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sichtliche Höhe der Lebensanschauungen deutscher Denker; so
konnte aus der Geschichte des deutschen Geistes ein Trost
abgeklärtester Art für die drangvolle Gegenwart gewonnen
werden.
Die skizzenhaften Einzelzüge, welche hier zu einem Bilde
der geistigen Bewegung von 1914 in Sachsen vereinigt
worden sind, können und sollen nur dem dabei Wesenhaften
Ausdruck verleihen. In einem jeden größeren Ort verlief
sie, je nach den verfühbaren Kräften, mit mancherlei Be-
sonderheiten, die gewiß der Erwähnung wert wären. Auf
dörflicher Heimatflur ging es stiller zu; den Flug in das
Hochgeistige nahm man in den Kreisen des einfachen Land-
manns nicht, dafür trat um so mehr das Wurzelhafte und
Bodenständige der Gesinnung, die heiße Liebe zur eigenen
Scholle, hervor. Es soll natürlich keineswegs verkannt wer-
den, daß Hunderttausende im Volke von jenem einmütigen,
Wiü#helm Wundt, Professor der Philosophie
# an der Universitet Leipzig
opferfrohen, sittlich geläuterten Geiste des Spätsommers
1914 nicht im innersten Kern, sondern mehr an der Ober-
fläche berührt waren. Viele auferlegten Leistungen wurden
mehr aus Gehorsam unter dem strengen Kriegsgesetz voll-
bracht, alo in freier, begeisterter Selbsthingabe für Volk
und Staat. Auszerlicher Ehrgeiz mischte sich in den heiligen
Opfersinn, Lust an munterem Erleben in den harten Ernst
der Tage; denn der Krieg hebt nicht nur „alles ins
lingemeine“, auch rohe und niedrige Leidenschaften ruft er
wach. Aber das war die unvergleichliche Größe der Er-
bebungszeit von 1914, daß das Unlautere, Unschöne, Un-
sittliche durch die weite Ausbreitung edelster Gesinnung voll-
kommen überschattet ward und sich nicht an das Licht hervor-
wagte. Jene oben gegebene Schilderung des Denkens und
Fühlens der Sachsen nach dem Ausbruch des Weltbrieges
darf in ihren Grundzügen Anspruch auf volle historische
Glaubwürdigkeit erheben. Der Geist von 19014 war wirk-
liches Erlebnis des Volks in seiner Gesamtheit und wird
daher etwas Bleibendes und dauernd Wertvolles in den
Jahrbüchern sächsischer Geschichte sein im Sinne von
Goethes Wort: „Ich besaß es doch einmal, was so böst-
lich ist.“
II. Die Leistungen geistiger Arbeit in vier Jahren
der Kriegsnot
Die Hoffnung, daß, wenn die bunten Blätter im Herbst
fallen, die ausgerückten Soldaten wieder heimkehren wür-
den, erfüllte sich nicht. Noch einmal wurde mit der Ein-
nahme der großen Festung Antwerpen ein starker militärisch-
politischer Erfolg erzielt; dann versteiften sich die Kampf-
handlungen zum langwierigen Stellungsbrieg. So ging es
in den ersten Kriegswinter hinein.
Deutschlands Wirtschaftsleben, nach Kriegsausbruch aufs
heftigste erschüttert, kam inzwischen überraschend schnell,
in Anpassung an die Bedürfnisse der Kriegszeit, wieder in
fester geordneten Gang. Auch das geistige Leben lenkte in
ruhigere Bahnen ein. Nachdem durch den erschreckend plotz-
lichen Anblick der großen Volksnot, durch den Weckruf zum
Abwehrkampf Phantasie und Willenskraft den stärksten
Anreiz empfangen hatten, forderte wieder die geistige Arbeit
des Alltags mit ihren mancherlei verständigen und nüchter-
nen Erwägungen ihr Recht; man stellte sich, als der Krieg
nicht mehr unvermutetes Ereignis, sondern etwas schon Ge-
wohntes war, in der ganzen seelischen Haltung auf ihn
als einen Dauerzustand ein.
Wer hätte damals, obschon soviel von der Notwendigkeit
des „Durchhaltens“ gesprochen wurde, wohl sagen mögen,
daß eine Zeit von vier langen furchtbaren Kriegsjahren vor
dem deutschen, dem sächsischen Volke lag, reich an herr-
lichen Siegen, an glänzendem äußeren Erfolg, an hoch-
gemutem Denken, aber auch überreich an schmerzoollster
innerer Erfahrung, an harten Entbehrungen, an lastendem
seelischen Druck. Stolze Wochen, da die vaterländische Be-
geisterung wieder leuchtend entbrannte, wurden nach Mona-
ten bangen Harrens erlebt. Weltweite Aufgaben wirtschaft-
licher und geistiger Art taten sich dem deutschen Volke auf,
über die ganze Erde hin dehnte sich der Blick, und unend-
liche Eindrücke mannigfaltigster Art stürmten auf die emp-
fänglichen Seelen ein; jetzt galt es: Schauen, und wenn
erst der Friede geschenkt sein wird, Schaffen mit gewachse-
ner Erkenntnis, in gesteigerter Lust. Aber dann wieder
türmten sich neue Schwierigbeiten empor, herbe Enttäu-
schung kam, bittere Aufopferung von Menschenglück und
immer gleichförmig die schwarze Trauerkunde von unersetz-
lichem Verlust durch Krankheit und Schlachtentod. In
diesen vier Jahren drangvoller Kriegsnot mußte der Geist
von 1914 seine Probe bestehen; denn auch von ihm hieß
es: „an seinen Früchten sollt ihr ihn erkennen.“ In der Tat
bat er sich fruchtbar gezeigt: seinem Nachwirken waren die
Leistungen zu danben, zu denen sich Sachsens Volk, wie in
wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht, so auch im Felde
geistiger Arbeit vom Herbst 1914 bis in die Herbsttage
1918 aufgerafft hat. Es gilt sie zu buchen, nicht in einer
allgemeinen Ubersicht, sondern gesondert nach den einzelnen
Hauptgebieten des geistigen Schaffens.
1. Buchwesen und Presse
In einer geit, in welcher ein ganzes Volk um sein Dasein
ringt, muß das wirksamste Mittel der Gedankenausbreitung,
das gedruckte Wort, im Hinblick auf diesen augenblicklich
böchsten Zweck überwacht und planvoll in den Dienst der
Erhaltung des gesamten im Staate zusammengeschlossenen
Volkes gestellt werden. So trat die militärische Zen-
sur in ihr Recht, mit einer höchst schwierigen Aufgabe der
Einwirkung auf das geistige Leben während des Krieges,
die ebensowohl Entschiedenheit wie Kenntnisse und Takt
erforderte. Für Sachsen, das natürlich dabei von den beim
Großen Generalstab und in Preußen getroffenen Einrich-
tungen abhängig blieb, wurde beim Königlich Sächsischen
Kriegsministerium eine Abteilung für die Presse (die P.-Z.,
d. i. Presse-Zentrale) begründet, deren Leitung dem Wirk-