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Kriegsbeschädigtenfürsorge in früherer Zeit
Von Dr. med. Otto Neustätter, Direktor der geschichtlichen Abteilung des „Deutschen Hygiene-Museums“ Dresden.
In den Zeiten, wo der Unterschied zwischen Wehrstand
und Nährstand noch nicht ausgeprägt war, wo jeder, je
nach Notwendigkeit, Pflugschar oder Waffe führte, wo
das Heer aus dem Aufgebot der Waffenfähigen bestand,
findet sich kein eigener Ausbau für die Invalidenfürsorge.
Der Kriegskrüppel war eben ein zur Arbeit nicht mehr
fähiges Gemeindeglied und seine Versorgung erfolgte im
Bedürftigkeitsfalle in der gleichen Weise, wie die sonstiger
Siechen und Bresthafter. Armenpflege und Invalidenfür-
sorge waren in eins verschmolzen! Ihre wesentlichste Stütze
war jene schönste Blüte des mittelalterlichen Lebens, die
so viel Rauhes ausglich: die von der Kirche und von allen
Wohlhabenden in ausgiebigstem Maße geübte Wohltätigkeit,
die es als heilige Pflicht ansah, die Kranken zu besuchen,
die Hungernden zu nähren, die Nackten zu kleiden; sie tat
dies für den Krüppel des Alltages wie für den der Schlachten.
Nur gelegentlich finden wir Wohltätigkeitsanstalten mit der
besonderen Bestimmung für die Kriegskrüppel; so wurden
in den Klöstern die Kriegsbeschädigten und Dienstunfähigen
lange Zeit als Oblati oder Panisten zur Fürsehung ihrer Per-
son und Leibesnahrung durch die Kriegsherren untergebracht.
Im allgemeinen war das „Hospital“, die Versorgungs-
stätte für alle Beladenen, Unterkunft und Pflegestätte für
die Armen, Alten, Kranken, Fremdlinge, Bettler und ver-
stümmelten Kriegsmannen. Jedenfalls war der Kriegs-
krüppel Gegenstand der Fürsorge wie jeder andere.
Das ändert sich mit dem Aufkommen von Berufs-Sol-
daten, von Söldnern, die den Krieg als Handwerk, als
ein Geschäft betrieben. Und zwar nicht im Sinne einer
Herauchebung aus dem Armenwesen, sondern in ungün-
stigem Sinne derart, daß in diesen Zeiten des ausgehenden
Mittelalters das Sprichwort aufkam: Alter Soldat — alter
Bettler! Es ist die Zeit der mangelnden Fürsorge, des
Rückganges der Wohltätigbeits-Stimmung gegen den Kriegs-
krüppel. Das hatte seinen Grund in der ganzen Auffassung
von den Söldnern. Waren das doch meist Abenteurer. Wie
beim Würfeln Geld, Wams, Beute, so setzten sie auch das
Leben auf das Glücksspiel. Nicht aus Überzeugung dienten
sie ihren Herren, sondern um Lohn und Wohlleben, um Be-
reicherung aus Plünderung und Brandschatzung. Im besten
Falle erfüllten sie durch kernige Treue wenigstens für die
ausbedungene Zeit ihre übernommene Pflicht. Sie bildeten
sich mehr und mehr zu einem eigenen, durch Roheit und
ausschweifendes, rücksichtsloses Draufgängertum dem fried-
lichen Bürger unbequemen, ja schrecklichen Stand aus, der
seine körperliche Uberlegenheit dazu ausnützte, um auch im
eigenen Land, wenn er in Not war, sich das Erwünschte
durch Drohungen und Gewalt zu verschaffen. Und das ge-
schah nicht allein von dem einzelnen, oft in Begleitung
seines Weibes und seiner Kinder. Durch die Kriegserfah-
rungen über die Macht des gemeinsamen Vorgehens wohl
belehrt, zogen die erwerbslos Gewordenen in ganzen Ban-
den (Garden) umher, woher der Ausdruck „garten“ oder
„Jgarden“ für diese Art der Selbsthilfe der Söldnerknechte
kommt. Wo die im Kriege gemachte Beute oder das Löse-
geld für reiche Gefangene nicht für die Jeit der Erwerbs-
losigkeit oder der Unfähigkeit eine hinreichende Ersparnis
ergeben hatte, da war also der Bettel, ja der gewalttätige
Bettel die Versorgungsweise, wie der erwerbslosen Sol-
daten, so der Kriegsbeschädigten. Unser Bild zeigt uns einen
solchen Landoknecht mit Stelzbein, der mit seinem Weib
„gartend“ herumzieht. Der kann noch laufen und sogar das
Gewehr tragen, nimmt auch nach dem zugehörigen Vers
noch an Scharmützeln teil, wenn es sein kann. Andere
haben wir uns von ihren Frauen oder vielleicht von einem
auch bresthaften, aber noch des Laufens fähigen Kameraden
auf Wägelchen gefahren, den Blinden mit dem Lahmen
bettelnd vorzustellen; oder irgendwo auf dem Land sind
sie notdürftig untergebracht und betteln, an den Straßen-
ecken kauernd, oder auch durch Dörfer sich schleppend, wie
uno dies besonders aus Frankreich realistische Darstellungen
zeigen. Daß unter diesen Umständen fortwährend Klagen
über die Exzesse der abgedankten Soldaten kamen, die auch
vor Diebereien, Betrügereien und Raub nicht zurückschreckten,
Vor Meß wird mir der Schenkel abgeschosfn
Seyd thu ich stets dem Krieg nachdrossu
Wo man zu Feld ligt hab ich sold
Doch hab ich auch mein Metzen hold
Hab ich kein krieg so hilfft sie garten
Thut bein Bauren des hoffierens warten
Darzu kan sie int Leyern singen
Der Hund kan durch den Rauff springen
Byn daheym weder dort noch hie
Nehr mich also Gott weyß wol wie.
Gartender Landsknecht, Anfang 16. Jahrhundert
ist begreiflich. Andererseits ist solches Treiben begreiflich, da
das Mitgefühl für diese Unglücklichen kein sehr großes war. Es
galt eben als selbstverständlich, das der Kriegsknecht, wenn
seine Jeit abgelaufen oder wenn er krank und unbrauchbar
geworden war, selbst sehen sollte, wie er sich weiter fort-
brachte. Der Krieg war ein Geschäft wie ein anderes; wer
Leib und Leben darin einsetzte, mußte auch die Folgen tragen.
Einsicht und Mitgefühl für das traurige Los verdienter
Kämpfer, der Wunsch, die Belästigungen und Gefahren der
Betwohner durch die notleidenden Soldaten zu mildern, dann
aber auch die Rücksicht auf die Erleichterung der Werbung
und die Erhöhung der Dienstbeflissenheit der bei den Regi-