Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

geisterungsfroh und idealgesinnt, gaben der Jugend ein 
leuchtendes Beispiel einer keine Selbstschonung kennenden 
Aufopferungsfähigkeit und bereiteten den ihrer geistigen 
Pflege Befohlenen Stunden erhebendster Art voll edlen blei- 
benden Gewinns für Kopf und Herz. 
Wie brennend gern hätten Eltern und Erzieher das heran- 
wachsende Geschlecht vor den schlimmen Folgen der harten 
Kriegsjahre behütet! Aber so weittragend waren die Aus- 
wirkungen dieses ungeheuren Völkerkampfes, daß auch die 
Kinder nicht verschont blieben. Es wird ein wichtiges Stück 
der inneren Kriegsgeschichte 1914/18 sein, einmal das gei- 
stige Erleben der Jugend in diesen inhaltsschweren 
Jahren darzustellen; Erfreuliches und Betrübliches wird sich 
bei solchem Bilde mischen. Nachrichten von Kampf und 
Sieg, von heldenhafter Tat und abenteuerlichem Erleben 
wirken auf die jugendliche Phantasie besonders stark; in 
glücklicher Naivität nimmt der Knabe mit feurigem Ent- 
zücken dies hin, ohne über das Schreckhafte dabei zu grü- 
beln; und auch dem Mädchen konnte viel Anregendes von 
dem Schicksal und Tun mutiger, treuer Frauen erzeählt 
werden. Im Schulunterricht war die Empfänglichkeit für 
manches Altgewohnte entschieden gemindert; aufgeschlossen 
aber war der Sinn für alles, was für das unmittelbare 
Erleben des Tages Bedeutung gewinnen konnte: Deutsch, 
Geschichte und fremde Länderkunde mochten am meisten 
fesseln. Dazu wurde die Jugend zu allerhand praktischen 
Aufgaben für das Gemeinwohl herangezogen; das war 
nützlich und gut, freilich wurde bisweilen allzuwenig be- 
dacht, daß die jugendliche Seele, noch zart und keimhaft, 
des kundigen Gärtners bedarf und bei allzu praktischer 
Ausnützung leicht verkümmert. Zu Hilfsarbeiten bei der 
Ernte, zum Sammeln von Laub und Streu, zum Pflücken 
von Lindenblüten und zum Schneeschippen, zur Goldsamm- 
lung, zum Straßenverkauf von Karten, Blumen, Broschen 
und anderen Gedenkzeichen, sogar zum Werben für die 
Kriegsanleihe wurden jugendliche Helfer aufgeboten; an- 
fänglich geschah solch ungewohnte Leistung, schon um der 
schulfreien Tage willen, mit sichtlicher Lust, aber eine 
Ermüdung an innerer Bereitwilligkeit war auf die Dauer 
kaum vermeidbar. Von dem sittlichen Aufschwung nach 
Kriegsbeginn war die Jugend kräftig erfaßt worden; man 
griff ja auch damals gegen Ausschreitungen ohne viel Feder 
lesen durch. Aber im Laufe des Krieges wandelte sich dies 
ins Ungünstige: die lange Abwesenheit der Väter vom 
Hause, ein gewisses Nachlassen der gleichmäßigen Schul- 
zucht, bei der schulentlassenen Jugend auch die all- 
zuleichte Möglichkeit frühen ungewöhnlich hohen Verdienstes, 
überhaupt das Sinken der öffentlichen Moral, drückten 
den Stand sittlicher JZucht und Gewöhnung herab; die 
Kriminalität der Jugendlichen nahm erschreckend zu trotz 
der Bemühungen weiter ausgedehnter Jugendpflege, die 
ihr Bestes tat, um dem hereinbrechenden Übel zu steuern. 
Durch die Vorgänge des Krieges waren Fragen der Er- 
ziehungs= und Bildungsreform mächtig angeregt, 
obschon die ruhige Erörterung in der Fachpresse durch die 
Schwierigkeiten auf dem Büchermarkt eingeschränkt war. 
Die Forderung „Freie Bahn dem Tüchtigen“ ward weit- 
hin verbreitet und zum gern gebrauchten Schlagwort ge- 
macht. Sehr natürlich war es, daß das Verlangen laut 
erhoben wurde, die Pflege des Deutschtums, deutscher 
Sprache, Kultur und Gesinnung, ganz anders als bisher in 
den Mittelpunkt des Unterrichts zu rücken, bisweilen in 
übertriebener Art, so daß die Übermittlung eines gründ- 
lichen Wissens in anderen Lehrfächern in Frage gestellt er- 
scheinen konnte. Auch der Geschichtsunterricht beschäftigte 
die öffentliche Meinung sowie die Fachkundigen; ein kennt- 
nisreiches und maßvolles Buch darüber schrieb Professor 
Fr. Friedrich in Leipzig (Stoffe und Probleme des Ge- 
schichtsunterrichts an höheren Schulen, 1915). In Perthes 
381 
Schriften zum Weltkrieg behandelte Bürgerschuloberlehrer 
Dr. Krebs-Leipzig „Krieg und Volksschule“, ein Zeitbild 
mit Vorschlägen für Leitung und Unterricht. So herrschte 
auch auf diesem Gebiete geistigen Lebens während der 
Kriegszeit in Sachsen große Regsamkeit. Durch eine reiche 
Tätigkeit in Wort und Schrift über kulturpädagogische 
Probleme erwarb sich der Leipziger Universitätsprofessor 
für Philosophie Ed. Spranger den Ruf eines der gründ- 
lichsten Kenner dieser Fragen in Deutschland. 
