Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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kurse“ gehalten, zeitweilig vor kleiner Hörerschaft, dann 
wieder mit anschwellenden Besuchsziffern, natürlich unter 
Anpassung der Vorlesungsgegenstände an den Interessen- 
kreis der Kriegszeit. Auch das von den Gewerkschaften 
Leipzigs organisierte Bildungswesen mit Bücherausleihver- 
behr, Vorträgen und Kursen, auch Konzerten und volks- 
tlimlichen Theatervorstellungen bestand fort; ja es war hier 
möglich, eine neue Volksbibliothek und sogar eine „Fach- 
schule für die Verwaltung und Technik volkstümlicher Büche- 
reien“ zu eröffnen, wobei sich der Leiter der städtischen 
Bücherhallen W. Hofmann als tüchtiger Fachmann nam- 
haftes Verdienst erwarb. Nur unmittelbar nach Kriegsaus- 
bruch war das Lesebedürfnis zurückgegangen; später hob 
es sich wieder und stieg bei manchen Lesern über die 
Gewohnheit der Friedenszeit. Erst spät wurde eine weiter 
ausgedehnte amtliche Tätigkeit für „Aufklärung“ einge- 
richtet im engen Anschluß an die Dienststellen für Be- 
handlung der Preßangelegenheiten. Vornehmlich wandte 
sie sich den Fragen zu, die von unmittelbarer Bedeutung 
für den Kriegsverlauf werden konnten; doch bot sich auch 
Gelegenheit zu Vorträgen aus der Heimatkunde und Ge- 
schichte u. ä. von allgemein bildendem Wert, auch eine 
Sammlung dafür geeigneter Lichtbilder wurde angelegt. Nur 
wenig erhellt über den Erfolg dieser Bemühungenzoft war es 
wohl für nachhaltige Wirkung bereits zu spät. Aber manche 
lehrreiche Erfahrung wurde gesammelt; und wenn auch 
durch manch Trübes der letzten Kriegezeit noch verdeckt, 
trat eindringlich und groß eine Aufgabe der Zukunft her- 
vor: Hebung der Volksbildung unter Wahrung der Lehr- 
und Lernfreiheit, weitherzig gefördert von Staat und Ge- 
meinde mit planvoller Erfassung der besten bhierfür verfüg- 
baren Kräfte. 
III. Vom Krieg zum Frieden 
Begeisterung, die aus tiefer seelischer Erregung auf- 
flammend emporschlägt, ist stärkster Wirkungen fähig; aber 
auf die Dauer bedeutsamer ist die Kraft zu ruhig ge- 
messener Erfüllung der Pflicht. So hat nach Kriegs- 
ausbruch 1914 in der plötzlich riesengroß emporwachsenden 
Gefahr des Volkes und Vaterlands die geistige Erregt- 
heit mit ihrer Einmütigkeit des Sinns, ihrer Hilfs= und 
Opferbereitschaft und ihrer entschlossenen Willenskraft mäch- 
tige Wirkung getan; sie ist das Hehrste und Schönste, 
was Sachsen und mit ihm ganz Deutschland in der Welt- 
kriegszeit erlebt hat. Aber noch wichtiger war die Be- 
währung solcher Gesinmung in der nun kommenden langen 
und, wenn auch neue Begeisterungswellen hereinfluteten, 
bisweilen doch recht nüchternen Zeit der Kriegsnot. 
In diesen vier schweren Kriegsjahren haben die geistigen 
Mächte des Lebens, Presse und Buchwesen, Wissenschaft 
und Kunst, Kirche, Schule und Volksbildungspflege, trotz 
aller äußeren und inneren Hemmungen aufs tapferste 
standgehalten und sind treu auf ihrem Posien gewesen, um 
dem von den Feinden ringsum und den Gefahren in der 
eigenen Brust arg bedrängten Volke tüchtigen Helferdienst 
zu tun. Deutsche Kultur haben sie verteidigt wider gegne- 
rische Verunglimpfung, den Beweis bewunderungswürdiger 
Leistungsfähigkeit deutschen Geistes unter schwierigsten Um- 
ständen vollgültig erbracht. In den wachsenden Kümmer- 
nissen des täglichen Lebens, in der steten Entbehrung so 
viel altgewohnter Freude, deren das Menschengemüt zur 
Auffrischung dringend bedarf, bei dem heimlich lastenden 
Druck der Seele, bei den niederschmetternden Nachrichten 
von Krankheit und Tod haben jene Spenderinnen geistiger 
Werte immer von neuem sLicht und farbigen Wechsel in 
das Gleichmaß der Tage gebracht. Immer wieder führten 
sie auf die Höhen weltweiter Betrachtung und boten Auf- 
klärung über vieles Unverständliche in den Vorgängen 
dieser oft kaum begreiflich erscheinenden Zeit. Die Schätze 
edelsten geistigen Gutes aus der Vergangenheit des eigenen 
Volkes und aus fremden Zonen tischten sie als köstliche 
Gaben auf; mit warmen reinen Klängen füllten sie die 
Seele, sie ließen die tiefen Gefühle des menschlichen Herzens 
zu abgeklärter Aussprache kommen, sie lehrten mit bellem, 
scharfem Blick in diese wunderliche Welt schauen, um selbst 
die Schönheit, die sich im Grausigen offenbart, sehen zu 
können. So wirkten sie befreiend, tröstend, erhebend und 
zeigten, was ein Volk vermag, das in der kriegerischsten 
Anspannung, welche die Weltgeschichte kennt, mit seiner 
auf geistige Kultur eingestellten Lebensführung durchhält. 
