Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Metallhandels vorgeschlagene Persönlichkeiten, in dem Vor- 
stand und der Verwaltungsstelle der Reichsbekleidungs- 
stelle waren unter 50 Mitgliedern zwor ein Schneider- 
meister aus Magdeburg, die bedeutende sächsische Beklei- 
dungsindustrie aber war nicht vertreten. Dle Zusammen- 
setzung der Gesellschaften und Ausschüsse und 
ihrer Organe erfolgte meist ohne Rücksicht auf die einzelnen 
Industriezentren, und namentlich Sachsen hat, mit Ausnahme 
einiger weniger Gesellschaften, über solche nicht ausreichende 
Einflußmöglichkeit bei der Verwaltung der Gesellschaften 
und der Durchführung ihrer Aufgaben geklagt, weil eben 
dadurch eine, sicherlich häufig ungewollte, Benachteiligung 
berechtigter sächsischer Interessen erfolgte. Häufig war die 
Tätigkeit der Industriellen in diesen Gesellschaften nur 
eine beratende, während die Entscheidungen durch andere 
Stellen, z. B. Berliner Banken, erfolgte. Gewöhnlich 
wurden auch bei Begründung der Verbände nicht 
alle beteiligten Industriekreise eingeladen oder gehört, weil 
man veraltete Adreßbücher verwendet hatte, oder es wurde 
die Liste der Aufzunehmenden vorzeitig geschlossen und die 
spätere Aufnahme abgelehnt, was namentlich auch säch- 
sischen Firmen häufig passiert ist, und auf die Ausarbeitung 
der Richtlinien, Satzungen und sonsiugen Unterlagen für die 
geschäftliche Tätigkeit der Gesellschaften hatten die sächsischen 
Industriegruppen oder Verbände wohl nur in den seltensten 
Fällen Gelegenheit maßgebender Mitwirkung. Der größte 
Teil der Klagen, welch: über die Kriegsgesellschaften sehr 
zahlreich auch in Sachsen ergangen sind, bezogen sich aber 
auf ihre Tätigkeit und die Handhabung der Ge- 
schäfte, auf das umständliche zeitraubende Verfahren, die 
ausgedehnte Papierwirtschaft, die da herrschte. Man kansn 
die große Jahl der Klagen nicht anführen, die wegen ihrer 
besonderen Eigenart veröffentlicht oder sonst bekannt ge- 
macht worden sind. Daß Firmen auf dringliche Bescheide 
wochen-, ja monatelang warten mußten, war eine sehr 
häufig wiederkehrende Erscheinung. Namentlich der Reichs- 
kommissar für Aus= und Einfuhr hat sich darin hervor- 
getan, auch bei anderen Gesellschaften konnte man aber 
oft sehr große Verzögerungen beobachten. Es wurden Auf- 
träge überwiesen, aber die Muster nicht rechtzeitig ein- 
geschickt, es wurden Rohstoffe spazieren gefahren, für die 
Freigabebewilligung umständliche Untersuchungen angestellt, 
die Firmen wohl auf Ersatzstoffe hingewiesen, die sie gar 
nicht gebrauchen konnten, man verlangte Bar= oder Voraus- 
zahlung, zahlte aber selbst nur langsam, stellte große Auf- 
träge in Aussicht und gab sie nachher nicht aus, Auskünfte 
wurden gar nicht oder nur mangelhaft erteilt, Bescheide 
wurden ohne Heranziehung von Sachverständigen gegeben, 
Metalle und Waren mit ungenügender Entschädigung ab- 
genommen, kurz man könnte viele Seiten füllen, wenn 
man diese Klagen im einzelnen wiederholen wollte, die 
häufig nur zu berechtigt, vielfach aber wohl auch eine Folge 
eines Systems der Überzentralisierung waren, die eben 
im industriellen Leben ohne Benachteiligung der einzelnen 
nicht durchführbar ist. Das Verfahren im geschäftlichen 
Verkehr war außerordentlich umständlich. So wurden z. B. 
über eine JZuteilung eines Nohstoffes zehn Briefe gewechselt, 
nämlich: 1. die Anmeldung des Bedarfes der Firma, 2. die 
Mitteilung der zugeteilten Menge, 3. eine vorläufige Rech- 
nung, mit der Aufforderung, das Geld zu überweisen, 4. die 
Uberweisung seitens der Bank der Firma an die Bank der 
Gesellschaft, §. die Bestätigung des Geldeinganges, 6. die 
den Lagerhalter, den Nohstoff zu senden, 8. die Über- 
sendung des Kontoauszuges über diesen Posten, 9. das 
Begleitschreiben mit der Aufforderung um Bestätigung, 
10. die Bestätigung, daß das Konto glatt ist. 
