Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Verkauf sächsischer, sondern aller auf der Messe ausstellenden 
deutschen und ausländischen Aussteller. Im Frühjahr 1918 
ist dieser Umsatz sogar auf 51 Millionen Mark angestiegen 
und hat im Herbst 1918 die Höhe von 208 Millionen Mark 
erreicht. Dabei sind nicht gerechnet die Geschäfte, welche 
einer Anmeldepflicht für Ausfuhr nicht unterlagen. In- 
wieweit die Aufträge ausgeführt worden sind, läßt sich 
natürlich nicht sagen, aber es ist sicher das Mögliche getan 
worden, und es ist ein Beweis für die Unternehmungslust 
und die Ausdauer der deutschen Industrie, die unter den 
schwierigsten Verhältnissen die Produktion aufrecht erhalten 
hat, zugleich auch ein Beweis für den ungeheuren Waren- 
hunger, der in Deutschland wie außerhalb seiner Grenzen 
vorhanden ist, weil der Krieg die Bedarfsdeckung durch 
Jahre hindurch verhinderte. 
Die rege Nachfrage nach industriellen Artikeln führte auch 
zu einer völligen Anderung des üblichen Verhältnisses zwischen 
Käufer und Verkäufer, indem die Industriebetriebe nicht mehr 
nötig hatten, anzubieten, sondern von den Kunden aufge- 
sucht und um Abgabe von Waren gedrängt wurden. 
Durch den Mangel an Noh= und Betriebsstoffen, die im- 
mer straffer organisierte Zwangswirtschaft und die sich zu- 
spitzenden Arbeiterverhältnisse verschoben sich die Verhält- 
nisse der einzelnen Industriezweige zueinander wesentlich. 
An sich sehr verschiedene Industriezweige wurden wegen 
des gleichzeitigen Bedarfs einzelner Rohstoffe in eine ge- 
wisse Kampfstellung gegeneinander gebracht, indem jede 
Industrie auf diesen Rohstoff Anspruch erhob. Vielfach 
führte die menschliche Ernährung wie der landtvirtschaftliche 
Stoffersatz und die industrielle Erzeugung einen beftigen 
Kampf um dieselben Rohstoffe, wie z. B. Ole, die ver- 
schiedenen Zweige der metallverarbeitenden Industrie mach- 
ten einander Konkurrenz in dem Maße, wie die Spar- 
metalle selten wurden. Sehr schwerwiegender Einfluß ging 
gerade für sächsische Firmen von einzelnen außersächsischen 
Firmen aus, die sich Monopolstellungen unter der Herrschaft 
und teilweise dem Schutze der Kriegögesellschaften erworben 
hatten. Hierzu gehört z. B. der „Scheidemandel-Konzern“ 
im Anschluß an den Kriegsausschuß für Ole und Fette, 
ferner die „Textil-Union“, die in dem Textilausschuß eine 
häufig gerade von sächsischen Industriellen scharf kritisierte 
Nolle spielte, in der Metallindustrie wurden besonders die 
dem Stahl-Bund angeschlossenen Branchen der westdeut- 
schen Industrie als bevorzugt empfunden. Ein andrer Gegen- 
satz prägte sich aus zwischen den stilliegenden und den weiter- 
arbeitenden Betrieben desselben Industriezweiges, tvie z. B. 
in der Treibriemen= und in der Textilindustrie. Die wider- 
strebenden Interessen führten in der letzteren zu dem „Ver- 
band sillliegender Baumwollwebereien“ Deutschlands, der 
die Interessen dieser Betriebe wahrzunehmen sich entschloß 
und bald auch in anderen Branchen Nachahmung fand. 
