Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Die sächsische Industrie im Kriege 
Von Dr. Johannes März, Syndikus des Verbandes Sächsischer Industrieller, Dresden 
Über die Entwicklung und die Leistungen der sächsischen 
Industrie in den Kriegojahren wird eine ausführliche Dar- 
stellung späteren Jahren vorbehalten werden müssen. Denn 
noch sind nicht alle Unterlagen bekannt und gesichtet, aus 
denen man das Bild zusammenstellen kann, aus welchem 
das Schicksal der sächsischen Industrie während des Krieges 
in allen Einzelheiten ersichtlich ist. Auch ist mit dem Ende 
des Krieges durch den Waffenstillstand die Kriegs- 
geschichte der Industrie durchaus nicht abgeschlossen, 
da im Wirtschaftsleben die endgültigen Wirkungen solcher 
Ereignisse sich immer erst später zeigen. Selbst wenn die 
Revolution nicht gekommen wäre, hätten erst die auf 
den Krieg folgenden Jahre ergeben, welche tiefgreifenden 
wirtschaftlichen Veränderungen er herbeigeführt hat; eins steht 
aber heute sehon sicher fest, daß die auf den Krieg folgende 
Revolution die ohnehin schweren Wunden des Krieges noch 
erbeblich verschlimmert hat, ja, es ist mit größter Wahrschein- 
lichkeit anzunehmen, daß alle * Kriegsjahre nicht so einschnei- 
dende Wirkungen auf Industrie und Handel ausgeübt haben, 
als sich im Gefolge der Revolution ergeben werden, da diese 
den möglichst ungestörten Ubergang in die Friedenswirtschaft 
verhindert, die Durchführung einer geordneten Ubergangs- 
wirtschaft vernichtet, durch sinnloses Streiken die Kohlen- 
versorgung der Industrie und ihren raschen Wiederaufbau 
unmöglich gemacht und durch das lÜbermaß der Forde- 
rungen der Arbeiter und Angestellten selbst Unternehmungen 
ungeheuer geschwächt hat, die während des Krieges sich gut 
entwickelt hatten, während viele von den durch die Kriegs- 
wirkungen ohnehin geschwächten Unternehmungen, die sich 
vielleicht hätten wieder aufrichten können, um ihre Eristenz 
nunmehr schwer kämpfen müssen. Da diese Wirkungen der 
Revolution sich heute indessen noch in beiner Weise übersehen 
lassen, soll im folgenden nur die Zeit Lom 1. August 1914 
bis zum Ausbruch der Revolution im November 1018 be- 
trachtet werden. Aber auch für diese Zeit kann in den vor- 
liegenden Zeilen nur in großen Umrissen dargestellt 
werden, was die sächsische Industrie im Kriege geleistet, 
wie einzelne ihrer Zweige gelitten haben, und welche un- 
gemein schwierigen Aufgaben sie bewältigen mußte, 
um unter den fortgesetzt sich verschlechternden Verhältnissen 
ihre Eristenz zu behaupten, mitzuwirken an dem heroischen 
Widerstand des deutschen Volkes, gegen eine Welt von Wef- 
fen und durchzuhalten, so gut es eben ging, immer in der 
Hoffnung, daß ein günstiger Ausgang des Krieges auch dem 
Wirtschaftsleben einen neuen Aufschwung bringen würde. 
Überblickend kann man sagen, daß die sächsische In- 
dustrie im Kriege schwer gelitten hat, wahrscheinlich 
mehr als die anderer Bundesstaaten. Denn in Sachsen sind 
im Frieden fast 60 % der Bevölkerung industriell und im 
Bergbau beschäftigt, gegen 4300 im Reichsdurchschnitt. Von 
35331 Betrieben, die im Jahre 1913 von der sächsischen 
Gewerbeaufsicht gezählt wurden, waren am gleichen Zäb- 
lungstermin 1918 (1. Mai) nur noch 24013 vorhanden, 
die Arbeiterzahl sank von 330 208 in 1913 auf 316 017 
im Jahre lols. Zugenommen hat nur die Jahl der weib- 
lichen Arbeitskräfte, die von 255•073 in 1913 auf 293 101 
in 1918 anstieg. Bei der Zahl der Betriebe ist allerdings 
zu berücksichtigen, daß auch alle Handwerks betriebe, die 
mit motorischer Kraft arbeiten, mitgezählt sind, und daß 
bei diesen naturgemäß die Zahl der wegen Einberufung des 
Inhabers geschlossenen oder eingegangenen Betriebe am 
größten ist. Aber auch rein industrielle Unternehmungen 
haben in großer Zahl durch den Krieg gelitten, namentlich in 
denjenigen Gewerbezweigen, in denen, wie in vielen Betrieben 
der Textilindustrie, in den Veredelungs= und Lurusgewerben, 
der Krieg die Produktions= und Absatzmöglichkeiten entweder 
sofort, oder doch nach und nach völlig vernichtet hat. Die 
Tertilindustrie, zu einem großen Teil feine Qualitätsware 
auch für den Export in bedeutendem Umfange herstellend, um- 
faßt fast ½ der Betriebe der sächsischen Industrie, die 
Maschinenindustrie mit ihren Spezialitäten, das Gewerbe 
der Metallverarbeitung, die Lederwaren= und Papierindustrie 
mit ihren hunderten von Gegenständen des täglichen Be- 
darfes und des verfeinerten Kulturlebens, die Holzindustrie, 
das graphische Gewerbe, sahen sich, wie andere Zweige des 
sächsischen Erwerbslebens, z. B. des Baugewerbes, vor den 
größten Schwierigkeiten, die mit der langen Dauer des 
Krieges sich ständig vergrößerten. 
