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der ganzen Vorlage durch den Reichstag der Bundesrat sich
ein klares Bild darüber zu machen imstande ist. 35)
VIII. Durch die Verfassung ist in Art. 7 Abs. 1 nur
festgesetzt, daß der Bundesrat über Angelegenheiten beschließt,
nicht aber, daß seine Beschlüsse begründet werden müssen, was
auch praktisch nicht üblich ist. Dies trifft sowohl für den
Bundesrat als den Reichstag zu, für letzteren allerdings mit
der Einschränkung, daß seine Beschlüsse gewöhnlich in den vor-
aufgehenden öffentlichen Verhandlungen begründet werden. 5)
Eine Begründung seitens des Bundesrates würde auch insofern
schwierig durchzuführen sein, als die Beschlüsse durch Bevoll-
mächtigte zustandekommen, die die hierfür maßgebend gewesenen
Gründe notwendigerweise gar nicht zu kennen brauchen, ab-
gesehen davon, daß auch bei Ubereinstimmung der Instruktionen
der einzelnen Regierungen die bestimmenden Motive nicht die
gleichen gewesen zu sein brauchen.
38) Vgl. die Erklärung des Fürsten Bismarck im Reichstage am
10. März 1870, Sten. Ber., S. 250 a bei Gelegenheit eines Antrags im
Reichstage, vor der Weiterführung der zweiten Lesung die dritte Lesung
über die einleitenden Bestimmungen und den ersten Teil des Entwurfs des
Reichsstrafgesetzbuchs zu beginnen: „Ich erlaube mir zuerst Zweifel zu
äußern, ob dem Bundesrate zugemutet werden kann, daß er sich über ein
Bruchstück eines Gesetzentwurfs, der in allen seinen Teilen in organischem
Zusammenhang steht, definitiv schlüssig machen soll, ohne daß er die Ge-
samtheit der Beschlüsse des Reichstags über alle Teile des Gesetzentwurfs
zu übersehen vermag.“ Dieselbe Auffassung vertrat Fürst Bülow in der
Reichstagssitzung vom 13. Dez. 1992, Sten. Ber., S. 7144 b: „Obwohl
sich der Bundesrat verfassungsmäßig erst dann zu den Beschlüssen des
Reichstags endgültig zu entschließen hat, wenn diese fertig vorliegen, so
kann ich schon jetzt erklären, daß die verbündeten Regierungen dem Zoll-
tarif in der nunmehr vorliegenden Fassung ihre Zustimmung zu geben
bereit sind.“ «
39) Daß dies nicht unter allen Umständen beobachtet wird, wozu
mannigfache Gründe beitragen können, ergeben die Ausführungen des
Staatssekretärs des Reichs-Justizamts Nieberding im Reichstage am
7. Februar 1901, Sten. Ber., S. 1207 und des Reichskanzlers Fürst
Bülow in der Sitzung vom 22. Februar 1902, Sten. Ber., S. 35680b.