Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Besondere zahlenmäßige Angaben über die nur im Hand- 
werk und Gewerbe tätigen Kriegögefangenen können nicht 
gemacht werden, wohl aber über die, die im Handwerk, Ge- 
werbe und Industrie — ausgenommen Bergbau, Hütten- 
wesen und Eisenbahnverwaltung — überhaupt gearbeitet 
haben. Diese Gesamtzahlen betrugen: 
Anfang Juli 1015 1400 Gefangene 
„ „1916 7000 „ 
Ende November 1916 8000 „ 
am 15. Januar 1917 9800 „ 
„ 15. Februar 1017 10200 „ 
„ 10. Dezember 10917 10400 „ 
„ 10. Juni 1918 12500 
* 
6. Im Dienste des Verkehrs 
Nicht nur die Erzeugung von Gütern und deren Be- 
arbeitung, nein, auch deren Beförderung und die Schaffung 
neuer, wie die Ausbesserung vorhandener Verkehrsmittel 
war auf die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen angewiesen. 
In erster Linie galt es, die Betriebstüchtigkeit und Lei- 
stungsfähigkeit der Eisenbahnen, insbesondere die betriebs- 
sichere Unterhaltung der Bahnstrecken und der Verkehrs- 
anlagen, sowie die Bewältigung der Verkehrsarbeiten und 
endlich die Arbeiten in den Hauptwerkstätten zur Unterhal- 
tung der Dampfmaschinen und Wagen durch Verwendung 
von Kriegsgefangenen sicherzustellen. 
Schon Ende 1015 wurden aus ihnen zu diesem Zwecke 
in Preußen Eisenbahnwerkstätten-Arbeitertrupps zurammen- 
gestellt und später vier davon in Stärke von zusammen 
440 Gefangenen zur Verwendung bei den Werkstätten- 
ämtern Chemnitz, Engelsdorf bei Leipzig, Zwickau und Dresden 
nach Sachsen überwiesen. Die Beschäftigung begann hier 
erst Ende August 1915. Neben den Werkstättenämtern 
stellten auch die verschiedenen Eisenbahnbauämter, Betriebs- 
leitungen, Bahnhofs-, Güter= und Heizhausverwaltungen 
nach und nach Kriegsgefangene ein. So bildeten sich mit 
der Zeit 57 Arbeitsabteilungen mit zusammen 1500 Ge- 
fangenen, von denen im Sommer 1o#8 über 1000 be- 
schäftigt waren. Die Entwicklung mag durch folgende Auf- 
stellung veranschaulicht sein, es arbeiteten 
am 10. Oktober 1015 110 Gefangene 
„ 10. Januar 10160 430 „ 
„ 10. April 1910 600 „ 
„ 10. Oktober 1910 680 „ 
„ 10. Januar 1017 770 „ 
„ 10. März 1018 1000 5„ 
„ 10. Juni 1918 1020 
% 
Die Eisenbahnverwaltung zahlte für diese Kriegsge- 
fangenen bei Arbeitsbeginn einen Tagelohnsatz, der sich nur 
0 Pfenmig niedriger stellte, als der Mindestlohn eines deut- 
schen Eisenbahnarbeiters gleicher Gattung, und erst nach etwa 
acht Wochen bei zufriedenstellenden Leistungen den Mindest- 
tagelohnsatz. Die Gefangenen selbst erhielten davon wie 
die in Handwerk, Gewerbe und Industrie beschäftigten 
grundsätzlich 25 v. H. Flir Unterbringung der Arbeitsabtei- 
lungen wurden dem Arbeitgeber auf Kopf und Tag ab- 
weichend von den sonst üblichen Sätzen 30 Pfennig, für 
die Verpflegung der Wachtmannschaften 1,80 Mark und 
der Kriegögefangenen 1,30 Mark auf den Mann täglich 
zurückvergütet. 
Aber nicht nur die Hauptverkehrsanstalten, wie die Eisen- 
babnverwaltung, bedurften zur sicheren Abwicklung der 
Güterbeförderung der Kriegsgefangenen, sondern auch alle 
die größeren und kleineren Betriebe, die dort arbeiteten, woa 
die Eisenbahn nicht mehr in Frage kommt, also alle die 
Betriebe, die Güter von der Bahn und zu ihr befördern 
oder von den Lagerstätten an die Verbraucher weiterleiten, 
wie Getreide, Mehl, Kohlen, Steine, Dünger, Dünge- 
mittel u. dgl. Hier sind die Kriegsgefangenen in stattlicher 
Anzahl tätig gewesen, entweder als Kutscher oder als Ar- 
beiter. In den Werkstätten der elektrischen Bahnen unserer 
Großstädte oder an den Gleisanlagen arbeiteten sie. So 
stand auch der Verkehr während des Krieges im Zeichen 
der Kriegsgefangenenarbeit. 
