Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

342 
Aus dem Leben der Kriegsgefangenen in Sachsen 
Von Prof. Dr. Richard Laubes') 
I. Der Einzug der ersten Kriegsgefangenen in 
Königsbrück 
Gibt es wohl im Sachsenlande Jungfrauen und Jüng- 
linge, Frauen und Männer, die nicht einen Kriegsgefangenen 
gesehen hätten? Kaum, denn ob man besonders in den 
Jahren 1916—18 still durch die Wälder zog, auf staubiger 
Landstraße mar- 
schierte, durch Wie- 
sen und Felder wan- 
derte, mit der Eisen- 
bahn fuhr, in der 
Großstadt zu Hause 
war oder auf dem 
einsamsten Dorfe 
wohnte, überall traf 
man auf diese 
Fremdlinge in un- 
sern Gauen. Die 
Hunderte, Tausende, 
ja Millionen Men- 
schen aus fremden 
Ländern und Erd- 
teilen zeugten von 
den Riesenerfolgen 
unserer Heere auf 
den Schlachtfeldern 
aller Kampfstriche. 
Wer konnte solch 
unerhörte Leistungen 
unserer Helden im 
furchtbaren Welt- 
kriege ahnen, als 
Ende August 1914 
die ersten Kriegs- 
gefangenen auch in 
Sachsen einzogen? 
Das Bild davon 
wird mir unver- 
gessen bleiben. Herr- 
liche Sommernacht 
lag über den Wald- 
streifen und niedri- 
gen Häusern des 
friedlichen Lagers 
Truppenübungs- 
platz Königsbrück. 
Die Hauptstraße war 
auf beiden Seiten 
von deutschen Kriegern eingesäumt. Alle standen stumm, 
aber innerlich erregt da. Nur hier und da hörte man die 
Frage: „Wann werden sie kommen?“ 
Da, es war Mitternacht: Von weitem hörte man das 
dumpfe Geräusch matter Massentritte; näher und näher 
kam es; die ersten Gruppen bogen in die Lagerstraße ein. 
Welch ein Anblick! Müde, fahle, ernste Gesichter gallischen 
Schnittes, Männer in den besten Jahren; ein endlos langer 
Zug; Wagen mit Leichtverwundeten oder Erkrankten! Laut- 
los standen die Deutschen und ehrten sich so selbst. 
) Nach den Urkunden der Inspektion der Kriegsgefangenenlager 
und meinen Beobachtungen dargestellt. 
  
  
  
Generalmajor Stark, 
Inspekteur der Kriegsgefangenenlager Sachsens 
Gedanken, Gefühle ganz widersprechender Art huschten 
über meine Seele hin: Die ersten Feinde bezwungen in 
unserer Hand; welch stolzer Gedanke! Aber Feinde konnten 
es nicht mehr sein, denn sie trugen keine Waffen; elend, 
heimatlos, gerissen aus heimischem Glücke, so kamen sie 
mir vor und erregten mein Mitleid; unwillkürlich dachte ich 
mich selbst oder einen Bruder oder einen Verwandten oder 
einen guten Freund 
an die Stelle eines 
dieser unglücklichen 
Menschen und be- 
schloß, sie darum so 
zu behandeln, wie 
ich es im umge- 
kehrten Falle vom 
Gegner erhoffthätte. 
Und wie mag es 
in der Seele dieser 
Armen ausgesehen 
haben? Der Mann 
von der Frau ge- 
rissen, der Vater 
den Kindern ge- 
raubt, der Sohn für 
die Eltern verloren, 
der Bräutigam von 
seiner Braut ge- 
trennt, jeder im 
fremden Lande, in 
unbekanntem, ja un- 
benanntem Orte, 
ganz ungewisse, 
dunkle Zukunft vor 
sich, müde, hungrig, 
umgeben von ge- 
spenstischer Nacht, 
in der künstliches 
Licht unheimliche 
Schatten warf; wirr 
der Sinn, unglück- 
lich das Herz, ge- 
brochen der Wille, 
darum unaussprech- 
lich elend das Mie- 
nenspiel! 
Aber eins schenk- 
te den Gefangenen 
noch diese Nacht: 
eine wohlvorberei- 
tete Ruhestatt, dann Speise und Trank in einem Lager, 
in dem sich die nächsten Wochen, ja Monate, vielleicht 
sogar Jahre ihres Lebens abspielen sollten als in einer 
zweiten Heimat. 
II. Die Kriegsgefangenen in den Lagern 
1. Die Unterkunft 
Deutschland mag auf den Krieg vorbereitet gewesen sein 
oder nicht, das hat es jedenfalls nicht vorausgesehen und 
daher nicht vorweg ordnen können: die Unterbringung 
Hunderttausender von Kriegsgefangenen. Trotzdem hat es
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.