soweit sie ihren Betrieb nicht überhaupt stillegen mußten.
Zu diesen von zeitigem Stillstand betroffenen Zweigen der
Textilindustrie gehört insbesondere die Stickerei= und
Spitzenindustrie des Vogtlandes. Sie, die schon vor
Ausbruch des Krieges mit der Ungunst der Mode zu
kämpfen gehabt hatte, lag mit einigen wenigen Ausnahmen
während des ganzen Krieges darnieder, und es gingen viel
bleinere und mittlere Existenzen zugrunde. Die hierdurch
eintretende Arbeitslosigkeit schwächte z. B. die Städte
Eibenstock und Plauen um Tausende von Einwohnern,
die nach anderen Bezirken in andere Industriezweige ab-
wanderten. — Man kann daher wohl sagen, daß die Tex-
tilindustrie, jener in Sachsen so stark vertretene In-
dustriezweig, mit dem Baugewerbe, der Industrie der Ole
und Fette (Seifenindustrie) zu denjenigen Industriezweigen
gehört, die durch den Krieg ammeisten gelitten haben.
Bedeutende, in Sachsen besonders ausgebildete Branchen,
wie die Feinwirkerei und Handschuhindustrie, die
Konfektion-, Spitzen-, Weißwarenindustrie usw. gelangten
zum Stillstand, namentlich da nach und nach auch an-
dere Faserstoffe, wie Seide, Kunstseide usw., auf
welche die Betriebe nach dem Verbot der Verwendung von
Baumwolle sich umgestellt hatten, ihnen entzogen wurden.
Andere Betriebe, wie Spinnereien und Webereien, sowie
die Veredelungsanstalten mußten ihren Betrieb erheblich
einschränken, soweit sie ihre Maschinen micht auf die Heeres-
arbeit umstellen konnten. Aber auch von diesen wurde
nur ein kleiner Teil voll beschäftigt. Wie stark in man-
chen Bezirken Sachsens die Textilindustrie gelitten hat,
geht z. B. daraus hervor, daß im Bezirke der Kreishaupt-
mannschaft Zwickau in der Zeit von 1914—1917 40%
der 1914 gezählten Textilbetriebe eingegangen sind! Dieser
Rückgang wurde nur übertroffen vom Baugewerbe, das
mit der Zahl der vorhandenen Anlagen in demselben Be-
zirk von 1914—1917 um 66,4% zurückging.
Tausende von Arbeitskräften waren genötigt, aus die-
sen schwer betroffenen Industrien abzuwandern; andere
Industriezweige, namentlich die Rüstungeindustrie, nahmen
sie auf, aber trotzdem ist, insbesondere bei den weiblichen
Arbeitskräften, die Arbeitslosigkeit in der Textilindustrie
während des Krieges nie ganz beseitigt worden. So gab
es, nach den Berichten der Gewerbeinspektion, der Kreis-
hauptmannschaft Chemnitz, im Kommunalverband Glau-
chau noch im Herbst 1918 gegen 9000, im Kommunal=
verband Chemnitz-Land 3600 Arbeitslose.
Ein anderer in Sachsen stark vertretener Industriezweig,
das Nahrungs= und Genußmittelgewerbe, wurde
mehrfach durch die schon lols einsetzende Zwangsbewirt--
schaftung der Lebenomittel stark betroffen. So litten die
Brauereien unter der Herabsetzung der ihnen zugebillig-
ten Gersten= bzw. Malzmengen, da man die Gerste zur Er-
nährung (Hersiellung von Graupen) brauchte, durch den
gleichen Grund wurden auch die Kaffeeröstereien,
Malzkaffec= usw. Fabriken betroffen; die Mühlen
und Brotfabriken wurden durch die Beschlagnahme
und Bewirtschaftung des Brotgetreides in Mitleidenschaft
gezogen, viele von ihnen stillgelegt, ihre ganze Arbeitsweise
durch die Reichsgetreidestelle und die Kommunalverbände,
von denen sie abhängig waren, häufig stark beeinträchtigt.
Die Schokolade= und Zuckerwarenfabriken litten
unter dem Mangel an Kakao, und als sehr bald auch der
Jucker knapp wurde, auch unter Mangel an Zucker. War
doch die Zuckererzeugung des Deutschen Reiches, die im Be-
triebsjahr 1914/18 noch §2 125 000 gentner betragen hatte,
im Betriebsjahr 191 3/16 bereits auf 30 240 Oo0 Zentner
gesunken! Dagegen nahm die Kunsthonigindustrie
einen Aufschwung, da der Kunsthonig bald als ein wichtiges
Brotaufstrichmittel geschätzt wurde. In diesem Industrie-
zweig sind auch in Sachsen bestehende Anlagen erweitert
Sachsen in großer Zeit. Band lII
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und zum Teil sehr bedeutende neue während des Krieges
gegründet worden. Auch haben verwandte Industriezweige,
wie die Schokoladenindustrie, die Margarinefabrikation usw.
die Fabrikation dieses Artikels, der natürlich durch eine
Kriegsgesellschaft bewirtschaftet wurde, aufgenommen.
