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beim Bundesrat eingebracht worden seien. Dies ist aber nur
eine sprachliche Ungenauigkeit, die nichts an der Tatsache ändert,
daß auch die sog. Präsidialanträge nur preußische Anträge sind.
Wenn weiter ausgeführt wird, das, die Mehrzahl der Geset-
entwürfe, Etats und anderen Vorschläge in den Reichsämtern
vorbereitet und ausgearbeitet wird, so ist zu sagen, daß es
mangels besonderer reichsgesetzlicher Bestimmungen über die
Vorbereitung der Gesetze bis zur Einbringung des Entwurfs
im Bundesrate vollständig nebensächlich ist, wer die Entwürfe
ausarbeitet und dadurch das Initiativrecht keine Anderung er-
leidet. Der Grund dieser Geschäftserledigung liegt darin, daß
die Ministerien der Einzelstaaten zur Bearbeitung dieser Sachen
auf dem Gebiete der unmittelbaren Reichsverwaltung nicht
imstande sind, weil ihnen die geeigneten Organe oder das nötige
Material dazu fehlen.
4. Im übrigen ist zur Beantwortung der beiden vor—
genannten Fragen zu bemerken, daß die preußischen Minister
bei der Feststellung des Inhalts der Vorlagen ihren Einfluß
wohl geltend gemacht haben, was nicht dem freien Ermessen
des Reichskanzlers zu danken ist, sondern seiner rechtlichen
Pflicht entspringt. 31) Wenn der Reichskanzler mit der Aus-
31) Vergl. die Außerung des Fürsten Bismarck im Reichstage am
13. März 1877, Sten. Ber. I, S. 133 f.: „Ein für alle Mal stelle ich hier-
mit fest, daß ich Vorlagen, über die ich nicht der Zustimmung des preußi-
schen Ministeriums sicher bin, wenn sie nicht auf Verfügungen des Bundes-
rats beruhen oder auf Requisition des Reichstags, überhaupt nicht ein-
bringe, und in dem Falle doch auch nicht, ohne daß ich mich vorher im
preußischen Ministerium versichert habe, daß die preußische Stimme nicht
gegen mich sein wird.“ In der Presse wurde allerdings von dem Nach-
folger Bismarcks, dem Grafen Caprivi, behauptet, daß er Erklärungen
ohne vorherige Benachrichtigung des preußischen Ministeriums im Bundes-
rate abgegeben habe. Dies war aber nur vereinzelt und ist in der Presse
sofort als rechtswidrig bezeichnet worden. Von einer gewohnheitsrecht-
lichen Bildung kann auch hier nicht die Rede sein. Wenn sonst bisweilen
Vorlagen vom Reichskanzler ohne vorherige Zustimmung des preußischen
Ministeriums im Bundesrat eingebracht worden sind, so war dies darin
begründet, daß er die Genehmigung der preußischen Minister als sicher
erfolgend voraussetzte. Dies kann er um so mehr, als er selbst preußischer
Minister der auswärtigen Angelegenheiten und gewöhnlich Ministerpräsi-
dent ist. In der Regel sind die beiden letztgenannten Amter in einer
Hand vereinigt.