Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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werben und sie vor oder nach der Bebauung oder sonstigen 
Errichtung an Genossen veräußern und kann Verträge aller 
Art über Grundstücke und deren Verwertung abschließen. 
Sie kann ferner die Mitglieder bei der Beschaffung ihrer 
Bedürfnisse im Haus-, Land= und Gartenbau treuhänderisch 
durch sachverständige gemeinsame Ausführung oder durch 
gemeinschaftlichen Bezug des Erforderlichen sowie möglichst 
auch durch gemeinsamen Absatz der gewonnenen und her- 
gestellten Erzeugnisse unterstützen.“ 
Danach ist diesem Siedlungsunternehmen der Cha- 
rabter ländlicher Siedlung in Wirtschaftsheim- 
stätten eigen. Es sind Kolonien, die so entstehen werden. 
Da als Siedler Kriegsbeschädigte im Falle der Eignung 
zwar auch, aber keinesfalls ausschließlich in Betracht kom- 
men, besteht nicht die Gefahr der Isolierung mit den da- 
gegen erhobenen berechtigten Bedenken. Da für Absatz der 
lberschußerzeugnisse bei der verhältnismäßig leicht erreich- 
baren Nähe der Großstadt Leipzig hinreichend gesorgt sein 
dürfte — es ist an besondere Verkaufsstellen und betreffs 
der Käufer an die große Zahl der Förderer des Unter- 
nehmens gedacht — sind auch Besorgnisse in dieser Hin- 
sicht kaum am Platze. Im Gegenteile sprechen viele Mo- 
mente für eine derartige Gruppensiedlung in der Nähe einer 
Großstadt: Ein= und Verkaufsgenossenschaft, Sammeln und 
Verwerten der Küchenabfälle der nahen Stadt (Beschäfti- 
gung für Invalide), Obst= und Gemüseaufbewahrungsräume, 
gemeinsame Absatzpropaganda, sachkundige Anleitung, zweck- 
entsprechende, gewinnsteigernde Behandlung und Aufmachung 
der Produkte. „Dort, wo eine Reihe von Siedlern einander 
benachbart sich niedergelassen haben, wird sich ferner Bedarf 
an Handwerkern, Gewerken — Uischler, Zimmermann, 
Schuster, Bäcker, Schneider — und an Läden (einfacher, 
dörflicher Art) für Kurzwaren, Landesprodukte, Kolonial= 
waren einstellen. Auch wird sich bei der Verwaltung für 
manchen Kriegsbeschädigten ein kleiner Posten finden lassen, 
dessen Einkünfte seine Eristenz erleichtern.“ . 
Was Boden= wie klimatische Verhältnisse, Aufschließungs- 
kosten, Schul= und Steuerverhältnisse, Nähe und leichte 
Erreichbarkeit der Stadt anbetrifft, so ist Wachau, acht 
Kilometer vom Innern der Stadt Leipzig, wenige Kilometer 
von den Endstationen der Straßenbahn entfernt, in nächster 
Nähe der geplanten Schnellringbahn mit seinem reichen, 
selbst in den trockensten Zeiten nach langjähriger Erfahrung 
günstigen Ackerboden überaus vorteilhaft gelegen und so 
groß, daß nach und nach bis zu 250 Ansiedlungen in Größe 
von mindestens je 2500 Quadratmeter möglich sind, wo- 
bei eine Erweiterung im Bedarfsfalle gesichert ist. Der 
Grundpreis des Bodens ist in Anbetracht seiner Güte und 
günstigen Lage außerordentlich gering — für das unmittel- 
bar anschließende nackte Land ist jetzt schon der doppelte 
Preis von Gärtnereien bezahlt worden. 
Außer bei Wachau ist bereits Ansiedlung bei Seebenisch 
— mit guter Bahnverbindung nach Leipzig — bei Hirsch- 
feld-Engelsdorf, bei Zwenkau, in Wahren, in 
Plösitz bei Taucha (besonders für Arbeiter und Ange- 
stellte) in Aussicht genommen, ebenso in anderen Gegenden 
der Kreishauptmannschaft Leipzig, wenn Bedarf dafür ein- 
tritt, nicht zuletzt auch im Weichbild der Stadt Leip- 
zig selbst, z. B. auf Stötteritzer Flur. 
2. Was erhält der Ansiedler? 
In der RNegel ein Gelände von besagter Größe mit ge- 
räumigem Einfamilienhaus, enthaltend: Keller, Wohnküche, 
Stube im Erdgeschoß, drei Kammern im Mansardendach, 
Oberboden, Wasch= bzw. Werkstattraum, Kleinviehstallung, 
kunstgerecht erstellt, dazu Gartenland mit Brunnen oder 
Wasserleitung, eingehegt, meist schon mit den nötigen Obst- 
bäumen bepflanzt, ein Anwesen, von vornherein auf Er- 
zielung von Mehrertrag, d. h. von Ertrag über das Ver- 
brauchsquantum des Siedlers und seiner Familie hinaus be- 
rechnet. Eine solche Normalansiedlung hat einen Wert bei 
2500 Quadratmeter Land von 1500o bis 24000 Mark 
Kriegspreis, je nach Größe der Räume und der zum Hause 
gehörigen Ausstattung. 
