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reits den Njemen überschritten hatte. Er selbst hatte außer
den 8000 Mann der Division Durutte nur noch 9000 Sach-—
sen zur Verfügung, die Osterreicher standen weit entfernt
in Bialystok. Er beschloß daher gegen Warschau zurück-
zugehen. Über Siemiatycze erreichte er den Bug, den er an
den Weihnachtsfeiertagen bei Drohiczyn überschritt. Um
Neujahr stand er zwischen Liwiec und Osownica, Haupt-
quartier Czarnoklow, am 3. Januar ging er nach Okuniew,
östlich Warschau, zurück, General von Gablenz übernahm
am 9. Januar wiedergenesen die Führung der Nachhut, mit
der er am 11. ein Aufklärungsgefecht bei Liw führte. Das
Korps wurde dicht an Warschau herangenommen und über-
schritt hier, nur noch 5700 Mann im ganzen stark, Ende
Januar die Weichsel, 1500 kranke Sachsen blieben in der
Stadt zurück.
Die bisher wenig vom Feinde belästigten Österreicher
Schwarzenbergs besetzten Warschau, die Sachsen und Du-
ruttes Völkergemisch zogen gegen Kalisch ab, 600 Mann
(Oberstleutnant von Bose) und 1200 von Durutte be-
setzten Modlin.
Auf der großen Straße über Rawa, Brzeciny, Pabianice,
Szadek, Warta langte man, umschwärmt von den Kosaken,
bei Kozminek an und bezog am 13. Februar in der näheren
Umgebung von Kalisch unvorsichtigerweise Ortsunterkunft,
eine Maßnahme, die nur durch die große Ermüdung der
Truppen und das Wetter erklärt werden kann. Kaum in
die Quartiere gelangt, wurden die Sachsen von überlegenen
Russen überfallen. Trotz guter Haltung und entschlossener
Führung büssten sie abermals 1000 Mann ein, die Seiten-
deckung Gablenz wurde über Opatéwek nach Brzeziny und
Krakau abgedrängt. Reynier sammelte, was er erreichen
konnte, in Kalisch und zog über Raschkow, Krotoschin,
Kobplin, Rawitsch nach Glogau, rastete hier einige Tage,
um dann über Sprottau nach Bautzen zu marschieren, das
er am 1. März erreichte. Hier wurde er von Thielmann
aufgenommen. Der lange Leidensweg schien zu Ende zu
sein.
Die Reiterbrigade Thielmann, die in Kalisch beim Vor-
marsche abgetrennt und zur Großen Armee gezogen worden
war, kämpfte bei dieser in allen großen Schlachten des
Feldzugs ruhmvoll mit. Bei Borodino ritten die sächsischen
Reiter den hinter dem Dorfe Semenovskoje stehenden Feind
nieder, kaum gesammelt stürmten sie die stark bewehrte
Rajewski-Schanze und hielten sie gegen erbitterte Rück-
eroberungsversuche der Russen. 41 Offiziere und 300 Mann,
die Hälfte des Bestandes, fiel in diesem entsetzlichen Kampfe.
Die Uberlebenden erreichten Moskau, aber wenige Tage
später mußte Thielmann, bereits auf dem Rückzuge, dem
Könige schreiben: „Ich kann mit evidenter Gewißheit sagen,
daß ich in wenigen Tagen Eurer Majestät nichts anderes
zu Füßen legen kann, als unsere Ehre und unser Leben.“
Am 1o. November berichtete er, daß vom 4. Kavallerie=
korps nur 58 Mann Smolenök erreicht hatten. Kein Mann
der reitenden Batterie Hiller sah das Sachsenland wieder.
Am 28. November erzwang sich Thielmann mit wenig Offi-
zieren und Mannschaften, den Degen in der Faust, den
UÜbergang über die Beresina. Von der ganzen stolzen Bri-
gade kehrten nur 20 Offiziere und 7 Mann heim, später
folgten noch 43, die die Kriegsgefangenschaft überlebt hatten.
Die Prinz-Albrecht-Chevauxlegers, 628 Mann, von denen
2 Schwadronen (von Helbig) zu den „Truppen des Haupt-
quartiers“ abkommandiert wurden nahmen im Verbande des
3. Reserve-Kavalleriekorps Grouchy an den Schlachten bei
Krasnoi (14. August), Smolensk (106., 17. August) und
Borodino (7. September) teil. Sie kamen bis an die Tore
Moskaus und schmolzen dann zusammen wie Schnee an
der Sonne. Oberst Lessing brachte nur 14 Offiziere und
12 Chevaurlegers heim.
Das Chevaurlegersregiment Prinz Johann und die In-
fanterieregimenter von Rechten und Low waren mit Sonder-
aufträgen ins Feld gezogen. Auch sie gelangten unter Mar-
schall Victors Führung bis in die Nähe von Smolenok,
mußten sich aber dann dem allgemeinen Rückzuge an-
schließen. Nach einem blutigen Strauße bei Szmolfany
nördlich der Straße Smolensk—Boriszow am 14. Novem-
ber erreichte das Korps am 26. die Beresina, zwar ge-
ordnet, doch schon sehr geschwücht. Am 27. bekam Vicetor
den Auftrag, den Ubergang der letzten Truppen zu sichern.