Aber es scheint ein Lebensgesetz zu sein, daß stets Gegen- 
sätzliches sich Bahn bricht. Der Krieg, der Millionen zu 
gleichem Dienst ziwang, der in noch nie dagewesener Weise 
sogar die Nahrung und anderen Lebensbedarf der einzelnen 
auf gleiche Ration setzte, der den furchtbaren Gleichmacher 
Tod durch die Lande schreiten sah, trieb andererseits die 
ungeheuerlichsten Gegensätze hervor. 
So erlag auch der Geist von 1914 dem Gesetze des 
Wandels. Wo vordem Begeisterung geherrscht hatte, trat 
vielfach Ernüchterung ein; die frische Kraft seelischen 
Schwungs erlahmte, Erscheinungen der Abspannung und 
Ermüdung wurden weithin sichtbar. Die herrliche Ein- 
mütigkeit in der Gesinnung des ganzen Volbs während der 
ersten Wochen des Krieges geriet ins Wanken und be- 
gann zu zerfallen. Hatte schon einst in der Vorkriegszeit 
heftiger Streit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen 
Parteien, klaffende Verschiedenheit der Anschauungen über 
das, was in Staat und Gesellschaft sein soll, geherrscht, 
so trieb dieser Kampf um Sein oder Nichtsein die vor- 
handenen Gegensätze schließlich erst recht hervor: die An- 
hänger der Vaterlandspartei, der gemäßigteren Richtungen 
innerhalb des Bürgertums, der Sozialdemobratie dachten 
über die Friedensmöglichkeit und die Art der künftigen 
„Neuorientierung““ im Staate allzuverschieden, als daß 
ein leidenschaftsloses gemeinsames Zusammenwirben noch 
weiter möglich geblieben wäre. Aber nicht nur der innere 
Zusammenhalt des Volkes lockerte sich auf, auch das 
Vertrauen zu der politischen Führung, zu der unbe- 
dingten Richtigkeit und Notwendigkeit der von der Re- 
gierung gefaßten Entschlüsse war nach mehrfachem 
Wechsel leitender Persönlichkeiten nicht mehr das gleiche, 
wie im Beginn des Krieges; endlich schlich sich sogar ein 
gewisses Mißtrauen gegen die Oberste Heeresleitung ein. 
Auch die freudige Opferbereitschaft für die Gesamtheit fing 
an zu schwinden; ja schon regte sich der Zweifel, ob nicht 
alles Opfern vergeblich sei. Man fügte sich bei den Geboten 
des Staates der harten Notwendigkeit, und wenn für 
Zwecke der Wohltätigkeit wieder und wieder um Hilfe ge- 
beten wurde, gab man zu den neu ersonnenen „Spenden“ 
oft nur mit lahmer Hand. Schon ward es wieder zur Ge- 
pflogenheit, vor allem Forderungen für sich zu stellen und 
das eigene Recht zu betonen. Im geheimen aber war des 
Klagens und Naunens viel über die großen und bkleinlichen 
Nöte der schweren Zeit und die traurigen Aussichten auf 
baldige Besserung; und wenn der Mund schwieg, verriet 
der Gesichtsausdruck oft die gelassene Resignation. Um 
so drückender mochte die Last, die man selbst trug, scheinen, 
wenn man zu sehen glaubte, wie es dem lieben Nächsten 
soviel besser ging; denn ungleich verteilte der Krieg seine 
Güter: Wo der eine Unersetzliches verlor, fiel dem andern 
reichlich Gewinn zu. Am bedenklichsten war der Niedergang 
der öffentlichen Moral. Niemals zuvor waren soviel 
tausenderlei Satzungen und Bestimmungen von Amts 
wegen getroffen worden, niemals stand die Bevölkerung 
unter so strenger Strafandrohung; und doch war nie 
vordem so oft und so allgemein wider das geltende Recht 
gehandelt worden, wie in der Spätzeit des Kriegszustandes:
	        
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