Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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sar für elektrische Kraft und Gas erschien auf der 
Bildfläche. Aber die Hauptschwierigkeiten verursachte der 
Kohlenmangel. Denn nunmehr wurden auch die Industrie- 
zweige in Mitleidenschaft gezogen, die Aufträge für Heer 
oder Privatbedarf zur Genüge besaßen, vielleicht auch Roh- 
material, sei es von Kriegsgesellschaften zugewiesenes, seien 
es Er ratzstoffe, die für Export und Privatbedarf freigegeben 
waren; der Kohlenmangel zwang hier zu Betriebseinschrän- 
kungen, Still= und Zusammenlegungen. Zu diesen Industrie- 
zweigen gehörten neben anderen die Glas-, die kera- 
mische und vor allem auch die in Sachsen bedeutende 
Papierindustrie, die während des Krieges ihre Ar- 
beiterzahl sogar vermehrt hatte. Sie vermochte den Heeres- 
bedarf und den durch die bureaukratisch organisierte Kriegs- 
wirtschaft ungeheuer gesteigerten Verbrauch an Schreib- 
und Druckpapier und Papierwaren kaum zu decken, mußte 
aber wegen Rohstoffmangel und besonders wegen Koblen-= 
mangels seit Anfang 1917 ebenfalls zu bedeutenden Ein- 
schränkungen schreiten; die Betriebe dieser Industrien lagen 
oft tage= und wochenlang still. Auch die papierverarbei- 
tende Industrie war nach einer Periode ungenügen- 
der Produktion in den letzten Kriegsjahren stark beschäftigt; 
Buchdruckereien durch den vermehrten Bedarf an Lesestoff, 
Buchbindereien und Kartonnagenfabriken durch Feldrost- 
packungen, Briefe, Karten und Packungen für Lebens= und 
Ersatzmittel. Einen bedeutsamen Aufschwung nahm die 
Papierindustrie vor allem durch das Aufkommen der Pa- 
piergarnfabrikation, dem bedeutsamsten Ersatz für 
Baumwolle, Wolle usw. Hierzu gehörte als Halbfabrikat 
das Spinnpapier, aus welchem das Papiergarn gesponnen 
wurde. Auf diesem Gebiete, mit dem wichtigsten der Er- 
satzmittelfabrikation, welche eine typische Erschei- 
nung dieser Periode des Krieges ist, hat auch die sächsische 
Textilindustrie Hervorragendes geleistet, die Papier= 
garnverarbeitung war für einen Teil der Textilindustrie 
eine Möglichkeit, der drohenden Stillegung wegen völligen 
Nohstoffmangels zu entgehen. So nahmen die Spinne-= 
reien die Papiergarnspinnerei, die Webereien und Wirke- 
reien die Verarbeitung dieser Papiergarne auf, und es 
konnten dadurch einige bereits stilliegende Unternehmungen 
sogar wieder in Betrieb gesetzt werden. Es ist erstaunlich, 
wac die industrielle Technik auf diesem Gebiete der Ver- 
wendung von Papier zu Spinn= und Webzwecken geleistet 
hat, bis man soweit war, daß Papierstoffe zu Zwecken der 
Bekleidung verwendbar waren. Alle möglichen Artikel wur- 
den hergestellt, nachdem es durch kostspielige und mit viel 
Geduld und Aufwendung aller technischen Errungenschaften 
unterstützte Versuche möglich gewesen war, das Papiergarn 
zu brauchbaren Erzeugmissen zu verarbeiten. Aus Papier- 
garn wurden Bett-, Stroh= und Sandsackstoffe, Hand- 
und Scheuertücher, Putztücher, Verbemdstoff Stoffe zu 
Männer= und Frauenkleidung, Unterwäsche, Gardinen, Tep- 
piche, Zellstoffe, Planen, Bindfaden, Treibriemen, Schuh= 
sohlen und -schäfte usw. hergestellt. Auch andere Faser- 
ersatzstoffe suchte man zu verwenden; man brachte spinn- 
fähige Tertilfaser aus Hopfenstengeln, Weidenbast, Kolben- 
schilf, Nesseln, Ginster u. d. zustande, desgleichen wurden 
die bei der Zurichtung von Schaf= und Kaninfellen ab- 
fallenden Haare für Spinnzwecke verwendet. Auch wurde 
der Flachsbau in Deutschland gefördert, so daß die Leinen-= 
spinnerei und zweberei den früher aus Rußland und Indien 
bezogenen Nohstoff teilweise ersetzte. Aber all diese Ersatz- 
stoffe der Tertilindustrie konnten doch nicht in so großer 
Menge und solcher Güte erzeugt werden, daß auch nur 
ein wesentlicher Teil der Betriebe hätte beschäftigt werden 
können. Auch die Aushilfe durch Seide, Kunstseide, Stapel- 
faser brachten keine Belebung in die in dieser Periode schon 
in weitem Umfange stillgelegte sächsische Textilindustrie. 
