Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Das Geistesleben Sachsens im Kriege 
Von Dr. Rud. Kötzschke, Professor der sächsischen Geschichte an der Universität Leipzig 
Alle großen kriegerischen Ereignisse der Weltgeschichte 
werden in ihrem Verlauf nicht allein durch das Glück 
und Geschick der Waffen bestimmt, sondern mehr noch 
durch die wirtschaftlichen und geistigen Kräfte der mit- 
einander ringenden Völker. So bedarf es zu tiefinner- 
lichen Verständnis des Mitwirkens der Sachsen in Feld 
und Heimat an den gewaltigen Vorgängen des Weltkrieges 
neben einer Schilderung ihres Anteils an Kampf und Wirt- 
schaftoarbeit auch einer Würdigung des gelstigen Lebens 
in Sachsen während jener schicksalsvollen Jahre 1914 bio 
1918, die zu einer Weltenwende von unermeßlicher Bedeu- 
tung geworden sind. 
Anders als in den größten Kriegen früherer Jahrhun- 
derte wurde Sachsen in diesem jüngsten Kampf der Völker 
in Mitleidenschaft gezogen. Wie oft schon ist das Land, in 
Mitteleuropa im Übergangsgebiet zwischen Westen und 
Osten, auf der Schwelle von der norddeutschen Tiefebene zum 
südlicheren Gebirgsland gelegen, während des letzten halben 
Jahrtausends seiner Geschichte zum Kriegsschauplatz ge- 
worden, auf dem der Streit europäischer Mächte ausgetragen 
ward! Kriegsgreuel mannigfachster Art im eigenen Lande, 
Blutvergießen, schlimme Seuchen, fürchterlichste Jerstörung 
von Hab und Gut, oft wiederholte Heeresdurchzüge, Gewalt- 
tätigkeiten fremder Soldateska, Erpressungen ohne Scho- 
nung selbst durch befreundete Truppen suchten in vergange- 
nen Kriegszeiten die gequälte und verängstigte Bevölkerung 
oft lange Jahre hindurch heim. Vor all solchem Grauen 
blieb Sachsen in diesem maßlosesten aller Kriege bewahrt. 
Wieviel Schreckhaftes und Ungeheuerliches Sachsens Krie- 
ger in den Flandernschlachten, an Somme und Maas, im 
russischen Winter, auf den eisigen Höhen der Karpathen, 
in den Steppen Galiziens und Rumäniens, unter der Glut 
Mazedoniens, zwischen Alpen und Sümpfen der nordita- 
lischen Ebene erlitten, stets wußten sie ein Tröstliches: in 
der Ferne die Heimat ist unversehrt! Seit der Gründung 
des Deutschen Neiches und dem Abschluß des Verteidigungs- 
bündnisses mit der Habsburgischen Monarchie lag ja Sach- 
sen so recht inmitten des vereinten großräumigen Gebiets 
der europäischen Mittelmächte, wie ein Herz= und Keenstück 
weit entfernt von den Grenzen und allem, was ihnen be- 
drohlich werden konnte. Und doch ist kaum je zuvor die 
sächsische Heimat von dem Erleben eines Krieges so heftig 
betroffen, in ihrer seelischen Grundfeste so stark erschüttert 
worden, wie in diesem Kampfe um Sein oder Nichtsein 
des deutschen Volkes, der aus jedem Hause die Krieger 
in den Schützengraben und Etappendienst rief, einem jeden 
einzelnen die gemeine wirtschaftliche Not an Leib und 
Lebenskraft aufs empfindlichste fühlbar machte und von 
jedem in des Vaterlands unermeßlicher Not angespann- 
teste Hilfeleistungen verlangte, ebenso vom wetterharten 
Mann und todesmutig vorstürmenden Jüngling, wie von 
der gereiften Frau und dem aufblühenden Jungmädchen, 
selbst vom Kinde, dem Lernen und Spiel sich in Kriegs- 
arbeit wandelten. Alles geistige Schaffen, Denken und Füh- 
len der gesamten Bevölkerung in all ihren Schichten und 
Gruppen war von dem, was der Krieg gebieterisch heischte, 
völlig beherrscht. 
