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sar für elektrische Kraft und Gas erschien auf der
Bildfläche. Aber die Hauptschwierigkeiten verursachte der
Kohlenmangel. Denn nunmehr wurden auch die Industrie-
zweige in Mitleidenschaft gezogen, die Aufträge für Heer
oder Privatbedarf zur Genüge besaßen, vielleicht auch Roh-
material, sei es von Kriegsgesellschaften zugewiesenes, seien
es Er ratzstoffe, die für Export und Privatbedarf freigegeben
waren; der Kohlenmangel zwang hier zu Betriebseinschrän-
kungen, Still= und Zusammenlegungen. Zu diesen Industrie-
zweigen gehörten neben anderen die Glas-, die kera-
mische und vor allem auch die in Sachsen bedeutende
Papierindustrie, die während des Krieges ihre Ar-
beiterzahl sogar vermehrt hatte. Sie vermochte den Heeres-
bedarf und den durch die bureaukratisch organisierte Kriegs-
wirtschaft ungeheuer gesteigerten Verbrauch an Schreib-
und Druckpapier und Papierwaren kaum zu decken, mußte
aber wegen Rohstoffmangel und besonders wegen Koblen-=
mangels seit Anfang 1917 ebenfalls zu bedeutenden Ein-
schränkungen schreiten; die Betriebe dieser Industrien lagen
oft tage= und wochenlang still. Auch die papierverarbei-
tende Industrie war nach einer Periode ungenügen-
der Produktion in den letzten Kriegsjahren stark beschäftigt;
Buchdruckereien durch den vermehrten Bedarf an Lesestoff,
Buchbindereien und Kartonnagenfabriken durch Feldrost-
packungen, Briefe, Karten und Packungen für Lebens= und
Ersatzmittel. Einen bedeutsamen Aufschwung nahm die
Papierindustrie vor allem durch das Aufkommen der Pa-
piergarnfabrikation, dem bedeutsamsten Ersatz für
Baumwolle, Wolle usw. Hierzu gehörte als Halbfabrikat
das Spinnpapier, aus welchem das Papiergarn gesponnen
wurde. Auf diesem Gebiete, mit dem wichtigsten der Er-
satzmittelfabrikation, welche eine typische Erschei-
nung dieser Periode des Krieges ist, hat auch die sächsische
Textilindustrie Hervorragendes geleistet, die Papier=
garnverarbeitung war für einen Teil der Textilindustrie
eine Möglichkeit, der drohenden Stillegung wegen völligen
Nohstoffmangels zu entgehen. So nahmen die Spinne-=
reien die Papiergarnspinnerei, die Webereien und Wirke-
reien die Verarbeitung dieser Papiergarne auf, und es
konnten dadurch einige bereits stilliegende Unternehmungen
sogar wieder in Betrieb gesetzt werden. Es ist erstaunlich,
wac die industrielle Technik auf diesem Gebiete der Ver-
wendung von Papier zu Spinn= und Webzwecken geleistet
hat, bis man soweit war, daß Papierstoffe zu Zwecken der
Bekleidung verwendbar waren. Alle möglichen Artikel wur-
den hergestellt, nachdem es durch kostspielige und mit viel
Geduld und Aufwendung aller technischen Errungenschaften
unterstützte Versuche möglich gewesen war, das Papiergarn
zu brauchbaren Erzeugmissen zu verarbeiten. Aus Papier-
garn wurden Bett-, Stroh= und Sandsackstoffe, Hand-
und Scheuertücher, Putztücher, Verbemdstoff Stoffe zu
Männer= und Frauenkleidung, Unterwäsche, Gardinen, Tep-
piche, Zellstoffe, Planen, Bindfaden, Treibriemen, Schuh=
sohlen und -schäfte usw. hergestellt. Auch andere Faser-
ersatzstoffe suchte man zu verwenden; man brachte spinn-
fähige Tertilfaser aus Hopfenstengeln, Weidenbast, Kolben-
schilf, Nesseln, Ginster u. d. zustande, desgleichen wurden
die bei der Zurichtung von Schaf= und Kaninfellen ab-
fallenden Haare für Spinnzwecke verwendet. Auch wurde
der Flachsbau in Deutschland gefördert, so daß die Leinen-=
spinnerei und zweberei den früher aus Rußland und Indien
bezogenen Nohstoff teilweise ersetzte. Aber all diese Ersatz-
stoffe der Tertilindustrie konnten doch nicht in so großer
Menge und solcher Güte erzeugt werden, daß auch nur
ein wesentlicher Teil der Betriebe hätte beschäftigt werden
können. Auch die Aushilfe durch Seide, Kunstseide, Stapel-
faser brachten keine Belebung in die in dieser Periode schon
in weitem Umfange stillgelegte sächsische Textilindustrie.
