Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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sichtliche Höhe der Lebensanschauungen deutscher Denker; so 
konnte aus der Geschichte des deutschen Geistes ein Trost 
abgeklärtester Art für die drangvolle Gegenwart gewonnen 
werden. 
Die skizzenhaften Einzelzüge, welche hier zu einem Bilde 
der geistigen Bewegung von 1914 in Sachsen vereinigt 
worden sind, können und sollen nur dem dabei Wesenhaften 
Ausdruck verleihen. In einem jeden größeren Ort verlief 
sie, je nach den verfühbaren Kräften, mit mancherlei Be- 
sonderheiten, die gewiß der Erwähnung wert wären. Auf 
dörflicher Heimatflur ging es stiller zu; den Flug in das 
Hochgeistige nahm man in den Kreisen des einfachen Land- 
manns nicht, dafür trat um so mehr das Wurzelhafte und 
Bodenständige der Gesinnung, die heiße Liebe zur eigenen 
Scholle, hervor. Es soll natürlich keineswegs verkannt wer- 
den, daß Hunderttausende im Volke von jenem einmütigen, 
  
Wiü#helm Wundt, Professor der Philosophie 
# an der Universitet Leipzig 
opferfrohen, sittlich geläuterten Geiste des Spätsommers 
1914 nicht im innersten Kern, sondern mehr an der Ober- 
fläche berührt waren. Viele auferlegten Leistungen wurden 
mehr aus Gehorsam unter dem strengen Kriegsgesetz voll- 
bracht, alo in freier, begeisterter Selbsthingabe für Volk 
und Staat. Auszerlicher Ehrgeiz mischte sich in den heiligen 
Opfersinn, Lust an munterem Erleben in den harten Ernst 
der Tage; denn der Krieg hebt nicht nur „alles ins 
lingemeine“, auch rohe und niedrige Leidenschaften ruft er 
wach. Aber das war die unvergleichliche Größe der Er- 
bebungszeit von 1914, daß das Unlautere, Unschöne, Un- 
sittliche durch die weite Ausbreitung edelster Gesinnung voll- 
kommen überschattet ward und sich nicht an das Licht hervor- 
wagte. Jene oben gegebene Schilderung des Denkens und 
Fühlens der Sachsen nach dem Ausbruch des Weltbrieges 
darf in ihren Grundzügen Anspruch auf volle historische 
Glaubwürdigkeit erheben. Der Geist von 19014 war wirk- 
liches Erlebnis des Volks in seiner Gesamtheit und wird 
daher etwas Bleibendes und dauernd Wertvolles in den 
Jahrbüchern sächsischer Geschichte sein im Sinne von 
Goethes Wort: „Ich besaß es doch einmal, was so böst- 
lich ist.“ 
II. Die Leistungen geistiger Arbeit in vier Jahren 
der Kriegsnot 
Die Hoffnung, daß, wenn die bunten Blätter im Herbst 
fallen, die ausgerückten Soldaten wieder heimkehren wür- 
den, erfüllte sich nicht. Noch einmal wurde mit der Ein- 
nahme der großen Festung Antwerpen ein starker militärisch- 
politischer Erfolg erzielt; dann versteiften sich die Kampf- 
handlungen zum langwierigen Stellungsbrieg. So ging es 
in den ersten Kriegswinter hinein. 
Deutschlands Wirtschaftsleben, nach Kriegsausbruch aufs 
heftigste erschüttert, kam inzwischen überraschend schnell, 
in Anpassung an die Bedürfnisse der Kriegszeit, wieder in 
fester geordneten Gang. Auch das geistige Leben lenkte in 
ruhigere Bahnen ein. Nachdem durch den erschreckend plotz- 
lichen Anblick der großen Volksnot, durch den Weckruf zum 
Abwehrkampf Phantasie und Willenskraft den stärksten 
Anreiz empfangen hatten, forderte wieder die geistige Arbeit 
des Alltags mit ihren mancherlei verständigen und nüchter- 
nen Erwägungen ihr Recht; man stellte sich, als der Krieg 
nicht mehr unvermutetes Ereignis, sondern etwas schon Ge- 
wohntes war, in der ganzen seelischen Haltung auf ihn 
als einen Dauerzustand ein. 
Wer hätte damals, obschon soviel von der Notwendigkeit 
des „Durchhaltens“ gesprochen wurde, wohl sagen mögen, 
daß eine Zeit von vier langen furchtbaren Kriegsjahren vor 
dem deutschen, dem sächsischen Volke lag, reich an herr- 
lichen Siegen, an glänzendem äußeren Erfolg, an hoch- 
gemutem Denken, aber auch überreich an schmerzoollster 
innerer Erfahrung, an harten Entbehrungen, an lastendem 
seelischen Druck. Stolze Wochen, da die vaterländische Be- 
geisterung wieder leuchtend entbrannte, wurden nach Mona- 
ten bangen Harrens erlebt. Weltweite Aufgaben wirtschaft- 
licher und geistiger Art taten sich dem deutschen Volke auf, 
über die ganze Erde hin dehnte sich der Blick, und unend- 
liche Eindrücke mannigfaltigster Art stürmten auf die emp- 
fänglichen Seelen ein; jetzt galt es: Schauen, und wenn 
erst der Friede geschenkt sein wird, Schaffen mit gewachse- 
ner Erkenntnis, in gesteigerter Lust. Aber dann wieder 
türmten sich neue Schwierigbeiten empor, herbe Enttäu- 
schung kam, bittere Aufopferung von Menschenglück und 
immer gleichförmig die schwarze Trauerkunde von unersetz- 
lichem Verlust durch Krankheit und Schlachtentod. In 
diesen vier Jahren drangvoller Kriegsnot mußte der Geist 
von 1914 seine Probe bestehen; denn auch von ihm hieß 
es: „an seinen Früchten sollt ihr ihn erkennen.“ In der Tat 
bat er sich fruchtbar gezeigt: seinem Nachwirken waren die 
Leistungen zu danben, zu denen sich Sachsens Volk, wie in 
wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht, so auch im Felde 
geistiger Arbeit vom Herbst 1914 bis in die Herbsttage 
1918 aufgerafft hat. Es gilt sie zu buchen, nicht in einer 
allgemeinen Ubersicht, sondern gesondert nach den einzelnen 
Hauptgebieten des geistigen Schaffens. 
1. Buchwesen und Presse 
In einer geit, in welcher ein ganzes Volk um sein Dasein 
ringt, muß das wirksamste Mittel der Gedankenausbreitung, 
das gedruckte Wort, im Hinblick auf diesen augenblicklich 
böchsten Zweck überwacht und planvoll in den Dienst der 
Erhaltung des gesamten im Staate zusammengeschlossenen 
Volkes gestellt werden. So trat die militärische Zen- 
sur in ihr Recht, mit einer höchst schwierigen Aufgabe der 
Einwirkung auf das geistige Leben während des Krieges, 
die ebensowohl Entschiedenheit wie Kenntnisse und Takt 
erforderte. Für Sachsen, das natürlich dabei von den beim 
Großen Generalstab und in Preußen getroffenen Einrich- 
tungen abhängig blieb, wurde beim Königlich Sächsischen 
Kriegsministerium eine Abteilung für die Presse (die P.-Z., 
d. i. Presse-Zentrale) begründet, deren Leitung dem Wirk-
	        
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