Ebenso haben die Marmeladen= und Konserven-
fabriken eine Ausdehnung erfahren. Natürlich wurden
alle diese Industriezweige durch Ausschüsse „bewirtschaf-
tet“, für die Zucker verarbeitenden Industrien kam die
„Reichszuckerstelle", für Marmelade die „Kriegsgesell-
schaft für Obst und Marmelade“ als maßgebende Be-
hörden in Frage, sie besorgten die Juteilung der Rob-
stoffe, gaben die Aufträge und erließen ins einzelne
gehende häufig wechselnde Vorschriften über die Art der
Herstellung. Auch die Zigarren= und die Zigaretten-
industrie, die lous noch flott beschäftigt war, mußte
unter dem Mangel an Rohstoffen mehr und mehr zu
Einschränkungen schreiten, obwohl großer Bedarf nach
Rauchmaterial durch das Heer auftrat und die Heeres-
verwaltung mit bedeutenden Aufträgen auftrat. Auch in
diesem Industriezweig, der in Sachsen stark vertreten ist,
war durch Begründung der „Zentrale für Kriegslieferungen
im Tabakgewerbe“ mit dem Sitz in Minden eine Rege-
lung der Zuteilung von Rohstoffen und Aufträgen ge-
troffen worden. Für die Einfuhr der für die Zigaretten-
industrie wichtigen bulgarischen und türbischen Tabaks trat
dazu später noch die „Zitag“, (Zigarettentabak-Einkaufs=
gesellschaft), um die ein lebhafter Kampf entbrannte, weil
die Verlegung des Sitzes dieser Gesellschaft nach Dresden,
als dem Hauptsitz der Zigarettenindusirie gewünscht, aber
vergeblich angestrebt wurde. Es war ein Kampf der säch-
sischen Industrie gegen die Zentralisierung der Kriegs-
wirtschaft in Berlin überhaupt, der bei dieser Gelegenheit
mit Leidenschaft gefochten wurde
Über die Kriegsgesellschaften, deren Herrschaft die-
ser Periode des Krieges ihr besonderes Gepräge aufdrückte,
obwohl ein großer Teil von ihnen schon in der vorigen tätig
war, muß noch ein besonderes Wort gesprochen werden.
Sie sind ein eigenes Kapitel unserer Kriegswirtschaft, ein
Triumph zwar der Organisationofähigkeit und des
organisatorischen Geschickes des deutschen Volkes, aber in
Verbindung mit all den tausenden anderer Zwangsmaß-=
nahmen, Hoöchstpreisbestimmungen, einschränkenden Ver-
ordnungen usw. und in der langen Dauer des Krieges in-
folge der Uberorganisation auch eine Last, unter der das
Wirtschaftsleben schwer getragen hat. Sie waren das,
freilich auf die Dauer unzulängliche, Aushilfsmittel,
mit dem das deutsche Volk sich für eine ungeahnt lange
Jeit den Wirkungen der würgenden Blockade zu entziehen
gesucht und es durchgesetzt hat, bei ständig sich verringern-
den Vorräten an Nohstoffen, Waren und Lebenemitteln
das zur Kriegführung und Ernährung der Bevölkerung, die
wie in einer belagerten Festung eingeschlossen war, be-
reitzustellen und eine Verteilung herbeizuführen, die es
dem deutschen Volke ermöglichte, den Krieg mit größter
Energie zu führen und Heldentaten zu verrichten, die in
der Geschichte ewig unvergessen bleiben werden.
Der Beginn der staatlich organisierten Kriegswirtschaft
wurde gemacht mit den für die Belieferung des Heeres
und der für dasselbe arbeitenden Industrie und die Land-
wirtschaft notwendigen Rohstoffen und Betriebsmitteln,
sowie mit den Lebenêomitteln für den notwendigsten
Bedarf der Zivilbevölkerung. Demgemäß zerfallen
die Kriegsgesellschaften in drei große Gruppen: Gesell-
schaften und Verbände, die den Heeresbedarf sicherstellen,
Gesellschaften, Verbände, Ausschüsse zur Versorgung von
Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft mit Nohstoffen
und Betriebsmitteln, Gesellschaften für die Versorgung
der Zivilbevölkerung. Die ersteren standen unter Aufsicht
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