Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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teilung II zur Prüfung. Gegen 30 ooo solcher Verein- 
barungen und noch vielmehr Nachträge dazu sind von ihr 
durchgesehen worden, damit der Kriegsgefangene nicht be- 
nachteiligt und die Heeresverwaltung nicht übervorteilt wer- 
den sollte. Uber jeden Antragsteller waren Urkunden vor- 
handen und zu einem Heft verbunden. Etwa 28 o solcher 
Bündel zählte ich bei Abschluß des Waffenstillstandes. Es 
war gut, daß sie da waren, denn daraus bonnte man die 
Beschwerden der Gefangenen, die nach deren Entlassung 
reichlich einliefen, als nichtig nachweisen. 
Um sich davon zu überzeugen, daß die Vertragebe- 
stimmungen allenthalben eingehalten wurden, schickte die 
Abteilung II Offiziere und Unteroffiziere zur Prüfung und 
Besichtigung der Arbeitsabteilungen aus, was ihrerseits ja 
schon die Lager taten. So durften sich die Kriegsgefangenen 
versichert halten, daß ihre Rechte gewahrt blieben, wenn 
sie nur treulich arbeiteten. Begleiten wir sie nun einmal 
auf ihre Arbeitsstätten. 
III. Die Kriegsgefangenen auf Arbeit 
1. Im Dienste der Heeresverwaltung 
Das Leben in einer menschlichen Gemeinschaft erfordert 
Arbeit von einem jeden ihrer Glieder. Das haben die Bilder 
aus den Kriegsgefangenenlagern binreichend gezeigt. 
Aber die Beschäftigung in Form des inneren Dienstes 
nahm nur einen kleinen Teil der eng zusammenlebenden 
Masse der Gefangenen in Anspruch. Die bei weitem größte 
Zahl unter ihnen fand keine oder nur ungenügende Ge- 
legenheit, ihr Bedürfnis nach Betätigung zu stillen. Das 
war ein Ubelstand, denn der gesunde Mensch hegt den natür- 
lichen Drang, durch Arbeit etwas zu schaffen und damit das 
an den Wurzeln des Lebeno nagende Gespenst der Lange- 
weile zu bannen, und geht, sofern er ihn nicht befriedigen 
kanm, dem körperlichen und seelischen Verfall entgegen. 
Das trifft sogar auf die Naturen zu, die zur Bequemlich- 
keit, ja Trägheit neigen. Dieser Übelstand mußte mit der 
Zahl der Zugänge an Gefangenen und der Länge der Zeit 
wachsen. 
Die deutsche Heeresverwaltung aber in ihrer hohen Auf- 
fassung vom Menschentume wollte weder die strebsamen, 
noch die langweiligen Gefangenen verkümmern lassen; sie 
erachtete es vielmehr als ihre Pflicht, ihnen allen die 
Möglichkeit regelmäßiger Beschäftigung zu bieten, sie wieder 
an ernste Arbeit zu gewöhnen und sie so auch während 
einer längeren Gefangenschaft an Körper und Geist gesund 
zu erhalten. Damit erstand ihr die Aufgabe, Arbeitsgelegen- 
beiten über den Rahmen des inneren Dienstes, der Lager- 
arbeiten, hinaus zu schaffen. 
Das hielt nicht schwer, denn mit dem Kriege tauchten 
ganz neue Bedürfnisse auf, deren Befriedigung zahlreiche 
Arbeitskräfte verlangte, die in den Kriegsgefangenen reich- 
lich vorhanden waren. So stellten sie Strohschuhe für die 
Krankenhäuser, wollene Handschuhe für das Rote Kreuz 
und Filzstiefel für die Wachtmannschaften her, besserten 
die staatlichen Straßen in der Umgebung des Lagers aus, 
legten neue an, gewannen die Baustoffe in den nahe- 
gelegenen Steinbrüchen, Sand= und Kiesgruben, führten 
Erdarbeiten auf den Truppenübungs= und Reitplätzen aus 
und fertigten in besonders errichteten Handwerksstätten aller- 
hand Auorüstungsstücke für unsere Krieger und ihre Pferde an. 
Bald brauchte die Heeresverwaltung nicht mehr nach 
Arbeit zu suchen, diese bot sich vielmehr nach und nach 
selber an, weil durch die Einberufung vieler Arbeiter zum 
Woffendienste die schaffenden Kräfte seltener wurden und 
darum gesucht waren. Hauptsächlich zu Erd= und Bau- 
arbeiten verlangten die verschiedenen Stellen der Heeres- 
verwaltung mehr und mehr Kriegsgefangene. 
