in die Wagschale des Friedens zu werfen, 
und den Plan der Friedensliga mit warmen Worten willkommen beißt; 
über die Kriegsentstehung führt er zum erstenmal eine maßvollere Sprache. 
Fast scheint es, als ob eigene Gewissensprüfung mitklinge, wenn er an 
Deutschlands Adresse den Vorschlag richtet: 
„Ich wünsche nichts sehnlicher, als daß die beiden Behauptungen: die 
russische Mobilmachung wäre eine aggressive und keine defensive Maß- 
nahme, und: irgendeine andere Macht als Deutschland hätte um die 
belgische Neutralität gefeilscht oder einen Angriff durch Belgien geplant, 
von einem unparteiischen Tribunal nachgeprüft würden.“ 
Die Zentralstelle vertrat die Auffassung, daß Grey nicht ohne Hinter- 
gedanken an eine mögliche Entspannung der Lage seinen Vorschlag gemacht 
habe. Von der Frage: War dieser Krieg zu vermeiden? war es nicht weit 
zu der anderen: Ist er nicht zu beendigen? 
Damals schien eine gute Gelegenheit gegeben, einen Präzedenzfall für 
einen Kompromiß zu schaffen, denn in der einen Frage hätten wir ge- 
wonnen und in der anderen verloren. Die Regierung wurde eindringlich ge- 
beten, in präziser Form diese Herausforderung anzunehmen, d. h. die Ein- 
setzung eines unparteiischen Tribunals zur Untersuchung dieser beiden Fra- 
gen zu fordern. 
Das Auswärtige Amt schwankte: Bethmann antwortete Grey am 
9. November und akzeptierte das Programm der Friedensliga. Aber das 
1 Vgl. Hans Delbrück, Der realpolitische Pazifismus. 
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