Scherz bot der vogtländische Dichter L. Riedel; einen glück-
lichen Volkston traf auch Franziscus Nagler, Kantor in
Leisnig, der die „Dorfheimat“ und das Kleinstadtleben
nach seiner guten Seite in Bildern „An der Stadtmauer“
schilderte und an die Kameraden draußen seinen langen fröh-
lichen Feldpostbrief „Wie lieb ich dich, mein Sachsen-
land“ schrieb. Die „Kulturgeschichtlichen Skizzen“ P. G.
Münchs, anspruchslos und humorvoll, erregten viel Freude.
Sollt: es nicht auch als ein Zeichen der Entwicklung des
geistigen Lebens während der Kriegszeit anzusehen sein, daß
nach Erinnerungen einer 80 jährigen Dresdenerin die Erzäh-
lung „Sonnenkind“ (ovon Marg. Nicolaus) erschien und
viel Beifall fand, das Bild einer schlicht-bürgerlichen Per-
sönlichkeit nach dem Spruch:
„Der hat sein Leben am besten verbracht,
Der die meisten Menschen hat froh gemacht.“
Während eine Kriegsdichtung von ganz überragender
Größe von Sachsen nicht ausging, wirkte sehr stark nach
außen, dank der seit einem Menschenalter errungenen füb-
renden Stellung, der Kunstwart, von Ferd. Avenarius
als weit. gelesene Zeitschrift von allgemein deutscher Be-
deutung herausgegeben. Seinen Dienst als getreuer Wächter
des innerlich Echten und wirklich Wertvollen in Kunst und
Kultur tat er auch im Kriege; im äußeren Umfang etwas
eingeschränkt, erweiterte er sogar sein Stoffgebiet auf alle.
Fragen des deutschen Lebens und trat seit dem 30. Jahr
seines Erscheinens als „Deutscher Wille“ auf. Deutschtum
im echtesten und lautersten Sinne war seine Losung. Wider
ungehörige Verkennung und Herabwürdigung deutschen Gei-
stes im Ausland wandte er sich mit Glück und Geschick,
freilich auch wider ungerechte Herabsetzung fremder Lei-
stungen bei uns im Lande und wider den hier nicht fehlenden
Kriegskitsch. Immerhin ist es bezeichnend, daß seine Über-
schau über Literatur, bildende Kunst, Musik im Vergleich
zur Betrachtung von Politik, Wirtschaft, Lebensresorm all-
mählich an Breite verlor. — Ganz im Sinne des Kunst-
warts, der sich stets für Reinigung des Geschmacks ein-
setzte, sowie des von Dresden aus geleiteten Dürer-
bundes war der Kampf gegen die Schundliteratur, der
nunmehr auch von amtlichen Stellen (Pressezensur der
Militärbehörden) aufgenommen wurde; überdies wandte
sich mit vollem Recht der Verein für sächsische Volks-
kunde gegen die Karikatur sächsischer Volksart in der
leider immer wieder auftauchenden „Bliemchendichtung“,
die in der ernsien Kriegszeit ganz besonders als arger
Schädling empfunden ward.
Die zur Pflege des literarischen Lebens im Lande be-
stehenden Vereinigungen (in Dresden der Literarische Verein,
die Literarische Gesellschaft, die Gesellschaft für Literatur
und Kunst; in Leipzig der überaus rührige Schillerverein,
um dessen künstlerische Leitung sich Prof. Witkowski ein
entschiedenes Verdienst erwarb) trafen mancherlei Veranstal-
tungen, um ihren Mitgliedern wie auch einem frei zu-
sammenströmenden Publikum Erhebung und Belehrung,
Aufklärung über die Fragen „Krieg und Kultur“ zu schaf-
fen; daneben ging eine reiche Tätigkeit freier Vorträge und
künstlerischer Vorlesung von Dichtwerken einher, oft zugleich
im Dienste sozialer Kriegshilfe. Hervorragende Künstler
und Gelehrte von auswärts wetteiferten mit den heimischen,
durch ihr Wissen und Können Stunden feinen geistigen
Genusses und der ach so nötigen seelischen Ausspannung
zu bereiten. Dabei stellte Dreoden einen der ausgezeichnet-
sten, in seiner Art vielleicht den bedeutendsten Meister-
sprecher Deutschlands, Friedrich Erhard, der damals wahr-
haft große Wirkungen erzielte, indem er einzigartige Werke
der Weltdichtung durch seine tiefdurchdachte und klangvolle
Vortragskunst zu neuem Leben erstehen ließ. Auch Br. Türsch-
manns sei gedacht, der Stellen aus Fichtes Neden an
die deutsche Nation eindrucksvoll vortrug. In Dreöden
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brach, während es sonst im Lande auf dem literarischen
Felde noch ruhig blieb, auch schon der Sturm und Drang
allerneuester Dichtung vor: zuerst im November 1916 wur-
den Werke von Mitarbeitern der Zeitschrift „Neue Ju-
gend“ vorgelesen; Ernst Deutsch scharte um sich den Kreis
der Dresdener „Expressionisten“, der „Dresdener Verlag
von 1917“ wurde gegründet, in dem unter anderen Richard
Fischer und Alfred Günther Proben ihrer traumhafte Schön-
heit atmenden Poesie veröffentlichten, die „Sturm“-Abende
hatten berauschenden Erfolg — ein von allem Biherigen
gänzlich abgewandter Geist forderte laut und vernehmlich
Anerkennung; die Bewegung von 1914 war verschäumt.
