Kriegsgesellschaften ihnen ein erhebliches Verdienst an dem
staunenswert langen Durchhalten des deutschen Volkes bei-
messen: das eine kann schon jetzt als erwiesen gelten, daß
man auf die Dauer ein 70-Millionen-Volk auf der Grund-
lage eines zwangläufig organisierten, durch bureaukratisch
eingerichteten Verwaltungskörper geregelten Wirtschaftslebens
nicht versorgen kann. Für eine kurze Dauer erträgt das wirt-
schaftliche Leben solche Fesseln, aber der Verlauf des Krieges
hat gezeigt, daß diese nur kurz berechnet sein darf. Das
Lebenselement für Industrie und Handel ist Freiheit der
Betätigung auf der Grundlage der eigenen Verantwor-
tung, der Verfügungsfreiheit und des eigenen Risikos. Zwangs=
wirtschaft führt zur Erstarrung, zur Verminderung der
Leistungsfähigkeit — und schließlich zur Korruption.
Die fünfte Periode
Letzte Kraftanstrengung der deutschen Volkswirtschaft, allmähliches
Erliegen der Industrie durch Rohstoff“ und Kohlenmangel
Diese Periode des Ausbaues der „staatlichen Bewirt-
schaftung“ oder, wie man treffender sagt, der staatlich
organisierten Zwangswirtschaft reicht etwa bis zu Beginn des
Jahres 1917. Um diese Zeit trat eine merkliche Ver-
schärfung der wirtschaftlichen Lage ein. Immer stärker
machten sich Rohstoffmangel und Nahrungemittel-
knappheit bemerkbar und führten zu weiterer Einschrän-
kung industrieller Betriebe. Die freie Wirtschaft, die seit
Mitte lols schon stark eingeengt, im Laufe des Jahres
do#é allmählich beseitigt und auf den wichtigsten Gebieten
in Zwangswirtschaft übergeführt war, hört in dieser Periode
überhaupt auf. Die Vorräte begannen bedenklich zu Ende
zu gehen, Kontroll= und Beschlagnahmeverfügungen wurden
#immer weiter ausgeführt und schärfer durchgeführt. Die
Überwachungseinrichtungen der Entente in den neutralen
Staaten machten eine einigermaßen ausreichende Einfuhr
der meisten Rohstoffe nach Deutschland tatsächlich unmög-
lich. Dazu kam die in dieser Periode sehr scharf auftretende
Verschlechterung der deutschen Valuta im Aus-
lande, welche die Einfuhr ebenfalls erschwerte und für
die Kontrolle der ohnehin verminderten Ausfuhr weitere
Verschärfungen brachte. Denn von jetzt an mußte nicht
nur Rücksicht darauf genommen werden, daß nichts aus-
geführt wurde, was für die Herstellung von Heeresbedarf
oder die Versorgung der heimischen Volkswirtschaft not-
wendig war; man mußte regierungsseitig auch Vorsorge
treffen, daß nicht infolge des niedrigen Standes der deut-
schen Mark im Auslande Waren zu billig nach dem Aus-
lande geliefert und daß vor allem ausländische Zahlungs-
mittel beschafft wurden, mit denen wir die notwendigsten,
damals noch möglichen Einfuhren bezahlen konnten. So
wurde dem Exporteure vorgeschrieben, daß die Rech-
nungen für die ausgeführten Waren nur noch in der
Valuta des Landes auggestellt wurden, nach dem die
Ware geliefert wurde, eine Vorschrift, die, so berech-
tigt sie im deutschen Interesse war, weiterhin auf eine
Einschränkung des Exportes gerade auch für die säch-
sische Industrie hinwirkte und im Auslande viel Ver-
stimmung erregte. Die Periode ist weiterhin vor allem
gekennzeichnet durch den jetzt sehr heftig auftretenden
Kohlenmangel und die Transportbrisen, sowie
durch die ausgedehnte Verwendung von Ersatzstof=
fen. War bisher hauptsächlich die Umstellung der Betriebe
auf Heereslieferungen erforderlich gewesen, so wurden solche
Umstellungen jetzt inmer mehr als Anpassung an neue und
fortwährend wechselnde Ersatzsioffe erforderlich. Wiederholt
wurden Metalle als „Sparmetalle“ bezeichnet, die bis da-
hin nicht als solche gegolten hatten, stellenweise mußte
sogar Holz anstelle von Metall treten. Ahnlich war es mit
Leder, Faserstoffen und anderen selten gewordenen
oder überhaupt nicht mehr erhältlichen Rohstoffen. Auch
405
das Gebiet der Betriebesmittel (DOle, Schmiermittel,