Bis zu Hunderten haben sie in Gnaschwitz bei Bautzen, 
Radeberg, Dresden- N., Kleinwelka bei Bautzen, Auers- 
walde bei Chemnitz, Glauschnitz bei Königsbrück, Chemnitz, 
Frankenberg, Großenhain, Wurzen, Kamenz und Plauen 
gearbeitet. Kleinere Abteilungen standen den Truppenorts- 
verwaltungen, Vorratsämtern, Krankenhäusern, Truppen- 
teilen usw. zur Verfügung. So war im Laufe der Zeit die 
JZahl solcher Arbeitsabteilungen bis auf rund 70 gestiegen. 
Ihre Anzahl und Stärke mußte aber allmählich verringert 
werden, und zwar in dem Maße, als die bürgerlichen Be- 
triebe die Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte anforderten. 
Seit Sommer 1915 tritt dies in Erscheinung, wie folgende 
Sahlen beweisen mögen. 
Die Heeresverwaltung beschäftigte außerhalb der bager: 
Juni 1015 6400 Gefangene 
August 10915 5600 „ 
November 1015 4000 » 
März 1916 4700 „ 
November 1910 3500 » 
März 1917 2800 „ 
Oktober 1917 1200 
Dezember 1917 nur noch 900 
Die wirtschaftliche Bedeutung der aArbeit, die in dieser 
Hinsicht die Kriegsgefangenen dem Staate geleistet haben, 
ist hoch zu bewerten. 
2. Im Dienste der Volksernährung und des 
Volkswohles im allgemeinen- 
Unter den Wirtschaftsgebieten, die unserer Heeresver- 
waltung nach und nach Beschränkung in der Verwendung 
von Kriegsgefangenen inmerhalb ihrer Betriebe auferlegten, 
stand die Landwirtschaft, die Nährmutter unseres Vorkes 
in diesem Kriege, voran. Während ihr im Herbste 1914 
noch genügend einheimische Kräfte zur Verfügung standen, 
änderte sich das bereits im Anfange des Jahres 1915, 
besonders in den fruchtbaren Gegenden Sachsens, um 
Meißen, Bautzen und Oöbeln. Auf Anregung des Landes- 
kulturrates wurde die allgemeine Verwendung von Kriegs- 
gefangenen in landwirtschaftlichen Betrieben durch kriegs- 
ministerielle Verfügung eingeführt. 
Zunächst durften sie nur in Trupps von mindestens acht 
Mann unter militärischer Bewachung abgegeben werden. 
Als aber der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften 
immer fühlbarer wurde, sah sich die Heeresverwaltung ge- 
nötigt, von dieser Regel abzugehen und auch Arbeits- 
abteilungen von 1—3, später von 4—5 und schließlich 
von noch mehr Gefangenen ohne Wachtmannschaften hinaus- 
zugeben. Damit kam sie vor allem den kleineren Betrieben 
und alleinstehenden Frauen entgegen, die für so große 
Arbeitsabteilungen weder Beschäftigung noch Raum gehabt 
hätten. 
Natürlich mußten die verantwortlichen Arbeitgeber nach- 
weisen können, daß sie zur Beaufsichtigung der Gefangenen 
geeignet waren oder, falls sie selbst zum Heeresdienste 
einberufen, diese einer andern mänmlichen Person, wie etwa 
einem Auszügler, Verwandten oder Nachbarn übertragen 
hatten. Wo das nicht möglich und auch keine bestimmungs- 
gemäße Unterkunft zu beschaffen war, da taten sich mehrere 
Arbeitgeber zusammen und vereinigten ihre Gefangenen 
besonders für die Nachtzeit in einer Sammelunterkunft, die 
ein militärischer Posten zu überwachen hatte. 
In jedem Falle blieben die Gefangenen ihrim Stamm- 
lager unterstellt und hatten ihre Anwesenheit anfänglich 
täglich entweder selbst oder durch Vermittelung des Arbeits- 
gebers der Ortspolizeibehörde zu melden; später, als ihrer 
in einem Orte zuviel und die täglichen Meldungen als 
arbeitstörend empfunden wurden, waren die Arbeitgeber 
nur noch gehalten, die Flucht des Gefangenen sofort an- 
zuzeigen. 
Bereits bis Ende l016 waren 253 solch bleine Arbeits- 
abteilungen ohne militärische Bewachung mit rund 400
	        
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