Es war natürlich, daß das seelische Erleben in der
Kriegszeit auch zu musikalischem Ausdruck drängte. Denn
Musik im tiefen Sinne des Worts ist nicht rauschendes,
dem Ohr wohlgefälliges Vergnügen, sondern Aussprache
innerster seelischer Regungen in naiv schlichter Form wie
in reichster Fülle der Klangwirkung. In dieser Zeit, da
ein großes Gemeingefühl alles beherrschte, wäre das Volks-
lied das geeignetste Ausdrucksmittel dafür gewesen. Aber
war die Gegenwart wirklich noch fähig, dergleichen zu schaf-
fen? In der Umbildung älterer Volkslieder betätigte sich
noch solche Triebkraft, am schönsten in der eigenartigen
Mischung der Grundgefühle bei dem von Soldaten viel
gesungenen:
„Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern find'st du nicht.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite.
Gloria, Viktorial!
Mit Sing und Sang die Welt entlang —
Die Väéglein im Walde, die sangen so wunderschön.
In der Heimat, in der Heimat, da gibts ein Wiedersehn!“
Die neu gedichteten Texte zur Wacht am Rhein, zum
Niederländischen Dankgebet und anderen älteren Weisen,
im einzelnen gewiß oft gut angepaßt, erlangten dennoch
keine dauernde Volkstümlichkeit. Bei manchen ganz neuen
Liedern wurde der volkstümliche Ton glücklich getroffen:
„Unser Hauptmann geht nach Flandern, wer geht mit?“
— „Wenn wir erst wieder heimwärts ziehn!“ (Gedichte
von W. Busch und W. Ostwald in Leipzig, die Weise,
wie es sehr bezeichnend ohne Namensangabe heißt, von
einem deutschen Sangesbruder). Aber bleibendes Gemein-
gut des Volks sind auch sie nicht geworden. Schon etwas
höhere Ansprüche stellten Lieder wie R. Dehmels Fahnen-
lied (Es zieht eine Fahne vor uns her, herrliche Fahnel).
Dazu kamen nun Gesangskompositionen und Instru-
mentalmusik mit der vollen Verwendung der alles mächtig
Gesteigerte, alles Zarte und Innige, das Düstere, aber
auch das Heitere und Kecke wiedergebenden Klangformen
moderner Musik. Gust. Wohlgemuth in Leipzig, der soeben
den Domchor für die Sangesaufführungen im Völber-
schlachtdenkmal gegründet hatte, bot Wertvolles; auch der
durch seine wundervolle Kunst frei erfindenden Orgelspiels
ausgezeichnete Universitätskirchenorganist Ernst Müller,
dessen Kompositionen der Paulus (Universitäts-Sänger-
schaft) einmal einen besonderen Abend widmete, sei ge-
nannt; ungemein originell charakteristisch war H. Barges
Vertonung des bekannten österreichischen Reiterlieds von
Juckermann. Solche Schöpfungen der Kunstmusik werden
noch bünftigen Zeiten Beispiele sächsischer Musik aus der
Weltbriegsepoche sein können. Bei der Tiefe der Gefühle
und dem heiligen Ernst, der die ganze Zeit durchdrang,
fand sie ihren beseeltesten Ausdruck in der Musica sacra.
Sachsens Kantoren, schon seit der Reformationszeit ver-
dienstvolle Mitschöpfer der musikalischen Kultur Deutsch-
lands, ergriffen die Aufgaben, welche die Kriegozeit stellte:
in mannigfachen Tonsätzen für Orgel, Einzelgesang und
Chor, auch für Instrumente, ließen sie fromme Erhebung,
Leid und Seelentrost, Andenken an die Gefallenen in stren-