Metallhandels vorgeschlagene Persönlichkeiten, in dem Vor-
stand und der Verwaltungsstelle der Reichsbekleidungs-
stelle waren unter 50 Mitgliedern zwor ein Schneider-
meister aus Magdeburg, die bedeutende sächsische Beklei-
dungsindustrie aber war nicht vertreten. Dle Zusammen-
setzung der Gesellschaften und Ausschüsse und
ihrer Organe erfolgte meist ohne Rücksicht auf die einzelnen
Industriezentren, und namentlich Sachsen hat, mit Ausnahme
einiger weniger Gesellschaften, über solche nicht ausreichende
Einflußmöglichkeit bei der Verwaltung der Gesellschaften
und der Durchführung ihrer Aufgaben geklagt, weil eben
dadurch eine, sicherlich häufig ungewollte, Benachteiligung
berechtigter sächsischer Interessen erfolgte. Häufig war die
Tätigkeit der Industriellen in diesen Gesellschaften nur
eine beratende, während die Entscheidungen durch andere
Stellen, z. B. Berliner Banken, erfolgte. Gewöhnlich
wurden auch bei Begründung der Verbände nicht
alle beteiligten Industriekreise eingeladen oder gehört, weil
man veraltete Adreßbücher verwendet hatte, oder es wurde
die Liste der Aufzunehmenden vorzeitig geschlossen und die
spätere Aufnahme abgelehnt, was namentlich auch säch-
sischen Firmen häufig passiert ist, und auf die Ausarbeitung
der Richtlinien, Satzungen und sonsiugen Unterlagen für die
geschäftliche Tätigkeit der Gesellschaften hatten die sächsischen
Industriegruppen oder Verbände wohl nur in den seltensten
Fällen Gelegenheit maßgebender Mitwirkung. Der größte
Teil der Klagen, welch: über die Kriegsgesellschaften sehr
zahlreich auch in Sachsen ergangen sind, bezogen sich aber
auf ihre Tätigkeit und die Handhabung der Ge-
schäfte, auf das umständliche zeitraubende Verfahren, die
ausgedehnte Papierwirtschaft, die da herrschte. Man kansn
die große Jahl der Klagen nicht anführen, die wegen ihrer
besonderen Eigenart veröffentlicht oder sonst bekannt ge-
macht worden sind. Daß Firmen auf dringliche Bescheide
wochen-, ja monatelang warten mußten, war eine sehr
häufig wiederkehrende Erscheinung. Namentlich der Reichs-
kommissar für Aus= und Einfuhr hat sich darin hervor-
getan, auch bei anderen Gesellschaften konnte man aber
oft sehr große Verzögerungen beobachten. Es wurden Auf-
träge überwiesen, aber die Muster nicht rechtzeitig ein-
geschickt, es wurden Rohstoffe spazieren gefahren, für die
Freigabebewilligung umständliche Untersuchungen angestellt,
die Firmen wohl auf Ersatzstoffe hingewiesen, die sie gar
nicht gebrauchen konnten, man verlangte Bar= oder Voraus-
zahlung, zahlte aber selbst nur langsam, stellte große Auf-
träge in Aussicht und gab sie nachher nicht aus, Auskünfte
wurden gar nicht oder nur mangelhaft erteilt, Bescheide
wurden ohne Heranziehung von Sachverständigen gegeben,
Metalle und Waren mit ungenügender Entschädigung ab-
genommen, kurz man könnte viele Seiten füllen, wenn
man diese Klagen im einzelnen wiederholen wollte, die
häufig nur zu berechtigt, vielfach aber wohl auch eine Folge
eines Systems der Überzentralisierung waren, die eben
im industriellen Leben ohne Benachteiligung der einzelnen
nicht durchführbar ist. Das Verfahren im geschäftlichen
Verkehr war außerordentlich umständlich. So wurden z. B.
über eine JZuteilung eines Nohstoffes zehn Briefe gewechselt,
nämlich: 1. die Anmeldung des Bedarfes der Firma, 2. die
Mitteilung der zugeteilten Menge, 3. eine vorläufige Rech-
nung, mit der Aufforderung, das Geld zu überweisen, 4. die
Uberweisung seitens der Bank der Firma an die Bank der
Gesellschaft, §. die Bestätigung des Geldeinganges, 6. die
den Lagerhalter, den Nohstoff zu senden, 8. die Über-
sendung des Kontoauszuges über diesen Posten, 9. das
Begleitschreiben mit der Aufforderung um Bestätigung,
10. die Bestätigung, daß das Konto glatt ist.