3. Welches ist die Form der Übernahme einer 
solchen Siedlung und was hat der Siedler zu 
leisten. 
Die Form ist ein Mietvertrag mit anschließendem Kauf- 
anwartschaftsvertrage bzw. gleich ein Kauf. Die Mietzeit 
soll als Probezeit gelten. Maßgebend für die Höhe des 
Bodenpreises ist der landwirtschaftliche Nutzungswert. Der 
Erwerb des Anwesens durch den Ansiedler beginnt mit einer 
durchaus seinen Verhältnissen angepaßten mäßigen An- 
zahlung. Für den Rest des Kaufpreises verschafft ihm die 
Genossenschaft die Gelder aus Privathand, aus öffentlichen 
Kassen (Landeeversicherungsanstalt, Sparkassen), vom 
Frauendank oder Heimatdank (nur bei Kriegsverletzten mög- 
lich) und von der Genossenschaft selbst. Alle Darlehen 
werden zur allmählichen Entschuldung als Tilgungshypo- 
theken (zu 4¼,%) gewährt und mit jährlich 3/10%% des 
ursprünglichen Gesamtwertes zuzüglich der infolge von Til- 
gung ersparten Zinsen abgetragen. Im Erbfalle könnte leicht 
Neubeleihung erfolgen. Die Tilgungshypotheken werden bei 
getreulicher Erfüllung der Voraussetzungen durch den Sied- 
ler unkündbar und der Zinsfuß für alle Beträge tunlichst 
gleichmäßig hoch sein. Treuhänder für die Darleiher soll 
gegen Sicherheit (Verpfändung der Hypothek) tunlichst die 
Genossenschaft sein, im gegebenen Falle unter Bürgschaft- 
übernahme der betreffenden Gemeinde oder des Bezirks.“ 
Die Genossenschaft führt diese Geldgeschäfte, die reinen 
Überschüsse kommen nur den Genossen zu — bis zur Höhe 
von 4% als Zinsen auf die Anteile — der Rest nur den 
tatsächlich Angesiedelten. 
4. Ist der Siedler an die Genossenschaft 
dauernd gebunden? 
Es besteht Wiederkaufsrecht seitens der Genossen- 
schaft oder der Gemeinde oder des Bezirkes. Bei Aufgabe 
der Heimstätte erhält der Siedler den Einstandswert des 
Hauses abzüglich Abnutzung und den des Geländes zuzüg- 
lich des tatsächlichen Wertes der Verbesserungen; über den 
jeweiligen Wert entscheiden Sachverständige beider Parteien 
unter einem Obmann. Die Hunderte, ja Tausende von Ge- 
nossen, die am Gedeihen des Unternehmens besonderes In- 
teresse haben, würden auch in erster Linie dafür sorgen, dem 
Vorstande geeignete neue Ansiedler vorzuschlagen, um das 
Leerstehen eines Grundstückes zu vermeiden, ein Fall, der 
wohl theoretisch möglich ist, aber in der Praxis kaum vor- 
kommen wird. 
5. Welcherlei Förderung für den Siedler ist 
vorgeseben? 
Zur Erzielung bester Erträgnisse wird tunlichst nur der 
Anbau solcher Gemüse= und Obstsorten oder solche Klein- 
tierzucht betrieben, die in der jeweils besiedelten Gegend 
nach langjähriger Erfahrung von Fachleuten ertragsreich sind 
und leichten Absatz zu guten Preisen finden. Besondere Aus- 
schüsse werden für Beratung eingesetzt werden. Die Ansied- 
lung in der Nähe der Großstadt, aber auch in der Nähe 
größerer Güter, Nittergüter und Dörfer soll den dazu noch 
fähigen Männern und dem Nachwuchs tunlichst Gelegen- 
heit wenigstens zum teilweisen Arbeitsverdienst in der Um- 
gebung auf dem Lande oder in den freien Berufen, Handel, 
Handwerk, Industrie usw. bieten. 
6. Kommt der Siedler auf seine Kosten? 
Zur Beantwortung dieser Frage wäre die Aufstellung 
einer Berechnung gewiß am zweckmäßigsten. Eine solche 
findet sich auch tatsächlich in dem Schriftstück „Jedem 
Krieger seine eigene Scholle“, nur sind die daselbst im 
Jahre 1913 verzeichneten Zahlen bei der langen Dauer des 
Krieges in einem Maße hinfällig geworden, daß es sich
	        
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