Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Kriegsbeschädigtenfürsorge in früherer Zeit 
Von Dr. med. Otto Neustätter, Direktor der geschichtlichen Abteilung des „Deutschen Hygiene-Museums“ Dresden. 
In den Zeiten, wo der Unterschied zwischen Wehrstand 
und Nährstand noch nicht ausgeprägt war, wo jeder, je 
nach Notwendigkeit, Pflugschar oder Waffe führte, wo 
das Heer aus dem Aufgebot der Waffenfähigen bestand, 
findet sich kein eigener Ausbau für die Invalidenfürsorge. 
Der Kriegskrüppel war eben ein zur Arbeit nicht mehr 
fähiges Gemeindeglied und seine Versorgung erfolgte im 
Bedürftigkeitsfalle in der gleichen Weise, wie die sonstiger 
Siechen und Bresthafter. Armenpflege und Invalidenfür- 
sorge waren in eins verschmolzen! Ihre wesentlichste Stütze 
war jene schönste Blüte des mittelalterlichen Lebens, die 
so viel Rauhes ausglich: die von der Kirche und von allen 
Wohlhabenden in ausgiebigstem Maße geübte Wohltätigkeit, 
die es als heilige Pflicht ansah, die Kranken zu besuchen, 
die Hungernden zu nähren, die Nackten zu kleiden; sie tat 
dies für den Krüppel des Alltages wie für den der Schlachten. 
Nur gelegentlich finden wir Wohltätigkeitsanstalten mit der 
besonderen Bestimmung für die Kriegskrüppel; so wurden 
in den Klöstern die Kriegsbeschädigten und Dienstunfähigen 
lange Zeit als Oblati oder Panisten zur Fürsehung ihrer Per- 
son und Leibesnahrung durch die Kriegsherren untergebracht. 
Im allgemeinen war das „Hospital“, die Versorgungs- 
stätte für alle Beladenen, Unterkunft und Pflegestätte für 
die Armen, Alten, Kranken, Fremdlinge, Bettler und ver- 
stümmelten Kriegsmannen. Jedenfalls war der Kriegs- 
krüppel Gegenstand der Fürsorge wie jeder andere. 
Das ändert sich mit dem Aufkommen von Berufs-Sol- 
daten, von Söldnern, die den Krieg als Handwerk, als 
ein Geschäft betrieben. Und zwar nicht im Sinne einer 
Herauchebung aus dem Armenwesen, sondern in ungün- 
stigem Sinne derart, daß in diesen Zeiten des ausgehenden 
Mittelalters das Sprichwort aufkam: Alter Soldat — alter 
Bettler! Es ist die Zeit der mangelnden Fürsorge, des 
Rückganges der Wohltätigbeits-Stimmung gegen den Kriegs- 
krüppel. Das hatte seinen Grund in der ganzen Auffassung 
von den Söldnern. Waren das doch meist Abenteurer. Wie 
beim Würfeln Geld, Wams, Beute, so setzten sie auch das 
Leben auf das Glücksspiel. Nicht aus Überzeugung dienten 
sie ihren Herren, sondern um Lohn und Wohlleben, um Be- 
reicherung aus Plünderung und Brandschatzung. Im besten 
Falle erfüllten sie durch kernige Treue wenigstens für die 
ausbedungene Zeit ihre übernommene Pflicht. Sie bildeten 
sich mehr und mehr zu einem eigenen, durch Roheit und 
ausschweifendes, rücksichtsloses Draufgängertum dem fried- 
lichen Bürger unbequemen, ja schrecklichen Stand aus, der 
seine körperliche Uberlegenheit dazu ausnützte, um auch im 
eigenen Land, wenn er in Not war, sich das Erwünschte 
durch Drohungen und Gewalt zu verschaffen. Und das ge- 
schah nicht allein von dem einzelnen, oft in Begleitung 
seines Weibes und seiner Kinder. Durch die Kriegserfah- 
rungen über die Macht des gemeinsamen Vorgehens wohl 
belehrt, zogen die erwerbslos Gewordenen in ganzen Ban- 
den (Garden) umher, woher der Ausdruck „garten“ oder 
„Jgarden“ für diese Art der Selbsthilfe der Söldnerknechte 
kommt. Wo die im Kriege gemachte Beute oder das Löse- 
geld für reiche Gefangene nicht für die Jeit der Erwerbs- 
losigkeit oder der Unfähigkeit eine hinreichende Ersparnis 
ergeben hatte, da war also der Bettel, ja der gewalttätige 
Bettel die Versorgungsweise, wie der erwerbslosen Sol- 
daten, so der Kriegsbeschädigten. Unser Bild zeigt uns einen 
solchen Landoknecht mit Stelzbein, der mit seinem Weib 
„gartend“ herumzieht. Der kann noch laufen und sogar das 
Gewehr tragen, nimmt auch nach dem zugehörigen Vers 
noch an Scharmützeln teil, wenn es sein kann. Andere 
haben wir uns von ihren Frauen oder vielleicht von einem 
auch bresthaften, aber noch des Laufens fähigen Kameraden 
auf Wägelchen gefahren, den Blinden mit dem Lahmen 
bettelnd vorzustellen; oder irgendwo auf dem Land sind 
sie notdürftig untergebracht und betteln, an den Straßen- 
ecken kauernd, oder auch durch Dörfer sich schleppend, wie 
uno dies besonders aus Frankreich realistische Darstellungen 
zeigen. Daß unter diesen Umständen fortwährend Klagen 
über die Exzesse der abgedankten Soldaten kamen, die auch 
vor Diebereien, Betrügereien und Raub nicht zurückschreckten, 
  
  
  
  
  
  
Vor Meß wird mir der Schenkel abgeschosfn 
Seyd thu ich stets dem Krieg nachdrossu 
Wo man zu Feld ligt hab ich sold 
Doch hab ich auch mein Metzen hold 
Hab ich kein krieg so hilfft sie garten 
Thut bein Bauren des hoffierens warten 
Darzu kan sie int Leyern singen 
Der Hund kan durch den Rauff springen 
Byn daheym weder dort noch hie 
Nehr mich also Gott weyß wol wie. 
Gartender Landsknecht, Anfang 16. Jahrhundert 
ist begreiflich. Andererseits ist solches Treiben begreiflich, da 
das Mitgefühl für diese Unglücklichen kein sehr großes war. Es 
galt eben als selbstverständlich, das der Kriegsknecht, wenn 
seine Jeit abgelaufen oder wenn er krank und unbrauchbar 
geworden war, selbst sehen sollte, wie er sich weiter fort- 
brachte. Der Krieg war ein Geschäft wie ein anderes; wer 
Leib und Leben darin einsetzte, mußte auch die Folgen tragen. 
Einsicht und Mitgefühl für das traurige Los verdienter 
Kämpfer, der Wunsch, die Belästigungen und Gefahren der 
Betwohner durch die notleidenden Soldaten zu mildern, dann 
aber auch die Rücksicht auf die Erleichterung der Werbung 
und die Erhöhung der Dienstbeflissenheit der bei den Regi-
	        
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