Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

das Reich 500 Millionen Mark für Darlehen zur Ver— 
fügung stellen sollte, berief der Hauptausschuß für Krieger- 
heimstätten in Berlin, um hierzu Stellung zu nehmen, eine 
Vertreterversammlung, die am 8. und 9. Juni 1918 
in Berlin in einem Hörsaal der Landwirtschaftlichen Hoch- 
schule — Invalidenstraße 42 — tagte, ein. Es wurde vor 
über 300 Teilnehmern zunächst über den Stand der Heim- 
stättenfrage vom Vorsitzenden, Herrn Oamasche, berichtet. 
Sodann wurden die inzwischen am 3. April aus dem ersten 
Entwurf durch die Professoren W. von Blume-Tübingen, 
E. Erman-Münster und Jacobi-Münster gebildeten zwei 
Gesetzentwürfe (über das Heimstättenrecht und über Krieger- 
heimstätten) nochmals durchberaten und zu einem neuen ein- 
heitlichen Entwurfe eines 
Reichsgesetzes über Heimstättenrecht und 
Kriegerheimstätten 
C,Bdrf.“ 1918 S. 306—300) vereinigt. 
Nun begann abermals eine Zeit des Harrens, die Zeit, 
während welcher die große Entscheidung im Weltkriege her- 
ankam. Während wohl noch die Mehrzahl unter uns auf 
einen für uns siegreichen Ausgang des Kampfes hoffte, 
hatte die Lage sich unbemerkt verändert. Es kam der Ab- 
fall Bulgariens. Er bedeutete das Ende unserer militärischen 
Machtstellung, den Anfang jenes Umschwunges, der in 
raschen Folgen dann das Waffenstillstandsangebot, zuletzt 
die politische Umwälzung vom 9. November 1918, jenem 
Schicksalstage erster Ordnung für unser Volk, herbeiführte; 
dieser politischen Umwälzung schloß sich eine wirtschaftliche 
alsbald an. 
Der Umschwung war das Ergebnis einer verhängnisvollen 
Verkettung der Dinge, vielerlei wirkte zusammen — wer 
aber will, wer kann leugnen, daß ein Zusammenhang be- 
stand zwischen dem vaterlandsfeindlichen Geiste derer, die 
den Umsturz herbeiführten, und den Mißständen in unserm 
Wohn= und Siedlungswesen. Das Wohnelend verbittert, 
verroht, entfremdet die Menschen gegeneinander, es macht 
sie unzufrieden und vaterlandsfeindlichen Bestrebungen ge- 
neigt. So hatte sich ein Geist des Mißmutes und des Miß- 
trauens vieler bemächtigt, dessen verderbliche Auswirkung 
den Zusammenbruch recht eigentlich erst erklärt. 
Kein geringerer als ein Ludendorff war sich des 
drohenden Unheils wohl bewußt gewesen. Er hat, nachdem 
er gemeinsam mit Hindenburg durch Dr. Damaschke persön- 
lich im großen Hauptquartier über das große Vorhaben 
des Hauptausschusses für Kriegerheimstätten unterrichtet 
worden war, nichts unterlassen, um dieses Werk zu fördern, 
hat Anweisung gegeben, auf die Bedeutung dieses Vorhabens 
in der Aufklärungsarbeit gebührend hinzuweisen, hat auf 
Verabschiedung des geplanten Gesetzes mit Entschiedenheit 
gedrungen. Aber mit welchem Erfolge? Im Heere wurde 
von anderer Seite entgegengewirkt, und an allerhöchster 
Stellle hatte ein Helfferich, wie die „Bodenreform“ 
berichtet, es verstanden, die Bedeutung der Sache zu ent- 
bräften, indem er Kriegerheimstätten, bei denen die freie 
Veräusserbarkeit ausgeschlossen ist, als solche „minderen 
Nechts“ bezeichnete. Weil die freie Veräußerbarkeit aus- 
geschlossen sei, darum „minderen Rechtes“. Wer nur 
einigermaßen Bescheid weiß, wird erkennen, wie notwendig 
gerade diese Beschränkung des Besitzrechtes, die dem Be- 
sitzer überhaupt nicht fühlbar ist, sich erweist, wird wissen, 
daß gerade darin das Heilsame der Maßnahme beruht, 
weil so erst die Mittel dauernd ihrem Zwecke erhalten wer- 
den, die Schädigung der Nachbesitzer durch spekulative 
Preissteigerung der Verkäufer verhütet wird. Jedoch, es 
gelang, die Förderung des Vorhabens zu bintertreiben. Das 
Kriegerheimstättengesetz kam nicht, dafür aber der Zu- 
sammenbruch und der Umsturz. 
Eine neue, völlig andere Sachlage war damit gegeben. 
