290
Einheit vollenden sollte. Zehn Tage später begannen die
Abmärsche der Sachsen. 29 Bataillone, 24 Schwadronen,
96 Geschütze, zusammen 31000 Mann rückten ins Feld.
Zunächst ging es nach Wiesbaden, dann über Mainz, wo
am 29. Kronprinz Albert den Oberbefehl übernahm, durch
die Pfalz an die französische Grenze, die am 11. August
unter dem begeisternden Eindrucke der ersten Siege über-
schritten wurde. Südlich von Metz, bei Pont-à-Mousson,
ging das Korps über die Mosel und erreichte am Tage nach
dem gewaltigen Kampfe das Schlachtfeld von Mars-la=
Tour. Nach einem schlimmen Nachtlager wurde am Morgen
des 18. August der Vormarsch angetreten und gegen Jarny,
dann rechts abbiegend auf St.-Marie-aux-Chênes und Non-
court vorgegangen, die beide genommen wurden. Von dieser
neuen Stellung aus, die den rechten Flügel der Armee
Bazaines, das Korps Canrobert, umfaßte, griffen die
Sachsen nach einer mächtigen Artillerievorbereitung das
festungsähnliche Dorf St. Privat von Norden her an, wäh-
rend die Garde von Westen her anstürmte. Nach hartem
Kampfe wurden sie Sieger. Dieser Ruhmestag kostete den
Sachsen 106 Offiziere und 2100 Mann.
Bereits am folgenden Tage übernahm Prinz Georg das
XII. Korps. Kronprinz Albert trat an die Spitze der soeben
gebildeten 86 000 Mann starken Maasarme (Garde, IV.
und XII. Korpo), mit der er zunächst nach Westen, dann,
als in der Nacht zum 26. die große Rechtsschwenkung be-
schlossen wurde, nach Norden marschierte. Mac Mahon,
der Führer der französischen Armee, hatte auf Weisungen
aus Paris seinen Rückzug nach Westen unterbrochen und
den Versuch gewagt, im großen Bogen um den deutschen
rechten Flügel herum nach Metz zu gelangen. Bereits am
27. August nahmen die sächsischen 3. Reiter (zuletzt Kara-
binierregiment) die Fühlung mit dem Gegner bei Busancy
wieder auf, am 29. wurde bei Nouart gefochten. Am
30. gelang es, den unvorsichtigen Gegner bei Beaumont zu
überraschen und über die Maas zu werfen. Nach großen
Märschen langte das Korps am Abend des letzten August-
tags bei Doucy an und ging in der angenehmen Aussicht
auf einen Rasttag zur Ruhe über. Allein der 1. September
brachte etwas ganz anderes: blutigsten Kampf auf dem öst-
lichen Teile des Schlachtfeldes von Sedan und herrlichsten
Sieg, Kaiser Napoleon wurde mit seinem Heere gefangen.
Dem Schlachttage folgten angenehme Mirsche in kleinen
Verbänden bei guter Verpflegung und prächtigem Herbst-
wetter, aber nicht heimwärts, wie man nach der fürchter-
lichen Niederlage der Franzosen allgemein geglaubt hatte,
sondern gegen Paris. Am 19. September rückte das Korps
in seinen Bereich östlich der Festung zwischen Ourcq-Kanal
und Marne ein. Der Abschnitt war 9½ Kilometer lang.
Rechts schloß er an das Gardekorps, links an die Württem-
berger an. Die Forts Nogent, Rosny, Noisy und Romain=
ville lagen etwa 7 bis 8 Kilometer vor der Front. Im
Zwischengelände, anfangs als neutral betrachtet, lag der
Mont Avron. Bis Mitte November blieb es an der sächsi-
schen Front ruhig, dann deuteten starke Bewegungen auf
neue Kämpfe. Ein Entsatz von Paris wurde von den Fran-
zosen in großem Stile geplant. Von Süd und Nord sollten
Feldarmeen dabei mitwirken, während die eingeschlossenen
Truppen einen Ausfall und Durchbruch unternähmen.
Mit der Besetzung des Mont Avron und seiner Bestückung
mit 30 schweren Geschützen leiteten die Franzosen am
29. November den Kampf ein.
Am 30. November gelang es dem Gegner, sich unter
starken Verlusten auf dem linken Marneufer festzusetzen.
Zwei Tage später aber wurde er trotz seiner drei= bis vier-
fachen Ubermacht von der 23. Diviston bei Brie und Vil-
liers aufgehalten. Der Durchbruch war vereitelt.
