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1. Am stärksten haben bei der Errichtung des Bundesrates
wohl die Reminiszenzen an den ehemaligen deutschen Reichstag
mitgewirkt, und man kann sagen, daß der Bundesrat bei uns
dieselbe Stellung einnimmt wie der Reichstag im ehemaligen
römischen Reich deutscher Nation, und mag auch tatsächlich und
politisch ein noch so großer Unterschied zwischen beiden Ein-
richtungen bestehen, staatsrechtlich zeigt der Reichstag zu Regens-
burg eine überraschende Verwandtschaft mit dem heutigen
Bundesrate. 10) .
a. Im alten Deutschen Reiche stellt sich der Reichstag
zuerst als ein Organ der Stände, als eine Ständeversammlung
dar, die nicht vom Volke abgeordnet wurde, sondern aus eignem
Rechte, aus dem Rechte der Reichsstandschaft heraus, zustande
kam. Als die Macht des Kaisers mit der Zeit immer mehr
beschränkt wurde, 11) weil seine früheren Untertanen eine ihm
ebenbürtige Stellung errungen hatten und ihrerseits innerhalb
ihrer Territorien die Souveränität beanspruchten, da wurde
zwar die frühere ständische Form des Reichstags beibehalten,
aber er wurde gerade wie der heutige Bundesrat ein Kollegium
aus bevollmächtigten Vertretern 12) der deutschen Landesherrn
und dementsprechend der Machthaber in den freien Reichsstädten.
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10) Laband, Staatsr. I, S. 287; v. Mohl, S. 280; Schulze, Lehrb. II,
S. 47; Zorn, Staatsr. I, S. 152, Anm. 17. Vgl. dagegen die Einwendungen
Mehers, Lehrb. S. 427, Nr. 3. Ruville meint dagegen sogar, daß der
Bundesrat eine rechtliche Fortsetzung des alten Reichstags sei. (S. 225).
Vgl. außerdem noch: Reincke, Der alte Reichstag und der neue Bundesrat;
Gierke, Das alte und das neue deutsche Reich. Deutsche Zeit= und Streit-
fragen III, Heft 35.
11) Manche sagen deshalb, das deutsche Reich habe sich aus einer
ständisch beschränkten Monarchie in eine Aristokratie mit monarchischer
Spitze umgewandelt, andere erklären es sogar für einen Staatenbund,
eine lose Vereinigung mehrerer selbständiger Staaten. (So redete der
Preßburger Friede 1805 von der confédération germanique.) Dem steht
aber entgegen, daß grundsätzlich dem Kaiser die Souveränität zustand, die
er allerdings zum größten Teil an Fürsten und Städte vergeben hatte.
(Mehyer, Lehrb., S. 67).
12) Als der Reichstag nur zeitweise tagte, erschienen die Reichsfürsten
persönlich. Erst als er in Regensburg ständig versammelt war, ließen sie
sich durch eine unbeschränkte Anzahl bevollmächtigter Beamten vertreten.
So entwickelte sich der Reichstag zu einem ständigen Gesandtenkongreß.