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Auch den Winter über herrschte fast völlige Ruhe an der
Front.
Das neue Jahr 1917 machte die Division so recht mit
den Leiden des russischen Winters bekannt. Die Temperatur
sank auf 20 Grad Kälte, die Seen froren fast zu; erhöhte
Wachsamkeit machte sich deshalb auch in der Seenstellung
notwendig.
Im Februar wurde, um die Vermischung preußischer
und sächsischer Truppenteile in der Kriegsgliederung zu be-
seitigen, ein Tausch zwischen den beiden preußischen Batail-
lonen des Infanterieregiments 425 und den beiden sächsischen
des Infanterieregiments 351 vorgenommen. Die beiden zur
123. Infanteriedivision tretenden sächsischen Bataillone wur-
den mit dem I. Bataillon Infanterieregiments 425 zu dem
sächsischen Infanterieregiment 351 vereint.
Am 26. Februar kehrte das Reserve-Infanterieregiment
106 von der achten Armee zurück und wurde Korporeserve,
bis es mit Teilen im April zur Ablösung des II. Batail-
lons Infanterieregiments 178 in die vorderste Linie rückte.
Im Mai wurde auch der Südabschnitt taktisch der 248.
Infanteriebrigade unterstellt. Die Brigade verlegte ihr
Quartier nach Polowoizy.
Mit Eintritt der Frühjahrs trat die Schneeschmelze ein,
welche etwa vierzehn Tage anhielt. Der hierdurch in der
Stellung angerichtete Schaden war erheblich. Die Aus-
besserung an den Stellungen erforderte viel Zeit und alle
verfügbaren Kräfte. Die Annäherungs= und Verbindungs-
wege standen mehrere Tage unter Wasser. Die Batterie-
stellungen litten kaum nennenswert unter der Schnee-
schmelze, dagegen wurden die rückwärtigen Verbindungen
sehr erheblich beschädigt. Sie wurden durch das Auftauen
bald völlig grundlos. Der Wagenverkehr wurde beinahe
unmöglich. Bei dem schlechten Zustande der Pferde muß-
ten ganz außergewöhnlich hohe Anforderungen gestellt wer-
den, um den Betrieb einigermaßen aufrecht erhalten zu
können. Auch für die Wegebesserung wurden alle nur irgend
verfügbaren Arbeitskräfte beansprucht. Die Wilia führte
kurz nach dem einsetzenden Eisgange ein derartiges
Hochwasser, daß ein Teil der Feldbahnstrecke beim Vor-
werk Tupalschtisna mehrere Tage unter Wasser stand und
unbenutzbar war. Der Nachschub an Verpflegung und
Material mußte ausschließlich durch Kolonnenfahrzeuge auf-
recht erhalten werden.
Die Russen begannen in ihrem Verhalten den Deutschen
gegenüber jetzt recht zutraulich zu werden. Wiederholt kamen
sie, meist Tücher schwenkend, in die vordere deutsche Linie.
Meist wurden sie, mit Zeitungen versehen, wieder zurück-
geschickt. Sie erzählten, daß sich bei ihnen englische und
französische Offiziere befänden, die ihnen nicht erlauben
wollten, die Gräben zu verlassen. Eines Tages wurden
plötzlich etwa loo Russen gesehen, welche sich außerhalb
der Deckung bewegten und weiße Tücher gegen die deutschen
Linien schwenkten. Auch eine schwarz-weiß-rote Fahne sah
man in der russischen Stellung wehen.
So verbrachte die 123. Infanteriedivision bis Mitte
Juli eine ausgiebige Erholungsseit.
Erst durch die am 10. Juli beginnende russische Angriffs-
schlacht bei Smorgon—Krewo wurde die 123. Infanterie-
division in weitgehendstem Maße in Anspruch genommen.