IV. Rück= und Ausblich 
Schauen wir auf das Kriegsgefangenenwesen Sachsens, 
soweit es an unsern Augen vorübergezogen ist, kurz zurück, 
so ergibt sich wohl dies: einerseits bildete die Sorge um 
soviel tausend Gefangene für unser Volk eine fühlbare 
wirtschaftliche Belastung und band eine große Jahl von 
Arbeitskräften, zwei Erscheinungen, die um so deutlicher 
wirkten, je bescheidener unsere eigene Lebensführung unter 
dem Zwange der Kriegsverhältnisse sich gestaltete, und je 
drückender der Mangel schaffender Hände empfunden wurde; 
anderseits haben die Gefangenen gerade diesen gemildert, 
indem sie Tausende und aber Tausende einheimischer Arbeits- 
kräfte, wenn auch nicht dem Grade, so doch der Jahl nach 
ersetzten und so unser Wirtschaftsleben in schwerer Zeit auf 
einer Höhe halten halfen, die man nur bewundern kann, 
haben weiterhin ermöglicht, das, die Heeresverwaltung ohne 
Sorge aus allen Betrieben so gut wie alle entbehrlichen 
wehrhaften Männer herausziehen und die Wehrkraft des 
Vaterlandes um ein Bedeutendes verstärken konnte, was 
ohne Einstellung der Gefangenen nicht denkbar gewesen 
wäre, sofern man das Heimatleben nicht lähmen und die 
Grundlage eines erfolgreichen Kampfes nicht zerrütten 
wollte. Wie seltsam, ein Witz der Weltgeschichte: der 
Feind, der uns durch seine Kämpfer vernichten wollte, 
mußte uns durch seine uns überlassenen Gefangenen einen 
großen Teil der Arbeitskraft für den Auf= und Ausbau der 
Kriegswirtschaft liefern und unsere Wehrhaftigkeit so 
stärken, und wir — wir befanden uns in gleicher Lage, 
mu daß der Gegner seine Gefangenen nicht nach Millionen 
zählen konnte. 
Wie oft mag dieser so widerspruchsvolle Zustand dem 
Kriegsgefangenen die Arbeit erschwert, ihn in Widerstreit 
mit seiner Vaterlandsliebe gebracht haben. Aber die bittere 
Notwendigkeit, die nicht auf Gefühle Rücksicht nimmt, 
zwang ihn zu Leistungen für den Feind und ließ ihn schuld- 
los erscheinen. 
Schon lange sind sie heimgekehrt, die Millionen von Ge- 
fangenen, die in unsere Gewalt geraten waren. Soweit 
sie im Leben sehen und überlegen gelernt hatten, dürften 
sie in der Mehrzahl dankbar des deutschen Volkes, auch. 
ihrer sächsischen Pfleger, gedenken, denn wir haben weder 
Geld noch Arbeit gescheut, um ihnen das Leben in den Lagern 
menschenwürdig zu gestalten und sie auf den Arbeitsstätten. 
draußen durch geregelte Tätigkeit gesund zu erhalten. Dann 
nur würden sie sich der herrlichen Fürsorge ihrer Be- 
schützer wert erweisen. Was diese während des langen schreck- 
lichen Krieges in dieser Beziehung geleistet haben, das ist ein. 
strahlendes Werk deutscher Feindesliebe, deutscher Wissen- 
schaft und deutscher Arbeit geworden, so schön und groß 
und hehr, daß kein anderes Volk uns darin übertroffen hat. 
Wenn es auf unserer Erde noch Wahrhaftig- 
keit gibt, und sich die Wahrheit trotz Lug und 
Trug durchsetzt, dann dürfen wir hoffen, daß 
die Menschen, die einst unsere Gefangenen 
waren, auf Grund ihrer Erlebnisse in unsern 
Landen ihre Bölker über das Wesen der deut- 
schen Volksseele aufklären, die über ung be- 
stehenden Vorurteile zerstreuen und so zur Ver- 
ständigung der Völker und zur Vermeidung 
neuer Kriege an ihrem Teile beitragen werden.
	        
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