endgültige Rechnung, 7. die Mitteilung der Firma an 
Eine Firma der Holzspielwarenindustrie teilte mit, daß 
in einem von ihr beobachteten Falle die Leimbeschaffung 
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folgendermaßen vor sich gehe: 1. Der Fabrikant meldet 
dem Kriegsausschuß für Futtermittel den vorhandenen Leim 
an. Dieser übernimmt und bezahlt den Leim. 2. Der 
Kriegsausschuß übergibt den Leim der Leimverteilungs- 
Genossenschaft, diese bezahlt den Leim an den Kriegs- 
ausschuß. 3. Die Leimverteilungs-Genossenschaft übergibt 
den Leim (immer noch lagernd beim Hersteller) an 
den Händler, dieser bezahlt ihn wieder an die Genossen- 
schaft. 4. Der Händler übergibt den Leim wieder dem 
Fabrikanten, bei dem er lagert, und dieser bezahlt ihn dem 
Händler. §. Der Verbraucher, früher oft direkter Kunde 
des Herstellers, bekommt nun endlich den Leim und be- 
zahlt ihn an den betreffenden Fabrikanten. Man kann 
sich vorstellen, was solche Tätigkeit, die leider bei vielen 
Kriegsgesellschaften üblich war, für Papier und Arbeit 
kostete. Der Verbraucher hatte viel Arbeit nötig und be- 
zahlte dem Ausschuß für den beschlagnahmten Leim noch 
400 Mark, sowie 8 Mark Spesen für loo Kilogramm 
Leim. Wenn er aber den Leim sehr notwendig brauchte, 
mußte er vielleicht den Betrieb eine Zeitlang schließen, 
weil das Verfahren der Beschaffung dieses einen Noh- 
stoffes so unendlich langwierig war. 
Ein weiterer Grund zu Klagen und Reibungen leitet sich 
von der Interessenverquickung einzelner Kriegsgesell- 
schaften mit bestimmten Interessentengruppen her. Wenn 
in einer Kriegsgesellschaft die Leiter lediglich von den Groß- 
konzern vorgeschlagene Persönlichkeiten waren und diese 
Konzerne bei Zuweisungen besonders berücksichtigt wurden, 
ferner einzelne von ihnen hohe Üüberpreise erhielten, während 
anderen Firmen nur Höchsipreise bewilligt werden, liegt der 
Gedanke der Interessenverquickung wenigstens sehr nahe. 
Ebenso, wenn eine Anstalt, die als privatwirtschaftliches 
Unternehmen eine gewisse Politik gegen Nachbargewerbe 
Lersucht, diese Politik als Kriegsgesellschaft weiter bei- 
behält; desgleichen wenn eine Verteilungssielle in engem 
Konner mit einer die gesamte Verarbeitung auf ihrem 
Produktionsgebiete schon im Frieden an sich ziehenden 
Firma errichtet und deren Prokurist als amtlicher Ver- 
teiler bestellt wird und die weitere Verteilung zuungunsten 
ringfreier Fabriken vornimmt. 
Viele Beschwerden richteten sich gegen die ungleiche 
Material= und Auftragserteilung überhaupt. Zunächst war 
es die auf den oben erwähnten Mangel der fehlenden 
sächsischen Vertretung und der Bevorzugung Preußens zu- 
rückzuführenden Ungleichheiten. Die Verschiedenartigkeit 
dieser Bevorzugungen demonstrieren folgende Beispiele: 
Eine Firma erreicht zwar Freigabe des von ihr be- 
nötigten Materials, kann aber dieses selbst nicht erhalten, 
weil es in ersier Linie preußischen Firmen überwiesen wied. 
Eine andere Firma sieht ihre Branche dadurch benach- 
teiligt, daß die Aufbesserung der Löhne abgelehnt wird, 
während die preußischen Konkurrenzfirmen infolge staatlicher 
Subvention die Löhne nicht so schwer empfinden. Weiter 
wurde gegen eine behördliche Stelle in Berlin geklagt, 
daß sie nur die weniger lohnenden Aufträge nach Sachsen 
gebe. Im Reichshaushaltsausschuß teilte der Kriegs- 
minister mit, daß in einer bestimmten Periode die Aus- 
nützung der Webstühle in Preußen 60 %, in Bayern 
29 0%, in Sachsen 12 00, in Württemberg 10 00, in 
Baden 8 00, in Hessen §,1 0 betrüge; also bestand tat- 
sächlich eine den tatsächlichen Kräfteverhältnissen stark wider= 
sprechende Verteilung. Die Metallwarenbranche klagte, daß 
sie gegen die in unmittelbarer Fühlung mit den Berliner 
Behörden stehenden dortigen Händler und Industriellen 
nicht mehr anzugehen vermöge. Auch von Ausschüssen 
der Textilbranche wurde geklagt, daß Sachsen nicht seiner 
Bedeutung entsprechend berücksichtigt würde. 
Eine andere Form der Bevorzugung lag darin, daß bei der 
Gewährung von Zuschüssen zur Errichtung neuer 
260"
	        
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