Hierbei gerieten die Reste der Johann-Chevaurlegers, etwa
200 Mann, unter Oberst von Raisky infolge eines Miß-
verständnisses in Gefangenschaft. Die beiden Infanterie-
regimenter hielten mit Heldenmute bis zuletzt stand, über-
schritten dann am 28. in guter Ordnung als die letzten
den verhängnisvollen Fluß und verbrannten die Brücke.
Immer kleiner wurde das Häuflein der Tapferen und Ge-
treuen. Noch 100 Mann stark verließen beide Regimenter
die Beresina, noch 650 Mann waren es, die am 4. Dezem-
ber bei Molodeczno den Uszaübergang verteidigten, 44 fielen
dabei. 3 Offiziere und 16 Mann kehrten aus dem Ge-
fechte zurück. Die 4 Fahnen beider Regimenter wurden
glücklich bis Wilna gebracht, hier fielen sie am 20. De-
zember bei einem Nachtkampfe den Russen in die Hände.
Nur 10 Offiziere-vom Regiment Rechten und 6 von Low
behrten heim, sonst niemand!
Das Regiment Prinz Marimilian war im August 1812
nebst einer Batterle zur Dioision Morand an die Ostsee-
küste gesandt worden. Am 31. März 1813 besetzte es
Lüneburg und wurde hier am 2. April vom Freikorps Dörn-
berg nach hartem Kampfe, in dem Morand fiel, gefangen
genommen.
So war im Frühjahr 1813 das stolze schöne Heer
Sachsens nach ruhmreichem Kampfe für fremde Ehre ver-
nichtet, wie noch nie ein Heer vernichtet war. Nur die
Leibgrenadiere, die Leibkürassiergarde und das Jägerkorps,
die nicht mit ins Feld gezogen waren, bestanden noch.
Thielmann, nunmehr Generalleutnant, hatte nach seiner
Nückkehr aug Rußland vom Könige am 24. Februar 1813
Befehl bekommen, die Leitung der Befestigung von Torgau
und die Neubildung der sächsischen Wehrmacht zu über-
nehmen. Er nahm mit den wenigen, kaum errichteten
Truppenteilen die Reste des Korpo Reynier, etwa 3000
Mann der Division Durutte und 2500 Sachsen unter Lecoq,
in der Lausitz auf. Am 7. traf Neynier in Dre#den ein.
Seine Truppen sahen erbärmlich aus; froh waren die
Sachsen, die Heimat wieder erreicht zu haben. Doch der
Feind drängte nach, die Sprengung der Elbbrücke wurde
vorbereitet, was zu großen Unruhen führte. Ein Hilfs-
korps unter Davouts eigner Führung marschierte ein, Rey-
nier legte den Befehl am 13. März nieder und reiste nach
Paris ab. Die Ereignisse jagten sich. Am 19. wurde die
Brücke gesprengt. Oavout zog wieder ab und überließ Du-
rutte die Deckung. Auch dieser konnte sich nicht halten und
verließ am 26. nachts die Elbe.
Bereits am 25. war der Rest der Sachsen, 1436 Mann,
von Lecoq in 4 Bataillone eingeteilt, auf Befehl des Königs
nach Torgau abmarschiert, w# sie unter Thielmanns Be-
fehl traten. Der Generalleutnant hatte Befehl, die Festung
beiden Parteien zu sperren, auch den etwa siegreich an die
Elbe zurückkehrenden Franzosen. ,
Sachsens Lage war nun äußerst schwierig. Das Heer,
das Werkzeug aller Staatsgewalt, zunächst zertrümmert
und unbrauchbar, der bisherige Verbündete, Napoleon, dem
der König sich hatte anschließen müssen, besiegt zwar von
den Naturkräften, aber immer noch stark genug, um den
wider ihn aufstehenden Völkern zu trotzen, und reich genug
an Mitteln, aufs neue gewaltig zu rüsten und ihre Unter-
werfung zu versuchen. Auf der anderen Seite die Urmacht
der Volkserhebung! Erträgt doch kein gesundes Volk innere