Die lang ersehnte Beschießung des Mont Avron begann
am 27. Dezember. Daran beteiligten sich auch zwei eben
eingetroffene sächsische Kompagnien Festungeartillerie. Be-
reits am nächsten Tage verließ der Feind die Stellung.
Die nun überall beginnende Beschießung der Festung
Paris brach den Rest der Widerstandskraft. Am 28. Ja-
nuar 1871 wurde der Waffenstillstand abgeschlossen.
Noch unter dem Donner der Geschütze war am 18. Ja-
nuar in Versailles die Wiederaufrichtung des deutschen
Kaisertums verkündet. Heller Jubel erfüllte die Herzen der
Krieger, wie er die Heimat zu begeisterter Freude fortriß.
Ein sehnsuchtsvoller deutscher Traum war erfüllt.
Am 11. Juli 1871 zogen die Kampftruppen bis auf die
in Frankreich zur Besatzung zurückgebliebene 24. Division
in Dresden ein.
Dieser glückliche und seit 1740 erste völlig erfolgreiche
Krieg hatte dem sächsischen Heere 301 Offiziere und 6534
Mann gekostet, das sind 27% der Ausrückstärke bei den
Offizieren, 11,60% bei den Unteroffizieren und Mann-
schaften.
Auf dem langen Wege, den das Heer seit 1740 zurück-
legte und der es von der Ostsee bis nach Ungarn, von
Flandern und Holland bis Moskau und Wolhynien führte,
war viel Mühsal, Not und Elend in seinem Gefolge, selten
lachte ihm die Sonne des Ruhms und das Glück. des Sieges.
Aber immer war es tapfer.
Oft war es das Werkzeug einer fehlerhaften Staats-
kunst. Obersachsen, das dem deutschen Volke so viele Ge-
lehrte, Künsiler, Dichter und Musiker, Erfinder und Han-
delsherrn geschenkt hat, war immer arm an bedeutenden
Staatsmännern. So finden wir Land und Heer zumeist
auf der falschen Seite, erst das Jahr 1866 brachte darin
nach schmerzlichster Erfahrung entschiedenen Wandel.
Alle Schicksale, die ein Heer treffen können, erfültten sich
am sächsischen. Es erlebte Sieg und Niederlage, es mußte
das schwerste über sich ergehen lassen, das der Soldat er-
leiden kann, die Entwaffnung und Untersteckung unter die
feindlichen Fahnen — 1756, und ihm blühte höchstes Glück,
Gefangennahme der Streitmacht des Gegners samt seinem
Kaiser und ein von Anfang bis zum Ende siegreicher Krieg,
— 1870/71.
In Sieg und Unglück bewahrte es unerschütterliche Treue
seinem Fürsten und seinem Vaterlande. In stolzer Er-
innerung werden uns die Helden bleiben, die Leib und Leben
für ihr schönes Vaterland opferten. Mit Nührung und
Bewunderung gedenben wir derer, die, zum Dienste im
feindlichen Heere gezwungen, durch alle Gefahren sich furcht-
los durchschlugen, um aufs neue für ihre Heimat fechten
zu können, und derer, die, von Gewissensnot gepeinigt, selbst
die Schmach des Uberlaufens im Kampfe auf sich nahmen,
um nicht länger dem Fremden zu fronen; und auch die
wollen wir nicht vergessen, die ihre Treue zu Meuterei und
Aufruhr verführte, sie irrten nicht aus Selbstsucht, sie trieb
heiße Liebe zum Sachsenlande. .
Viermal brach das sächsische Heer seit 1740 völlig zu-
sammen, 1756, 1796, 1806 und 1812/13. Jedesmal stand
es nach bkurzer Zeit wieder kampffähig im Felde.
Heute ist das sächsische Heer wieder einmal aufgelöst, nach
einem Kampfe, so riesengroß, wie ihn die Welt noch nicht
sah, und so ruhmvoll, wie ihn noch kein Heer gegen eine ge-
waltige Übermacht geführt hat. Wie eines großen geliebten
Toten denken wir seiner, in tiefer Wehmut, mit trauerndem
Stolze, galt doch von ihm allezeit das Wort, das König
Johann 1866 den geschlagenen Truppen zurief: „Das
sächsische Heer wird unter allen Verhältnissen dem säch-
sischen Namen Ehre machen.“ . „⅛
Gott gebe ihm eine fröhliche Urständ! Denn „ein Volk,
sagte Jahn in trübsten Zeiten, „das mit Lust und Liebe die
Ewigkeit seines Volkstunis auffaßt, kann zu allen Zeiten
sein Wiedergeburtofest und seinen Auferstehungstag feiern“-