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Fürs erste galt es, sich überhaupt auf die Veränderung ein- 
zustellen, dann sofort zu handeln. Was war zu tun, um 
den Gedanken der Schaffung eines Reichskriegerheimstätten- 
gesetzes auch unter den neuen Verhältnissen zur Geltung 
zu bringen, ihn seiner endlichen Verwirklichung entgegen- 
zuführen? Am 10. November stellte Dr. Damaschke in einem 
wahrhaft überzeugenden Artikel „Heraus mit dem Heim- 
stättengesetz“ in der „Deutschen Warte“ die hohe Dringlich- 
beit der Angelegenheit mit beredten Worten dar. 
Dann wandte sich der Hauptausschuß am 14. November 
an den Nat der Volksbeauftragten mit der Bitte, in einer 
Notverordnung zu helfen. Mehr ols 500 Arbeiter= und 
Soldatenräte erklärten sofort ihre Zustimmung. Ebenso über- 
wies der Erste Arbeiter= und Soldatenrat, der vom 16. bis 
20. Dezember 1918 in Berlin tagte, einstimmig eine 
Entschließung des Zentralrats zur Berücksichtigung, der den 
großen Grundsatz festlegen wollte, 
„daß der vaterländische Boden, der durch diesen Krieg 
mit einer ungeheuren Bluthypothek belastet ist, für 
alle Zukunft davor bewahrt bleiben soll, wie 
eine beliebige Ware behandelt, jedem Mißbrauch aus- 
gesetzt und zu einem Gegenstand des Wuchers und der 
Ausbeutung erniedrigt zu werden.“ 
So war der Hauptausschuß der Billigung seines Vorhabens 
sicher, fand vielseitige Zustimmung, aber das Gesetz kam 
nicht. 
Ein Schritt vorwärts ist erfreulicherweise aber doch zu 
berzeichnen. Unter dem 29. bez. 24. Januar lol# erschienen 
zwei Verordnungen, die in Beziehung zum Siedlungs- 
wesen stehen. Sie handeln einmal von der Gewinnung von 
Land für Siedlungszwecke und andrerseits von den Arbeits- 
bedingungen der Landarbeiter. 
Die erstere Verordnung verpflichtet die Bundesstaaten, 
gemeinnützige Siedlungsunternehmen zu grün- 
den, denen die Beschaffung des Siedlungslandes obliegt. 
Diesen Siedlungsunternehmen müssen zunächst für ihre 
Zwecke die Staatsdomänen nach Ablauf der Pachtverträge 
zum Kauf angeboten werden. Es wird ihnen auch das Recht 
eingeräumt, Moor= und Odland im Enteignungowege 
zu beschaffen. Den Siedlungsunternehmen wird außerdem 
für alle in ihrem Bezirk gelegene landwirtschaftliche Grund- 
stücke, die größer als 20 Hektar sind, das Vorkaufs= 
recht zugestanden. 
Fragt man zum Schlusse nach dem Erfolge binsichtlich 
der Verwirklichung des Gedankens, so ist zu sagen: ein erster 
Erfolg war die Neichstagsentschließung vom 24. Mai 1916, 
in der einstimmig die baldige Vorlegung eines Reichskrieger- 
heimstättengesetzes gefordert wurde, ein zweiter Erfolg war 
der Kurlanderlaß Hindenburgs vom 17. Juni lol#s, ein 
dritter Erfolg ist die Siedlungsgesetzgebung und #-tätigkeit 
in den Einzelstaaten allenthalben, und ein letzter, jüngster, 
die Landerwerbsverordnung (nebst Landarbeitsordnung) vom 
20. Januar 1919, die sich inzwischen zu dem am 1. Juli 
beschlossenen Reichssiedlungsgesetz fortentwickelt hat. 
Es ist die Leidensgeschichte eines großen Gedankens, die 
wir vor Augen geführt. Daß der Gedanke groß, zeitgemäß, 
dußerst wichtig ist, daran zweifelt niemand mehr ernstlich 
— daß er noch immer nicht voll verwirklicht ist, daran sind 
wohl auch die Umstände mit sehuld, mehr aber die Per- 
sonen an verantwortlicher Stelle, denen es oblag, die Um- 
stände zu meistern. Vieles hätte anders sein können, wenn 
das erstrebte Gesetz in Kraft getreten wäre, viel ist un- 
wiederbringlich versäumt, dennoch belebt uns die Hoffnung, 
daß der große Moment doch noch einmal, und zwar nun- 
mehr baldigst kommen, und daß er dann nicht ein kleines, 
ein bleinliches Geschlecht finden wird. — 
Anhangsweise sei aus der Fülle der Literatur über 
Kriegerheimstätten eine Auswahl der allerwichtigsten 
Veröffentlichungen geboten:
	        
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