Dagegen bonnten andere Industriezweige und mußten
auch Heereslieferungsbetriebe in dieser letzten Periode des
Krieges viel mit Ersatzstoffen arbeiten, und man hat
auch auf diesem Gebiete ganz Erstaunliches geleistet. Na-
mentlich die sogenannten „Friedensindustrien“, d. h. die-
jenigen, die nicht für das Heer lieferten, sondern Gegenstände
für den vielgestaltigen Bedarf der Bevölkerung und für
den Export herstellten, hatten im Laufe des Krieges, ge-
zwungen durch die harte Notwendigkeit, in der Verwendung
von Ersatzslofsen große Fortschritte gemacht. So konnte
die Metallverarbeitung mit Hilfe von Ersatz von
Kupfer, Messing, Nickel, hauptsächlich durch Eisen, Zink,
Holz ihre Fabrikation von Gegenständen der verschiedensten
Art aufrecht erhalten und hat sowohl mit Rücksicht auf
Haltbarkeit wie in geschmackvoller Hinsicht Erzeugnisse auf
den Markt gebracht, die auch vom neutralen Ausland be-
gehrt wurden. Ebenso hat die Lack= und Farbenindu-
strie es verstanden, sich ohne ausländische Rohsioffe zu be-
helfen, desgleichen die Gerberei die fehlenden ausländi-
schen Gerbmittel durch einheimische ersetzt. Die lederverarbei-
beitende Industrie hat viel mit Papierstoffen, Kunsileder,
Holz sich zu helfen gesucht, so wurden Treibriemen aus
Papiergarn hergestellt, Schuhe aus Papiergewebe und Holz-
sohlen. Ebenso konnte die Spielwarenindustrie mit
Hilfe von Ersatzstoffen ihre Produktion fortführen. Diese
für Sachsen, namentlich für das Erzgebirge und für den
Export sehr wichtige Industrie lag am Anfang des Krieges
wegen Mangels an Aufträgen fast ganz still, nahm aber
gegen Ende 1915 wieder einen Aufschwung und konnte
dann während des ganzen Krieges Aufträge erlangen, wozu
ihr namentlich die Leipziger Messe verholfen hat. Der
Bedarf an Spielwaren blieb, wie die Gewerbeaufsichts-
beamten in ihrem Bericht melden, seit 1915 während der
ganzen folgenden Zeit in voller Höhe bestehen. In der
chemischen Industrie hat die Herstellung von Ersatz-
mitteln geradezu Triumphe gefeiert; es sei an die Ge-
winnung von Stickstoff aus der Luft erinnert, an den Ersatz
des Glyzerins durch Zucker, an die Umänderung von Färbe-
und Bleichverfahren durch Ersatzstoffe anstelle der fehlen-
den ausländischen oder knapp gewordenen inländischen. Frei-
lich tverden viele von diesen Ersatzstofsen wieder verschwin-
den, weil auf die Dauer eben doch der früher verwendete
Rohstoff vorzuziehen ist, sicher ist auch, daß manche In-
dustrieztweige, die sehr viel exportieren, wie z. B. die be-
deutende Musikinstrumentenindustrie des Vogt-
landes, durch den von der Kriegswirtschaft ausgeübten
Zwang, an ungeeigneter Stelle Ersatzstoffe verwenden zu
müssen, die Märkte des Auslandes eingebüßt haben, da
nicht auf allen Gebieten, wo die Kriegswirtschaft es ver-
langte, der Ersatz billiger und zugleich besser war. Es
waren eben Notbehelfe, und als solche konnten sie wohl für
den inländischen Markt für die Kriegszeit in Frage kommen,
niemals aber dauernde Herrschaft sich erwerben. Den
größten Mißerfolg mit den Ersatzmitteln haben neben dem
größten Teil der „Ersatz“zmittel in der Nahrungsmittel-
fabrikation, die uns der Krieg bescherte, Kriegsprodukte
der Seifenindustrie erlitten. Die K.-A.-Seife wie das K.-A.
Seifenpulver, welche die Betriebe der Seifenindustrie unter
dem Druck der Not und unter Anleitung der Kriegsgesell-
schaften fabrizieren mußten, wird allen, die diesen „Ersatz“
gebrauchen mußten, in schrecklicher Erinnerung bleiben. Er
hat auch für die Volkshygiene außerordentliche Nach-
teile mit sich gebracht, denn viele Unfälle und Krankheiten,
denen die Arbeiter während des Krieges ausgesetzt waren,
sind durch den Mangel einer guten fetthaltigen Seife für
die Reinigung von Körper und Wäsche mit verursacht
worden. Die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten geben
gerade hierüber interessante Aufschlüsse. Sicher ist aber,
daß die Bereitstellung von Ersatz für fehlende oder lnapp
gewordene Nohstoffe viel dazu beigetragen hat, den Heeres-