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den innerhalb des neutralen Gebiets wurden immer frecher.
Transporte mit kleinen Begleittrupps wurden überfallen,
so am 9. August zwischen Starodub und Klinzy. Bahn-
stationen und Bahnanlagen wurden mehrfach zerstört, die
Fernsprechanlagen dauernd unterbrochen. Die Patrouillen-
dampfer auf der Deßna erhielten aus den ausgedehnten
Wäldern häufig starkes Feuer. Am 14. August wurde die
7. Kompagnie Landwehr-Infanterieregiments lo4 in Wo-
robjewka von einer Bande mit Maschinengewehren und Ge-
schützen überfallen und verlor 23 Mann, meist beraubt und
erschlagen.
Die Bolschewisten trieben fortgesetzt Banden bis zur
Deßna vor, die sich dann in das besetzte Gebiet verteilten.
So machten sich fortgesetzt große Streifen erforderlich, die
aber meist ohne das erwünschte Ergebnis blieben, selbst alo
der Division ein neuerrichtetes ukrainisches Regiment mit
zwei Batterien zur Unterstützung überwiesen wurde. Die
Division beantragte Ende August die Aufhebung des neu-
tralen Gebietes, das sich nur als willkommener Schlupf-
winkel für Bolschewistenbanden erwies, ohne daß den Nussen
die Verantwortung dafür zugewiesen werden konnte. Ende
August wurden ein Jagdbommando und mehrere Postierungen
des Landwehr--Infanterieregiments 106 an der Deßna an-
gegriffen. Vor Nowgorod sollten mehr als 2000 Bolsche-
wisten einen Angriff planen. Dabei wurde der Zustand der
Pferde bei der Überanstrengung und dem wenigen Hart-
futter, das zu Gebote stand, immer schlechter. Die Infan-
terieregimenter hatten für Patrouillenzwecke berittene Trupps
eingeführt. Sie sollten auf 30 Reiter je Bataillon im Sep-
tember gebracht werden. ,
Anfang September drohte auch ein Bandenüberfall auf
Starodub und die Orte in seiner Nähe. Ebenso wurde ver-
sucht, das gesamte rollende Material der Bahn betriebs-
unfähig zu machen. Am 9. September warf eine größere
Streifabteilung vom II. Bataillon Landwehr-Infanterie-
regiments 104 bei Kamen eine feindliche Bande von 300
Mann über die Deßna zurück und erbeutete Waffen. Bei
der Bande sollten sich Matrosen mit mehreren Geschützen
befinden. Tatsächlich wurde Lienkow mehrere Tage darauf
von Artillerie beschossen. Am 190. September nahmen Ban-
den sogar den Tagesdampfer, der zwischen Nowgorod und
Tschernigow verkehrte, weg.
Auch bei Klinzy wurde es Ende September unruhig.
Dort brach zudem in einem Dorfe die Cholera aus. Der
Hauptaufwiegler in Klinzy, ein Jude, wurde Ende Sep-
tember mit einigen Mitverschworenen festgenommen. In-
zwischen spitzte sich die Lage an der Deßna immer mehr zu.
Es kam zu stundenlangem Artillerieduell vier Kilometer
nördlich Nowgorod, wobei die Banden Gasmunition ver-
schossen. Ukrainische Truppen mußten die ihnen als Quar-
tier überwiesenen Orte gegen Banden erst erkämpfen. Bol-
schewistenbanden nahmen in einzelnen Ortschaften Aus-
hebungen der Jahrgänge 1916—19 vor.
Im Laufe des Obktobers hörten die Bandenkämpfe an der
ganzen Frontlinie der Division nicht mehr auf. Sie ver-
liefen durchweg günstig für die Deutschen. Verhandlungen
mit den Russen, auch ihrerseits dem Bandenunwesen im
neutralen Gebiet zwischen beiden Fronten entgegenzutreten,
verliefen ergebnislos.
Ende Obtober wurden Pläne für den Rücktransport des
OÖstheeres entworfen. Das hob die Stimmung der Truppen,
die besorgt nach der Heimat schauten, von woher die Nach-
richten immer spärlicher einliefen und bedrohlicher lauteten.
Die Versammlung der Division um Nowosybkow behufs
Bahnabtransportes von dort stand in Aussicht. Da erfolgte
am 9. November der Heeresbefehl, der Urlaubssperre an-
ordnete. Der alten Landwehrleute, die seit Wochen ohne
Briefe von daheim waren, bemächtigte sich gewaltige Auf-
regung. Noch aber kam es nicht zu Ausschreitungen. Ver-
ständigerweise wurde von den höchsten Kommandostellen
am 12. November die Bildung von Vertrauensräten bei den
Kompagnien angeordnet. Das lenkte die Aufregung in ruhi-
gere Bahn. Verbrüderungsversuche von einzelnen Trupps
des Landwehr-Infanterieregiments 106 mit den russischen
Bolschewisten fanden glücklicherweise keine Nachahmung.