Dagegen bonnten andere Industriezweige und mußten 
auch Heereslieferungsbetriebe in dieser letzten Periode des 
Krieges viel mit Ersatzstoffen arbeiten, und man hat 
auch auf diesem Gebiete ganz Erstaunliches geleistet. Na- 
mentlich die sogenannten „Friedensindustrien“, d. h. die- 
jenigen, die nicht für das Heer lieferten, sondern Gegenstände 
für den vielgestaltigen Bedarf der Bevölkerung und für 
den Export herstellten, hatten im Laufe des Krieges, ge- 
zwungen durch die harte Notwendigkeit, in der Verwendung 
von Ersatzslofsen große Fortschritte gemacht. So konnte 
die Metallverarbeitung mit Hilfe von Ersatz von 
Kupfer, Messing, Nickel, hauptsächlich durch Eisen, Zink, 
Holz ihre Fabrikation von Gegenständen der verschiedensten 
Art aufrecht erhalten und hat sowohl mit Rücksicht auf 
Haltbarkeit wie in geschmackvoller Hinsicht Erzeugnisse auf 
den Markt gebracht, die auch vom neutralen Ausland be- 
gehrt wurden. Ebenso hat die Lack= und Farbenindu- 
strie es verstanden, sich ohne ausländische Rohsioffe zu be- 
helfen, desgleichen die Gerberei die fehlenden ausländi- 
schen Gerbmittel durch einheimische ersetzt. Die lederverarbei- 
beitende Industrie hat viel mit Papierstoffen, Kunsileder, 
Holz sich zu helfen gesucht, so wurden Treibriemen aus 
Papiergarn hergestellt, Schuhe aus Papiergewebe und Holz- 
sohlen. Ebenso konnte die Spielwarenindustrie mit 
Hilfe von Ersatzstoffen ihre Produktion fortführen. Diese 
für Sachsen, namentlich für das Erzgebirge und für den 
Export sehr wichtige Industrie lag am Anfang des Krieges 
wegen Mangels an Aufträgen fast ganz still, nahm aber 
gegen Ende 1915 wieder einen Aufschwung und konnte 
dann während des ganzen Krieges Aufträge erlangen, wozu 
ihr namentlich die Leipziger Messe verholfen hat. Der 
Bedarf an Spielwaren blieb, wie die Gewerbeaufsichts- 
beamten in ihrem Bericht melden, seit 1915 während der 
ganzen folgenden Zeit in voller Höhe bestehen. In der 
chemischen Industrie hat die Herstellung von Ersatz- 
mitteln geradezu Triumphe gefeiert; es sei an die Ge- 
winnung von Stickstoff aus der Luft erinnert, an den Ersatz 
des Glyzerins durch Zucker, an die Umänderung von Färbe- 
und Bleichverfahren durch Ersatzstoffe anstelle der fehlen- 
den ausländischen oder knapp gewordenen inländischen. Frei- 
lich tverden viele von diesen Ersatzstofsen wieder verschwin- 
den, weil auf die Dauer eben doch der früher verwendete 
Rohstoff vorzuziehen ist, sicher ist auch, daß manche In- 
dustrieztweige, die sehr viel exportieren, wie z. B. die be- 
deutende Musikinstrumentenindustrie des Vogt- 
landes, durch den von der Kriegswirtschaft ausgeübten 
Zwang, an ungeeigneter Stelle Ersatzstoffe verwenden zu 
müssen, die Märkte des Auslandes eingebüßt haben, da 
nicht auf allen Gebieten, wo die Kriegswirtschaft es ver- 
langte, der Ersatz billiger und zugleich besser war. Es 
waren eben Notbehelfe, und als solche konnten sie wohl für 
den inländischen Markt für die Kriegszeit in Frage kommen, 
niemals aber dauernde Herrschaft sich erwerben. Den 
größten Mißerfolg mit den Ersatzmitteln haben neben dem 
größten Teil der „Ersatz“zmittel in der Nahrungsmittel- 
fabrikation, die uns der Krieg bescherte, Kriegsprodukte 
der Seifenindustrie erlitten. Die K.-A.-Seife wie das K.-A. 
Seifenpulver, welche die Betriebe der Seifenindustrie unter 
dem Druck der Not und unter Anleitung der Kriegsgesell- 
schaften fabrizieren mußten, wird allen, die diesen „Ersatz“ 
gebrauchen mußten, in schrecklicher Erinnerung bleiben. Er 
hat auch für die Volkshygiene außerordentliche Nach- 
teile mit sich gebracht, denn viele Unfälle und Krankheiten, 
denen die Arbeiter während des Krieges ausgesetzt waren, 
sind durch den Mangel einer guten fetthaltigen Seife für 
die Reinigung von Körper und Wäsche mit verursacht 
worden. Die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten geben 
gerade hierüber interessante Aufschlüsse. Sicher ist aber, 
daß die Bereitstellung von Ersatz für fehlende oder lnapp 
gewordene Nohstoffe viel dazu beigetragen hat, den Heeres-
	        
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