Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

soweit sie ihren Betrieb nicht überhaupt stillegen mußten. 
Zu diesen von zeitigem Stillstand betroffenen Zweigen der 
Textilindustrie gehört insbesondere die Stickerei= und 
Spitzenindustrie des Vogtlandes. Sie, die schon vor 
Ausbruch des Krieges mit der Ungunst der Mode zu 
kämpfen gehabt hatte, lag mit einigen wenigen Ausnahmen 
während des ganzen Krieges darnieder, und es gingen viel 
bleinere und mittlere Existenzen zugrunde. Die hierdurch 
eintretende Arbeitslosigkeit schwächte z. B. die Städte 
Eibenstock und Plauen um Tausende von Einwohnern, 
die nach anderen Bezirken in andere Industriezweige ab- 
wanderten. — Man kann daher wohl sagen, daß die Tex- 
tilindustrie, jener in Sachsen so stark vertretene In- 
dustriezweig, mit dem Baugewerbe, der Industrie der Ole 
und Fette (Seifenindustrie) zu denjenigen Industriezweigen 
gehört, die durch den Krieg ammeisten gelitten haben. 
Bedeutende, in Sachsen besonders ausgebildete Branchen, 
wie die Feinwirkerei und Handschuhindustrie, die 
Konfektion-, Spitzen-, Weißwarenindustrie usw. gelangten 
zum Stillstand, namentlich da nach und nach auch an- 
dere Faserstoffe, wie Seide, Kunstseide usw., auf 
welche die Betriebe nach dem Verbot der Verwendung von 
Baumwolle sich umgestellt hatten, ihnen entzogen wurden. 
Andere Betriebe, wie Spinnereien und Webereien, sowie 
die Veredelungsanstalten mußten ihren Betrieb erheblich 
einschränken, soweit sie ihre Maschinen micht auf die Heeres- 
arbeit umstellen konnten. Aber auch von diesen wurde 
nur ein kleiner Teil voll beschäftigt. Wie stark in man- 
chen Bezirken Sachsens die Textilindustrie gelitten hat, 
geht z. B. daraus hervor, daß im Bezirke der Kreishaupt- 
mannschaft Zwickau in der Zeit von 1914—1917 40% 
der 1914 gezählten Textilbetriebe eingegangen sind! Dieser 
Rückgang wurde nur übertroffen vom Baugewerbe, das 
mit der Zahl der vorhandenen Anlagen in demselben Be- 
zirk von 1914—1917 um 66,4% zurückging. 
Tausende von Arbeitskräften waren genötigt, aus die- 
sen schwer betroffenen Industrien abzuwandern; andere 
Industriezweige, namentlich die Rüstungeindustrie, nahmen 
sie auf, aber trotzdem ist, insbesondere bei den weiblichen 
Arbeitskräften, die Arbeitslosigkeit in der Textilindustrie 
während des Krieges nie ganz beseitigt worden. So gab 
es, nach den Berichten der Gewerbeinspektion, der Kreis- 
hauptmannschaft Chemnitz, im Kommunalverband Glau- 
chau noch im Herbst 1918 gegen 9000, im Kommunal= 
verband Chemnitz-Land 3600 Arbeitslose. 
Ein anderer in Sachsen stark vertretener Industriezweig, 
das Nahrungs= und Genußmittelgewerbe, wurde 
mehrfach durch die schon lols einsetzende Zwangsbewirt-- 
schaftung der Lebenomittel stark betroffen. So litten die 
Brauereien unter der Herabsetzung der ihnen zugebillig- 
ten Gersten= bzw. Malzmengen, da man die Gerste zur Er- 
nährung (Hersiellung von Graupen) brauchte, durch den 
gleichen Grund wurden auch die Kaffeeröstereien, 
Malzkaffec= usw. Fabriken betroffen; die Mühlen 
und Brotfabriken wurden durch die Beschlagnahme 
und Bewirtschaftung des Brotgetreides in Mitleidenschaft 
gezogen, viele von ihnen stillgelegt, ihre ganze Arbeitsweise 
durch die Reichsgetreidestelle und die Kommunalverbände, 
von denen sie abhängig waren, häufig stark beeinträchtigt. 
Die Schokolade= und Zuckerwarenfabriken litten 
unter dem Mangel an Kakao, und als sehr bald auch der 
Jucker knapp wurde, auch unter Mangel an Zucker. War 
doch die Zuckererzeugung des Deutschen Reiches, die im Be- 
triebsjahr 1914/18 noch §2 125 000 gentner betragen hatte, 
im Betriebsjahr 191 3/16 bereits auf 30 240 Oo0 Zentner 
gesunken! Dagegen nahm die Kunsthonigindustrie 
einen Aufschwung, da der Kunsthonig bald als ein wichtiges 
Brotaufstrichmittel geschätzt wurde. In diesem Industrie- 
zweig sind auch in Sachsen bestehende Anlagen erweitert 
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und zum Teil sehr bedeutende neue während des Krieges 
gegründet worden. Auch haben verwandte Industriezweige, 
wie die Schokoladenindustrie, die Margarinefabrikation usw. 
die Fabrikation dieses Artikels, der natürlich durch eine 
Kriegsgesellschaft bewirtschaftet wurde, aufgenommen. 