Überblickt man den Verlauf der Entwicklung von 1914 
bis 1918, so zeigen sich deutlich fünf Perioden, denen 
nach Abschluß des Waffenstillstandes und dem Ausbruch der 
RNevolution sich die sechste und verwüstendste anschließt. 
1. Die Periode der Verwirrung und des völligen Still- 
standes des Erwerbslebens bei Kriegsausbruch (1. August 
bis Mitte September 1914). 
2. Die allmählich einsetzende Wiederbelebung der Wirt- 
schaft nach Überwindung des ersten Schreckens (September 
bie Ende 1914). 
3. Die Periode der Umstellung der Industriebetriebe auf 
die Kriegsarbeit (Ende 1914 bis Ende 1019). . 
4. Die Periode der Einrichtung der staatlich organisier- 
ten und kontrollierten Zwangowirtschaft und der Ersatz- 
wirtschaft unter dem Eindruck der steigenden Rohstoffbnapp- 
heit (Ende 1919 bis Ende 1910). 
5. Die Periode des allmählichen Erliegens der Industrie 
und des starken Rückganges auch der reinen Rüstungs= und 
Kriegsindustrie infolge Mangels an Rohstoffen und des 
Rückganges der Produktion in der Kohlen= und Eisenindustrie. 
Diie erste Periode 
Stillstand der Wirtschaft infolge des Kriegsausbruches 
Die erste Periode beginnt mit dem Ausbruch des 
Krieges und ist für einzelne Industriezweige von kürzerer, 
für andere von längerer Dauer gewesen. Wenn man heute 
an diese Augusttage von 1914 zurückdenkt, so sieht man 
auf der einen Seite das Aufschäumen vaterländischer Be- 
geisterung und unbegrenzter Opferwilligkeit und Hingabe 
des ganzen Volkes an das große gemeinsame Ziel der Ver- 
teidigung des Vaterlandes gegen die Angriffe einer mäch- 
tigen, in zielbewußter Arbeit deutschfeindlicher Staatsmänner 
vorbereiteten Koalition, auf der anderen Seite ein voll- 
kommenes Stocken des. wirtschaftlichen Kreis-= 
laufes. Wie mit einem Schlage war die Tätigkeit von In- 
dustrie, Gewerbe und Handel lahmgelegt. Aus den Kon- 
toren und Werkstätten strömten die Angestellten und Ar- 
beiter, und in vielen Fällen auch der oder die Inhaber und 
Betriebsleiter, dem Heere zu, um ihrer Wehrpflicht zu ge- 
nügen, und diese plötzliche Entziehung wichtiger Arbeits- 
kräfte in Verbindung mit den anderen Erscheinungen der 
ersten Zeit brachten das rege Leben zum Stillstand, das 
bisher in Kontoren, Werkstätten, Lagerräumen usw. ge- 
herrscht hatte. Die Sufuhr von Rohstoffen, die Abfuhr von 
Fabrikaten wurde vollständig eingestellt, weil die gesamten 
Verkehrsmittel der Eisenbahn für den Aufmarsch der deut- 
schen Armeen gebraucht wurden. Warensendungen blie- 
ben liegen, wo sie sich eben befanden, kein Mensch vermochte 
zu sagen, ob oder wann auf ihre Weiterbeförderung gerechnet 
werden konnte. Sendungen, die sich in großer Zahl nach 
dem feindlichen Auslande unterwegs befanden, wurden an- 
gehalten, weil sofort Ausfuhrverbote erlassen werden
	        
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