Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Mir wird es immer ein NRätsel bleiben, warum die Oberste Heeres- 
leitung die Nacht hat verstreichen lassen, ehe sie Alarm schlug. Der Kaiser 
mußte sofort, ohne Rücksicht auf seine Nachtruhe, erfahren, daß seine 
Weigerung, abzudanken, auf falscher Grundlage baute. Die verzweifelte 
Situation der Regierung war in Spa bekannt. Seit 12 Stunden trafen 
beinahe ununterbrochen unsere Sturmsignale ein: Wir können die Revo- 
lution heute noch aufhalten, morgen nicht. — 
Unsere fruchtlosen Versuche wurden fortgesetzt. 
Als Wahnschaffe Grünau spät abends bat, Seine Mojestät sogleich von 
dem Inhalt meiner Depesche zu verständigen, lehnte Grünau ab. Es würde 
völlig zwecklos sein, jetzt noch den Kaiser zu stören, der sich schon zur Ruhe 
begeben habe. Telephonisch oder durch Mittelsperson könne die weittragende 
Entscheidung nicht herbeigeführt werden. Grünau drängte auf Entsendung 
verantwortlicher Persönlichkeiten. Ich griff diesen Vorschlag auf und rief 
Solf und Waldow herbei. Solf war bereit, zu reisen, und zwar noch heute 
nacht, Waldow wollte die Mission nicht übernehmen. Er sagte zu Wahn- 
DTruppen hätte außerdem bei ihrer Verteilung auf dem weiten Raum zwischen dem 
Kanal und der Schweiz auch da große Schwierigkeiten geboten, wo sie nicht, was meist 
der Fall war, gerade in engster Fühlung mit dem Feinde standen. Darauf, daß die 
Tätigkeit in der Heimat sich nur auf geringere Zusammenstöße beschränken würde, 
konnte nicht mit Sicherheit gerechnet werden. Bielmehr mußte man auf ernste 
Kämpfe an der starken Rheinfront, beim Ourchschreiten Deutschlands und in 
Berlin, also auf einem Weg von rund 600 Kilometer gefaßt sein. Dazu aber hätten 
den mit geschulten und wohlbewaffneten Truppen vermischten Aufständischen und den 
von diesen besetzten Festungen gegenüber stärkere Formationen gehört, als günstigsten- 
falls in der Eile zusammengerafft werden konnten, und erheblich mehr Munition und 
Verpflegung, als zur Verfügung stand. Zu dem unvermeidlichen Bürgerkrieg 
mußte sich obendrein die Fortführung des blutigen Ringens mit der zweifellos von 
Westen nachdringenden Entente gesellen. 
Feldmarschall v. Hindenburg schloß sich schweren Herzens dem auf sorgfältigster 
Drüfung der Verhältnisse beruhenden Urteil des Generals Gröner pflichtgemäß 
an. Ein Erfolg konnte bei den gegebenen Voraussetzungen nicht erwartet 
werden, vielmehr mußte jedem verantwortlichen Ratgeber der völlige Zusam- 
menbruch als Abschluß der ganzen Handlungen zweifellos erscheinen. 
Generaloberst v. Plessen vertrat dagegen den Standpunkt, daß es für den 
Kaiser und seine Armee ausgeschlossen sei, sich einer Handvoll von Revolu- 
tionären zu fügen. Das Baterland würde es nicht begreifen, daß dieselbe Armee, 
die sich vier Jahre lang die Bewunderung der ganzen Welt erworben habe, jetzt 
nicht imstande sein solle, eine Bande ruchloser Matrosen zu Überwinden. 
Der Feldmarschall und General Gröner mußten bei voller Würdigung der Emp- 
findungen des Generalobersten bei ihrer Ansicht verbleiben. Dieser schien über die 
Lage insofern nicht richtig orientiert zu sein, als er die Stärke der Gegner unter- 
schätzte und im Heere noch mit einem Geist rechnete, der dort leider nicht mehr in 
ausreichendem Maße zu finden war.“ 
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