Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

jetzt die ideale Begeisterung, die willige Opferfreudigkeit, 
der feurige Drang, mit angespanntester Kraft das Höchste zu 
leisten, kurz alles, was köstlich am Geiste von 1914 war, 
in der studierenden Jugend lebendig; und dazu Frische und 
Humor und bei den besten Köpfen soziale Einsicht und das 
Geschick, gegenüber älteren ihnen unterstellten Männern 
den richtigen Takt zu wahren. Unvergessen wird der An- 
blick dieser jungen Menschen bleiben, die in Selbsizucht und 
gediegenem Ernst sogleich gereifte Männer geworden zu 
sein schienen. Etwa vier Fünftel aller Studierenden pfleg= 
ten während der späteren Kriegssemester um Felde oder 
sonst im Heere eingezogen und im Hilfsdienst oder beim 
Roten Kreuz tätig zu sein. Ganz ungewöhnlich groß waren 
die Verluste, welche die Leipziger Studentenschaft im Kriege 
erlitt, zahlreicher, namentlich im Anfang, als an anderen 
Universitäten: etwa lio haben ihr junges Leben mit all 
den reichen Möglichkeiten geistiger Entwicklung dem Vater- 
land als edelste Gabe dargebracht (etwa ein Fünftel des 
gleichzeitigen Bestands, 20 00 gegen 6 00 bei der übrigen 
männlichen Bevölkerung). Eine Ehrentafel in der Eingangs- 
halle zum Hauptgebäude der Universität ist ihrem Andenken 
gewidmet. 
Auch aus den Reihen der Universitätslehrer wurden viele 
der jüngeren zum Heere einberufen, und manche der älteren 
meldeten sich zu freiwilligem, feldgrauem Dienst; andere 
wurden ihrem besonderen Wissen und Können gemäß in 
ebenso kriegswichtiger Tätigkeit verwendet oder nahmen eif- 
rig an der vaterländischen Hilfsarbeit teil. Mehrere starben 
den Tod fürs Vaterland; aber auch andere, die vorzeitig 
durch seelische und körperliche Leiden aufgerieben dahin- 
gerafft wurden, sind als Opfer der Kriegszeit anzusehen. 
Nur wenige der bekanntesien seien genannt: von einer Reise 
auf den belgischen Kriegsschauplatz im Frühfahr 1915 in 
völliger Erschöpfung heimgekehrt, starb der Historiker Karl 
Lamprecht, der noch kurz zuvor in Rede und Schrift seine 
Gedanken einer Kulturpolitik vor dem deutschen Volbe warm 
vertreten hatte; nach ihm verlor die Universität den geist- 
vollen Rechtshistoriker R. Sohm, der auch als Sozialpoli- 
tiker viel genannt war, ihren berühmten Kirchenhistoriker 
Alb. Hauck und noch manchen ausgezeichneten Vertreter 
eines besonderen wissenschaftlichen Fachs. Andere Männer 
traten an ihre Stelle (W. Goetz als Nachfolger Lamprechts, 
Alf. Schultze für deutsches Recht und Kirchenrecht, Felir 
Krüger als Nachfolger W. Wundts, der in den Nuhestand 
trat, L. Pohle für Nationalökonomie an Stelle K. Büchers, 
der sich auf die Pflege der Zeitungskunde beschränken 
wollte); auch neue jüngere Kräfte wandten sich dem aka- 
demischen Lehramt zu. 
Der innere Ausbau der Universitätseinrichtungen stand 
trotz der Kriegsnot nicht still. In Ausführung schon früher 
verfolgter Pläne, die K. Lamprecht angeregt und aufs eif- 
rigste betrieben hatte, wurden sehr bald nach Kriegsbeginn 
Institute für Forschungszwecke auf geisteswissenschaftlichen 
Gebieten ins Leben gerufen. Die Mittel dazu gewährte 
außer Zuschüssen des sächsischen Staates und der Stadt 
Leipzig die aus reichlichen schon im Frieden bereitgestellten 
Spenden von Leipziger Bürgern begründete König-Fried- 
rich-August-Stiftung. So konnten im ersten Kriegswinter 
zehn (später zwölf) „Staatliche Forschungsinsti- 
tute“ für vergleichende Religionsgeschichte, Rechtsgeschichte, 
Psychologie, Indogermanistik und Philologie, Geschichte, 
Geographie, Völkerkunde, Volkswirtschaftslehre und Musik- 
wissenschaft, die den Universitätsinstituten als besondere 
Abteilungen für reine Forschungozwecke angegliedert sein 
sollten, begründet werden; die wirkliche Förderung der neuen 
wissenschaftlichen Unternehmungen war freilich durch den 
Krieg stark gehemmt. Die eigentlichen Universitätsinstitute 
selbst wurden durch das Südosteuropa= und Islam-Institut 
sowie das Institut für rumänische Sprache vermehrt; im 
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Germanistischen Institut wurde eine besondere flämische 
Abteilung begründet, das englische Seminar mit dem ro- 
manischen zu dem Englisch-Romanischen Institut verbunden 
und erweitert. Selbständigkeit erlangte das Kolonial- 
geographische Seminar; in Umwandlung eines schon be- 
stehenden Seminars wurde ein eigenes Seminar für säch- 
sische Geschichte eingerichtet. Schließlich entstand auch ein 
Institut für Zeitungskunde. So gaben die Kriegsvorgänge 
in ihrer Weise manche Anregung zur Erweiterung der ge- 
wohnten Wissenschaftspflege, wie sich dies auch in der 
Wahl neuer Gegenstände für Vorlesungen und Praktika 
kundgab. Einer besonderen durch den Krieg erwachsenen 
Aufgabe dient das beim Historischen Institut geschaffene 
Kriegsarchiv, in welchem wichtige auf die Kriegszeit 
bezügliche Drucksachen (Zeitungsausschnitte und Broschü- 
ren) vornehmlich dank den Bemühungen von Professor 
Herre angesammelt und geordnet worden sind, ein vorzüg- 
  
Karl Lamprecht, Professor der Geschichte an der Universität 
Leipzig (gest. 9. Mai 1915) 
liches Material für künftige Studien zur politischen Ge- 
schichte der allerjüngsten Vergangenheit. 
In ähnlicher Weise, wie die Landesuniversität, erlebte die 
Technische Hochschule in Dresden den Weltkrieg, die 
mit der dortigen Tierärztlichen Hochschule und mit 
den beiden bleineren umweit gelegenen Hochschulen, der ForstO- 
abademie in Tharandt und der Bergbauakademie 
in Freiberg, eine engere Vereinigung zu Lehr= und For- 
schungszwecken bildete. Bei der gesteigerten Bedeutung, 
welche gerade die „angewandten“ Wissenschaften in den 
schweren Kriegsjahren als Retterinnen in der Not durch 
Bereitstellung von allerhand neuen Hilfsmitteln erlangten, 
erwies sich der Besitz jener Hochschulen mit ihren Lehrern 
und Lernenden sowie den schon im Frieden ausgestalteten 
Vorrichtungen für Erperimente, Konstruktionen und dergl. 
als ein für Sachsen ganz außerordentlich schätzbares Gut. 
Die Generaldirektion der Kgl. Sammlungen wurde dem 
Kultusministerium unterstellt. Meist war es möglich, die 
Erwerbungen glücklich fortzusetzen; die Bildergalerie wurde 
teilweise neu geordnet, das Historische Museum nach Voll- 
endung der neuen Aufstellung wieder geöffnet; bei manchen 
Sammlungen mußte man sich freilich mit Vorbereitungen
	        
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