Nicht mit kriegerischer Absicht war einst Sachsens Volk 
in die so oft auf seinem Boden ausgefochtenen Völkerkämpfe 
eingetreten; es war vielmehr, so tapfer sich auch Sachsens 
Armee mit den Waffen zu schlagen pflegte, ein in Jahr- 
wesen, der Entscheidung zwischenstagtlichen Streits mit krie- 
gerischen Mitteln nach Möglichkeit vorzubeugen. Auch in 
den Weltkrieg ging Sachsen ohne eigenen Kriegswillen und 
ohne Kampfesziel. An dem Ausbruch des ungeheueren blu- 
tigen Ringens, darin wird Freund wie Feind überein- 
stimmen, trifft Sachsens Fürst und Volk keinerlei Mit- 
schuld. Soviel ist klar: Sachsen wurde nur deshalb in 
diesen ungeheuerlichen Krieg verstrickt, weil es auf Gedeih 
und Verderb mit dem gesamten deutschen Vaterland in 
unlöslicher Einheit verbunden ist. Als Deutschland vom 
Wasgenwald bis zu der Memel zum Schutze seiner heimat- 
lichen Fluren, seiner geistigen und sittlichen Güter, zur 
Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit aufgerufen 
ward, da folgte Sachsen ohne Säumen in ganz selbstver- 
ständlicher Erfüllung seiner Pflicht alc Gliedstaat des 
Reichs. Als deutsche Soldaten stritten, wachten und arbei- 
teten seine Söhne draußen Schulter an Schulter mit ihren 
Kampfgenossen aus anderen deutschen Bruderstämmen. Von 
den gleichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wie ganz 
Deutschland, wurde Sachsen heimgesucht, nur daß hier in 
dem industriell so reich entwickelten und so außergewöhn- 
lich dicht bevölberten Lande sich die Abschließung vom Welt- 
verkehr und die Knappheit der in der heimischen Boden- 
produktion gewonnenen Lebensomittel besonders fühlbar 
machten. Durchaus deutsch im Grundton war auch Sach- 
sens geistiges Leben während des Weltkrieges, völlig ge- 
stimmt auf die mächtigen im gesamten deutschen Volke 
brausenden Akkorde: gleich waren die Bedrängnisse und 
Hemmungen, welche geistiger Arbeit überall entgegenwirkten, 
während Kriegsgeschrei und Waffenklirren laut wurden; 
gleich die aus der Not der Zeit erwachsenden neuen und un- 
erhörten Aufgaben und ihre Bewältigung. 
So nahm Sachsen teil an dem einen großen deutschen 
Erleben in der harten Erfahrung dieses grausig erhabenen 
Stücke Weltgeschichte, in dem es um die ganze Zukunft 
des deutschen Volkes ging, aber dies geschah doch mit man- 
cher Besonderheit von sächsischer Färbung. Wie hätte dies 
andero sein können bei einer überaus rührigen und geweckten 
Bevölkerung, die neben unleugbaren Schwächen des Volks- 
charakters ihre eigenen oft nicht nach Gebühr gewürdigten 
Vorzüge aufweist, in einem Lande mit mehreren groß- 
städtischen Mittelpunkten geistigen Lebens, darunter zwei 
Halbmillionenstädten von so ausgeprägter Eigenart, wie 
Dresden und Leipzig, mit einer großen Zahl aufstrebender 
Mittel= und Kleinstädte und einer geistig ungewöhnlich regen 
Landbevölkerung, in einer hochentwickelten Gesellschaft mit 
einer Fülle von Bildungsanstalten, einer weithin verbreiteten, 
wohlorganisierten Presse und den mannigfaltigsten Einrich- 
tungen zur Pflege von Wissenschaft, Kunst und Religion! 
So wird es eine wichtige und dankbare Aufgabe sein, das 
Bild deutscher Geistesgeschichte auf Sachsens Boden während 
der Epochenjahre des Weltkrieges in der Erinnerung an Er- 
lebtes, Erstrebtes, Erlittenes festzuhalten und wahrheits- 
getreu nachkommenden Geschlechtern zu überliefern. 
I. Seelischer Aufschwung nach Kriegsausbruch 
An einem frischen, von gedämpftem Licht freundlich erbell- 
ten Herbstmorgen des Jahres 1913 sah Leipzig eine würdige 
Feier, die wie ein Wahrzeichen in die kommende Zeit starken 
Erlebens weltgeschichtlicher Entscheidungen hineinragt: die 
Einweihung des Denkmals der Völkerschlacht vom 10.—19. 
Oktober 1813, deren Tote in sächsische Heimaterde einge-
	        
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