Nachdem sich in den nächsten Tagen in Kiew und Gomel
Soldatenräte gebildet hatten, blieb der Division nichts übrig,
als auch die Wahl von Soldatenräten nunmehr anzuordnen.
Der Divisionskommandeur und im gleichen Sinne die Trup-
penkommandeure wiesen auf die Aufgabe der zu wählenden
Ausschüsse hin, Ermöglichung geordneten Rücktransportes
durch Aufrechterhaltung der Ordnung und freiwilligen Un-
terordnung. Die Wahlen fielen meist ganz verständig aus,
Offiziere wurden in die Ausschüsse durchweg gewählt. So
blieb Verständigung stets möglich, wenn auch kurzsichtige
Selbstsucht der Einzelverbände manchmal drohte, das Ge-
lingen des geordneten Abtransportes der ganzen Diovision
zum Scheitern zu bringen.
Am 20. November fiel Schnee. Die Landwege wurden
fast unbenutzbar. In diese Tage fielen die Märsche zur Ver-
sammlung der Division an der Bahnstrecke Nowosybkow—
Klinzy. Die Schwierigkeiten des Landmarsches mit dem ge-
waltigen Troß und den schlechtgenährten Pferden wurden
in der Hoffnung auf baldige Heimfahrt überwunden. Da
traf am 23. November die Nachricht ein, daß die deutschen
Besatzungstruppen in Polen in feiger Flucht vor einer kleinen
Schar junger Polen das ganze Bahnnetz und die deutschen
Heeresvorräte in Polen preisgegeben hatten. Nur die Bahn-
verbindung über Bialystok und Grodno blieb noch für das
deutsche Ukraineheer. Gleichzeitig mußte dieses Bahnnetz
auch die nördlich anschließende deutsche zehnte Armee be-
nutzen. Große Verzögerungen im Abtransport standen somit
bevor. Die Unruhe wuchs, aber es gelang, kopfloser Uber-
stürzung vorzubeugen. Dabei traten die russischen Bolsche-
wisten immer bedrohlicher auf. Sie bereiteten offensichtlich
einen allgemeinen Angriff an der ganzen Bahnlinie von
Robzick bis Gomel vor. Um ein Nachdrängen stärkerer
Kräfte aus Richtung Brjansk zu vereiteln, wurde am 2 5.No-
vember die große Bahnbrücke bei Robzick gesprengt. Da die
Sprengung nicht völlig gelang, wurden in den nächsten Tagen
auch noch mehrere kleine Brücken zerstört. Am 28. November
überfielen die russischen Bolschewisten den Bahnschutz in
Klinzy mit Erfolg. Es kostete Mühe, die kampfmüden Trup-
pen zu einem Gegenangriff zu bewegen. Sie wollten mit
den Gegnern, die bisher jeden Vertrag unerfüllt gelassen
hatten, verhandeln. Aber bald siegte bei den vernünftigen
Sachsen die Einsicht. Der Gegenangriff hatte vollsten Er-
folg. Der Gegner büßte zahlreiche Gefangene und Ma-
schinengewehre ein und hatte starke blutige Verluste. Das
hob das Selbstvertrauen der Division wieder etwas. Von
Heeresgruppe und Generalkommando trafen Anerkennungs-
befehle ein. Aber der Drang, in die größeren rückwärtigen
Städte zu kommen, nahm bei allen noch an der Feindes-
front stehenden Abteilungen immer mehr zu. ·
Anfang Dezember wurden dann auch die vordersten Stel-
lungei. gerciumt. Die Division zog sich um Nowosybkow
zusammen. Um für den Abtransport an Wagen zu sparen,
wurde alles bis dahin entbehrlich werdende Heeresgerät
verkauft oder vielmehr verschleudert, selbst Automobile, Wa-
gen und Pferde. Bis Mitte Dezember wurde die Räu-
mung von Klinzy durchgeführt. Landwehr-Infanterieregi-
ment 104 erreichte Gomel. Aber der Abtransport von dort
versagte. Es fehlten Lokomotiven und Wagen. Auch die
ukrainischen Bahnbediensteten versagten mehr und mehr.
Der Bevölkerung der Städte bemächtigte sich steigende
Angst vor den Bolschewisten und vor ihrer Rache wegen
der bisherigen Begünstigung der Deutschen. In Gomel
drangen sogar Bolschewistenbanden ein. Der Soldatenrat