Noch unmittelbarer wichtig als Schule und Jugend- 
pflege, war im Kriege die geistige und sittliche Bildung der 
Erwachsenen aller Schichten des Volks; denn von der Ein- 
sicht in das für die Gesamtheit Zweckvolle und Notwen- 
dige und von der Selbstbeherrschung zum Wohle des Gan- 
zen hing, soweit die Kräfte des geistigen Lebens den Aus- 
schlag geben und nicht die Wirtschaft und technische Macht- 
mittel, im letzten Grunde die Entscheidung des ganzen Nin- 
gens ab. 
Eine großzügige Organisation der Volksbildung in dem 
während des Krieges überhaupt denkbaren Rahmen war nur 
den Militärbehörden im Zusammenwirken mit der Jivilver- 
waltung möglich. In der Friedenszeit hatte der Unterricht 
beim Militär für die Allgemeinbildung nicht allzuviel be- 
deutet. Auch in den Mobilmachungsplan war Bildungs- 
fürsorge nicht eingestellt. Bei einem kurzen Feldzuge wäre 
dies in der Tat auch nicht nötig gewesen: Stimmung war 
da; im übrigen gab es Wichtigeres zu tun. Doch als der 
Krieg zum Dauerzustand ward, erwies sich die Schaffung 
eines provisorischen Bildungswesens bei den Truppen an 
der Front und in den Ruhestellungen, im besetzten Gebiet 
auch für die bei der Zivilverwaltung tätigen Deutschen, 
als Notwendigkeit. Es haben Sachsen dabei in hervorragen- 
der Weise mitgewirkt: in Brüssel wurden dank dem Vorgehen 
des Geheimen Hofrat Dr. L. Volkmann aus Leipzig (tätig 
in der Abteilung für die Presse) die Bildungomöglichkeiten 
in reichem Maße geboten; die „Bildungszentrale“ sorgte 
für Vorträge, Konzerte, Theateraufführungen, guten Lese- 
stoff; später schuf Volkmann ähnliches in Bukarest. Auch 
längere Lehrkurse wurden eingerichtet, und den jüngsten 
Feldgrauen gewährte man die Gelegenheit, soviel an „Bil- 
dung“ sich anzueignen, um vorgeschriebene Prüfungen zu 
bestehen. Allgemeinere Wichtigkeit erlangte die Durchfüh- 
rung des „vaterländischen Unterrichts“, allerdings erst in 
der Spätzeit des Krieges. Lehrbräfte fanden sich reichlich bei 
den Truppen selbst; insbesondere höhere Verwaltungsbe- 
amte, Land-und Amtorichter, sowie die Lehrer von Gymnasien, 
Seminarien und Volksschulen konnten dabei eine ihrem 
Wissen und ihrer Begabung angemessene Tätigkeit entsal- 
ten. Doch auch aus der Heimat wurden Lehrende herbei- 
gezogen; der Verfasser dieser Zeilen denkt noch gern der 
Stunden, die er im Frühjahr lols bei verschiedenen säch- 
sischen Truppenverbänden in Belgien und um Metz dieser 
schönen Aufgabe durch Vorträge zur sächsischen Geschichte 
widmen durfte. Bevorzugt waren bei solchem Unterricht 
Staatsbürgerkunde und Volkswirtschaftslehre, auch Ge- 
schichte und Geographie. Sicher haben die Truppen manche 
Freude davon gehabt und nützliche Belehrung empfangen; 
für eine tiefer greifende Wirkung war es wohl schon zu 
spät, zumal da die Empfänglichkeit für solchen meist auf 
bestimmte Leitgedanken eingestellten Unterricht nicht mehr 
unbefangen genug vorhanden war. 
Auch in Sachsen war zur Pflege der Volksbildung zu- 
nächst nur die Selbsthilfe der Bevölkerung regsam. Mit 
bezeichnendem Ausdruck wurde ein Vortragszyklus im Leip- 
ziger Buchgewerbehaus, worin über die Organisation der 
heimischen Wirtschaft und anderes Kriegsnotwendige Auf- 
klärung geboten ward, „Die Wacht daheim“ genannt. Auch 
die von Friedenszeiten her bestehenden Bestrebungen wirk- 
ten fort. Nach wie vor wurden „Volkstümliche Hochschul-
	        
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