Treibriemen, Heizung usw.) wurde durch die Notwendig-
keit des Ersatzes beherrscht, dessen Mittel häufig nur
sehr schwierig und kostspielig zu erhalten waren und eben-
falls fortwährend Anpassungen und technische Verände-
rungen in den Betrieben, namentlich auch bei den Maschinen
und in den Arbeitsmethoden erforderlich machten. Die Wirt-
schaft Deutschlands und Sachsens steht ferner seit dieser Pe-
riode unter dem Zeichen der Kohlennot mit allen ihren
einschneidenden Wirkungen. Deutschland, eines der bohlen-
reichsten Länder der Erde, das im Frieden große Mengen
dieses wichtigsten Rohstoffes für die industrielle Tätigkeit
ausgeführt hatte, konnte nicht mehr den Bedarf seiner schon
damals doch sehr eingeschränkten industriellen und gewerb-
lichen Tätigkeit decken. Es mußte die Bewirtschaftung
der Kohlen eintreten, wofür der Reichsbohlen-
kommissar zuständig wurde, und da die Versorgung
des Heeres wiederum in erster Linie stand, so trat eine
weitere Bevorzugung der für Heereslieferungen arbeitenden
Betriebe mit Kohle ein; je nach der Wichtigkeit der Liefe-
rung, ob direkt oder indirekt, ob Munitions= oder son-
stiger Heeresbedarf, mit dem man übrigens jetzt auch in
vieler Hinsicht sehr zu sparen gezwungen war, wurde die Kohle
an die Industriebetriebe verteilt oder ihnen entzogen, wenn
Dringlichkeit der Arbeit nicht vorlag. Wie im gesamten
deutschen, so sank auch im sächsischen Kohlenberg-=
bau, der, obwohl er den sächsischen Bedarf bei weitem
nicht decken bann, recht bedeutend ist, die Förderung bedenk-
lich. Der Bergbau hatte mit bedeutenden Schwie-
rigkeiten schon seit Anfang des Krieges zu kämpfen
gehabt, da er durch Einberufung der von ihm benötigten
bräftigen Arbeiter besonders stark getroffen wurde und
Ersatz für diese aus anderen Berufen nur sehr schwer zu
finden war. Auch die Kriegsgefangenen boten keine aus-
reichende Hilfe, zumal sie meist widerwillig und nur sehr
wenig arbeiteten; über zwei Drittel der Leistung des freien
Arbeiters ist ihre Leistung nie gestiegen. Weitere Schwierig-
keiten hatte der Bergbau zu bekämpfen infolge Fehlens
von Grubenholz, von Benzin, Schmiermitteln und der Un-
möglichkeit ausreichender Neparatur der Bergbaumaschinen,
wegen Mangels von Wagen für den Kohlenversand usw.
Trotzdem hat man im Bergbau diese Schwierigbeiten zu
überwinden und den Anforderungen auf Steigerung der
Förderung zu entsprechen versucht, selbst mit großen Opfern
und angesichts der Gefahr, daß infolge des Abbauens der.
besseren Flöze in den Gruben die Wirtschaftlichkeit der-
Werke für die Zukunft erheblich beeinträchtigt würde. Ob-
wohl die Arbeiterzahl im Bergbau seit 1916 ständig anslieg,
indem Beurlaubungen vom Heeresdienst in größerem Um-
fange vorgenommen oder Arbeitskräfte aus anderen Be-
rufen eingerichtet wurden, so daß schließlich die Friedens-
belegschaftszahlen sogar beträchtlich überschritten wurden,
sank die Förderung bei steigendem Bedarf, wegen
der oben erwähnten Schwierigkeiten, vor allem aber auch,
weil die Ernährungsschwierigkeiten und die Schwierigkeit
der Beschaffung von Kleidung und Schuhwerk die Leistun-
gen der Arbeiter ständig minderte.
Durch den Kohlenmangel verschärft, traten jetzt Trans-
portkrisen mit ihren Begleiterscheinungen (Gütersperre, Ein-
schränkung der Fahrpläne) auf infolge der Abnutzung
des Eisenbahnmaterials, dessen Instandhaltung bei
der Anspannung der Eisenindustrie für Heereszwecke, na-
mentlich der Munitionserzeugung, nicht auf der Höhe ge-
halten wurde. Durch den Kohlenmangel wurde auch die
Bereitstellung der elektrischen Kraft und die Gas-
erzeugung beeinträchtigt, wodurch Industrien, die auf
diese Kräfte angewiesen waren, stark in Mitleidenschaft ge-
zogen wurden. Man suchte auch hier der Kalamität durch
„Bewirtschaftung“ zu begegnen, und der Reichskommis-