Erhebliche Kräfte der Division gingen zur unmittelbaren
Abwehr des russischen Angriffs und zu Wiedergewinnung
verlorenen Geländes nach dem Kampfgelände des ver-
stärkten III. Armeekorps ab. Das gesamte Reserve-Infan-
terieregiment 106, je eine Maschinengewehrkompagnie der
Negimenter 178 und 351, die beiden Lehrkompagnien der
Division, verschiedene Feld- und schwere Batterien wurden
teils in ununterbrochener Fahrt auf den Feldbahnen, teils in
starken Fußmärschen in das Kampfgebiet überführt. Die
123. Infanteriedivision erlitt hierdurch eine erbebliche
Schwächung. Nur 9 Bataillone, darunter 3 Landsturi-
bataillone, verblieben der 123. Infanteriedivision inzwi-
schen zur Verteidigung ihres beinahe 20 Kilometer breiten
Abschnitts. Mit schweren Angriffen des Gegners an der
Front der 123. Infanteriedivision mußte jederzeit gerechnet
werden, da solche durch das Gelände wie durch die allge-
meine taktische Lage äußerst begünstigt erschienen. Um den
Gegner über die eigene Schwäche einerseits im Unklaren
zu lassen und ihm andererseits Entlastungsangriffe vor-
zutäuschen, befahl die Division die starken feindlichen Stel-
lungen von Dubatowka bis Simionki durch zusammen-
gefaßtes Artillerie-und Minenwerferfeuer zu zerstören und
von ihnen mit starken Stoßtrupps Besitz zu ergreifen. In
mustergültiger Weise vollzog sich das an mehreren Tagen
wiederholte Zerstörungsschießen. Mit großem Schneid war-
fen am 18. Juli die Stoßtrupps des Infanterieregiments
178 den Gegner auf fast 4 Kilometer Breite aus seinen
Stellungen am Park von Dubatowka, Leschtschenjäty und
Simionki, aus denen der Gegner von dieser Zeit ab für
immer verdrängt blieb. Während des Zerstörungsschießens
auf die feindlichen Gräben wurden über das sumpfige
Hintergelände flüchtende russische Abteilungen durch gut
liegendes Artilleriefeuer gefaßt und zerstreut.
Abgesehen von der Besitznahme des starken russischen
Stellungssystems wurde durch Uberläuferaussagen fest-
gestellt, daß der Gegner deutsche Entlastungsangriffe im
Bereiche der 123. Infanteriedivision befürchtete und in-
folgedessen Kräfte, die für seine Angriffe im Raume Smor-
gon— Krewo bestimmt und schon dorthin in Marsch gesetzt
waren, gegenüber der 123. Infanteriedivision zurückhielt.
Durch unablässige Vorstöße wurde der Gegner dauernd in
dieser Beurteilung der Lage bestärkt. Während so alle unter
dem Befehl der 123. Infanteriedidtsion stehenden Trup-
pen sowohl in schneidigen Unternehmungen als auch in
dauernder höchster Gefechtsbereitschaft vortreffliches leiste-
ten, hatten die auf dem eigentlichen Kampffelde der Ab-
wehrschlacht eingesetzten Truppen der Division hervorragen-
den Anteil an der Rückeroberung der von der 226. Infan-
teriedivision verlorenen Stellungen.
Am 20. Juli wurde das Reserve-Infanterieregiment 106
nach Soly in Marsch gesetzt. Die im Abschnitt eingesetzten
Regimenter 178 und 351 beunruhigten den Feind weiter
durch Patrouillenunternehmungen. So zeichneten sich am
26. August Stoßtrupps aus, welche gegen die feindlichen
Stellungen bei Simionki vorgingen. Einer dieser Abtei-
lungen gelang es durch die stark beschädigten Hindernisse
in die feindlichen Gräben einzudringen. Ohne auf einen
Russen zu stoßen, wurde der Graben auf etwa 300 Meter
Breite abgesucht. Außer herumliegender Infanteriemuni-
tion wurden keine Ausrüstungsstücke oder Waffen gefunden.
In der Morgendämmerung kehrte der Stoßtrupp ungehin-
dert in die Ausgangsstellung zurück. Zwei andere Stoß-
trupps kamen bis an die feindlichen Horchposten heran.
Hier wurden sie von den russischen Grabenbesatzungen leb-
haft beschossen und zur Rückkehr gezwungen. Am Abend des
27. Juli griff ein Teil der Divisionskampfschule Simionki
an. Es gelang in den russischen Graben einzudringen und
einen Posten und einen anderen Russen nach heftiger Gegen-
wehr im Unterstande niederzumachen.
Auch in den nächsten Tagen war die Patrouillentätigkeit
rege, bis am 2. August vom verstärkten III. Armeekorps
der Befehl eintraf, daß die 123. Infanteriedivision von
der 226. Infanteriedivision, der sie in den Abwehrkämpfen
so tatkräftig Hilfe geleistet hatte, abgelöst würde und in
der Gegend von Soly zu anderweitiger Verwendung bereit-
zustellen sei. Am 3. und 4. August wurde die ÜUbergabe
des Abschnitts durchgeführt. Die Truppen gelangten dann
mittels Förderbahn und Landmärschen in die Gegend von
Soly und wurden dort untergebracht. Sie fanden hier in