endgültige Rechnung, 7. die Mitteilung der Firma an
Eine Firma der Holzspielwarenindustrie teilte mit, daß
in einem von ihr beobachteten Falle die Leimbeschaffung
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folgendermaßen vor sich gehe: 1. Der Fabrikant meldet
dem Kriegsausschuß für Futtermittel den vorhandenen Leim
an. Dieser übernimmt und bezahlt den Leim. 2. Der
Kriegsausschuß übergibt den Leim der Leimverteilungs-
Genossenschaft, diese bezahlt den Leim an den Kriegs-
ausschuß. 3. Die Leimverteilungs-Genossenschaft übergibt
den Leim (immer noch lagernd beim Hersteller) an
den Händler, dieser bezahlt ihn wieder an die Genossen-
schaft. 4. Der Händler übergibt den Leim wieder dem
Fabrikanten, bei dem er lagert, und dieser bezahlt ihn dem
Händler. §. Der Verbraucher, früher oft direkter Kunde
des Herstellers, bekommt nun endlich den Leim und be-
zahlt ihn an den betreffenden Fabrikanten. Man kann
sich vorstellen, was solche Tätigkeit, die leider bei vielen
Kriegsgesellschaften üblich war, für Papier und Arbeit
kostete. Der Verbraucher hatte viel Arbeit nötig und be-
zahlte dem Ausschuß für den beschlagnahmten Leim noch
400 Mark, sowie 8 Mark Spesen für loo Kilogramm
Leim. Wenn er aber den Leim sehr notwendig brauchte,
mußte er vielleicht den Betrieb eine Zeitlang schließen,
weil das Verfahren der Beschaffung dieses einen Noh-
stoffes so unendlich langwierig war.
Ein weiterer Grund zu Klagen und Reibungen leitet sich
von der Interessenverquickung einzelner Kriegsgesell-
schaften mit bestimmten Interessentengruppen her. Wenn
in einer Kriegsgesellschaft die Leiter lediglich von den Groß-
konzern vorgeschlagene Persönlichkeiten waren und diese
Konzerne bei Zuweisungen besonders berücksichtigt wurden,
ferner einzelne von ihnen hohe Üüberpreise erhielten, während
anderen Firmen nur Höchsipreise bewilligt werden, liegt der
Gedanke der Interessenverquickung wenigstens sehr nahe.
Ebenso, wenn eine Anstalt, die als privatwirtschaftliches
Unternehmen eine gewisse Politik gegen Nachbargewerbe
Lersucht, diese Politik als Kriegsgesellschaft weiter bei-
behält; desgleichen wenn eine Verteilungssielle in engem
Konner mit einer die gesamte Verarbeitung auf ihrem
Produktionsgebiete schon im Frieden an sich ziehenden
Firma errichtet und deren Prokurist als amtlicher Ver-
teiler bestellt wird und die weitere Verteilung zuungunsten
ringfreier Fabriken vornimmt.
Viele Beschwerden richteten sich gegen die ungleiche
Material= und Auftragserteilung überhaupt. Zunächst war
es die auf den oben erwähnten Mangel der fehlenden
sächsischen Vertretung und der Bevorzugung Preußens zu-
rückzuführenden Ungleichheiten. Die Verschiedenartigkeit
dieser Bevorzugungen demonstrieren folgende Beispiele:
Eine Firma erreicht zwar Freigabe des von ihr be-
nötigten Materials, kann aber dieses selbst nicht erhalten,
weil es in ersier Linie preußischen Firmen überwiesen wied.
Eine andere Firma sieht ihre Branche dadurch benach-
teiligt, daß die Aufbesserung der Löhne abgelehnt wird,
während die preußischen Konkurrenzfirmen infolge staatlicher
Subvention die Löhne nicht so schwer empfinden. Weiter
wurde gegen eine behördliche Stelle in Berlin geklagt,
daß sie nur die weniger lohnenden Aufträge nach Sachsen
gebe. Im Reichshaushaltsausschuß teilte der Kriegs-
minister mit, daß in einer bestimmten Periode die Aus-
nützung der Webstühle in Preußen 60 %, in Bayern
29 0%, in Sachsen 12 00, in Württemberg 10 00, in
Baden 8 00, in Hessen §,1 0 betrüge; also bestand tat-
sächlich eine den tatsächlichen Kräfteverhältnissen stark wider=
sprechende Verteilung. Die Metallwarenbranche klagte, daß
sie gegen die in unmittelbarer Fühlung mit den Berliner
Behörden stehenden dortigen Händler und Industriellen
nicht mehr anzugehen vermöge. Auch von Ausschüssen
der Textilbranche wurde geklagt, daß Sachsen nicht seiner
Bedeutung entsprechend berücksichtigt würde.
Eine andere Form der Bevorzugung lag darin, daß bei der
Gewährung von Zuschüssen zur Errichtung neuer
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