Ebenso haben die Marmeladen= und Konserven- 
fabriken eine Ausdehnung erfahren. Natürlich wurden 
alle diese Industriezweige durch Ausschüsse „bewirtschaf- 
tet“, für die Zucker verarbeitenden Industrien kam die 
„Reichszuckerstelle", für Marmelade die „Kriegsgesell- 
schaft für Obst und Marmelade“ als maßgebende Be- 
hörden in Frage, sie besorgten die Juteilung der Rob- 
stoffe, gaben die Aufträge und erließen ins einzelne 
gehende häufig wechselnde Vorschriften über die Art der 
Herstellung. Auch die Zigarren= und die Zigaretten- 
industrie, die lous noch flott beschäftigt war, mußte 
unter dem Mangel an Rohstoffen mehr und mehr zu 
Einschränkungen schreiten, obwohl großer Bedarf nach 
Rauchmaterial durch das Heer auftrat und die Heeres- 
verwaltung mit bedeutenden Aufträgen auftrat. Auch in 
diesem Industriezweig, der in Sachsen stark vertreten ist, 
war durch Begründung der „Zentrale für Kriegslieferungen 
im Tabakgewerbe“ mit dem Sitz in Minden eine Rege- 
lung der Zuteilung von Rohstoffen und Aufträgen ge- 
troffen worden. Für die Einfuhr der für die Zigaretten- 
industrie wichtigen bulgarischen und türbischen Tabaks trat 
dazu später noch die „Zitag“, (Zigarettentabak-Einkaufs= 
gesellschaft), um die ein lebhafter Kampf entbrannte, weil 
die Verlegung des Sitzes dieser Gesellschaft nach Dresden, 
als dem Hauptsitz der Zigarettenindusirie gewünscht, aber 
vergeblich angestrebt wurde. Es war ein Kampf der säch- 
sischen Industrie gegen die Zentralisierung der Kriegs- 
wirtschaft in Berlin überhaupt, der bei dieser Gelegenheit 
mit Leidenschaft gefochten wurde 
Über die Kriegsgesellschaften, deren Herrschaft die- 
ser Periode des Krieges ihr besonderes Gepräge aufdrückte, 
obwohl ein großer Teil von ihnen schon in der vorigen tätig 
war, muß noch ein besonderes Wort gesprochen werden. 
Sie sind ein eigenes Kapitel unserer Kriegswirtschaft, ein 
Triumph zwar der Organisationofähigkeit und des 
organisatorischen Geschickes des deutschen Volkes, aber in 
Verbindung mit all den tausenden anderer Zwangsmaß-= 
nahmen, Hoöchstpreisbestimmungen, einschränkenden Ver- 
ordnungen usw. und in der langen Dauer des Krieges in- 
folge der Uberorganisation auch eine Last, unter der das 
Wirtschaftsleben schwer getragen hat. Sie waren das, 
freilich auf die Dauer unzulängliche, Aushilfsmittel, 
mit dem das deutsche Volk sich für eine ungeahnt lange 
Jeit den Wirkungen der würgenden Blockade zu entziehen 
gesucht und es durchgesetzt hat, bei ständig sich verringern- 
den Vorräten an Nohstoffen, Waren und Lebenemitteln 
das zur Kriegführung und Ernährung der Bevölkerung, die 
wie in einer belagerten Festung eingeschlossen war, be- 
reitzustellen und eine Verteilung herbeizuführen, die es 
dem deutschen Volke ermöglichte, den Krieg mit größter 
Energie zu führen und Heldentaten zu verrichten, die in 
der Geschichte ewig unvergessen bleiben werden. 
Der Beginn der staatlich organisierten Kriegswirtschaft 
wurde gemacht mit den für die Belieferung des Heeres 
und der für dasselbe arbeitenden Industrie und die Land- 
wirtschaft notwendigen Rohstoffen und Betriebsmitteln, 
sowie mit den Lebenêomitteln für den notwendigsten 
Bedarf der Zivilbevölkerung. Demgemäß zerfallen 
die Kriegsgesellschaften in drei große Gruppen: Gesell- 
schaften und Verbände, die den Heeresbedarf sicherstellen, 
Gesellschaften, Verbände, Ausschüsse zur Versorgung von 
Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft mit Nohstoffen 
und Betriebsmitteln, Gesellschaften für die Versorgung 
der Zivilbevölkerung. Die ersteren standen unter Aufsicht 
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