Wirkung des Krieges auf Arbeiter und Angestellte 
Die Wirkungen der Kriegsdauer auf die zahlreiche Arbei- 
terschaft Sachsens sind außerordentlich tiefgreifende gewesen 
und dürften weit über den Krieg hinaus noch lange an- 
halten. Zunächst ist als Folge des Krieges ein bedeuten- 
der Rückgang der Arbeiterzahl festzustellen; von 
#8§58 450 im Jahre 1913 gezählten Arbeitern waren 1918 
noch 678009° vorhanden, die Jahl der männlichen Arbeiter ist 
von 730 208 im Jahre 1913 auf 316017 im Jahre 1918 
zurückgegangen, dagegen ist die Zahl der weiblichen Arbei- 
ter von 255073 in 1913 auf 293191 in lo##s gestiegen. 
Während der Anteil der männlichen Arbeiter an der ge- 
samten Arbeiterzahl in der Industrie und im Bergbau von 
60,3 0° in 1913 auf 46,6 0% in lols fiel, stieg der Anteil 
der Arbeiterinnen an der gesamten Arbeiterschaft von 
29,7 % auf 43,2 0 in den Jahren 1913 bis 1918. 
Es geht aus diesen Jahlen hervor, in wie großem Umfange 
400 
die Arbeiterinnen die Lücken ausgefüllt haben, welche der 
Krieg in der männlichen Arbeiterschaft gerissen hatte. Das- 
Schicksal der Arbeiter war wechselnd, je nach der 
Lage, in welcher die gesamte Industrie und die einzelnen 
Industriezweige sich befanden. Die Arbeitslosigkeit und der 
allmähliche Nückgang der Produktion in einzelnen Branchen 
und die starke Steigerung der Beschäftigung in anderen 
auf die Kriegsarbeit eingestellten Betrieben brachte große 
Massen von Arbeitern und Angestellten in Bewegung; es 
hat während des ganzen Krieges ein fortgesetztes Wandern 
der Arbeiter aus einem Industriezweig in den anderen, ja 
aus einem Beruf in einen ganz entgegengesetzten, aus einer 
Gegend des Landes in die andere stattgefunden. Viele hat 
der Krieg auch aus dem Lande selbst binausgeführt, so daß 
sie wahrscheinlich für die sächsische Industrie völlig ver- 
loren sind. Die Berichte der sächsischen Gewerbeaufsicht, 
denen wir die Angaben dieses Kapitels in der Hauptsache 
entnehmen, geben darüber ein sehr interessantes und an- 
schauliches Bild. 
Die Arbeitslosigkeit zu Anfang des Krieges ließ, wie 
erwähnt, schon Ende August 1914 wieder nach und machte 
einer Wiederbeschäftigung in immer steigendem Umfange Platz, 
bis schließlich sogar in vielen Industriezweigen, auch solchen, 
welche nicht ausgesprochen für das Heer arbeiteten, ein 
empfindlicher Mangel an gelernten und Facharbeitern 
eintrat, weil es eben nicht möglich war, alle Plätze mit 
Frauen auszufüllen. So wurden z. B. vom Gewerkschafts- 
kartell in Leipzig im August 1914 14220 Arbeitslose ge- 
zählt, deren Zahl in dem gleichen Monat 1915 auf 1443, 
1916 auf 493, 1917 auf 49, 1918 auf 22 zurückgegangen 
war. Erst nach dem Waffenstillstand und dem Eintritt der 
Revolution schnellte die Ziffer wieder auf über 6000 in die 
Höhe. Im ganzen Lande war die Zahl der Arbeitslosen von 
143 o000 Ende August 1914 auf 70 ooo Mitte November des- 
selben Jahres zurückgegangen. Der Arbeitslosigkeit, welche 
durch Produktionseinschränkung und Stillegung von indu- 
striellen Betrieben und ganzen Branchen drohte, entging die 
Arbeiterschaft dadurch, daß sie sich, wie bereits erwähnt, an- 
deren Branchen zuwendete. Vor allem zog die Rüstungs- 
industrie mit ihren guten Löhnen Tausende von Arbeitern 
und Arbeiterinnen an. Aus fast allen Industriezweigen, 
namentlich aber auch aus der so schwer durch den Krieg 
in Mitleidenschaft gezogenen Textilindustrie, sind die Ar- 
beiter in die Metall-, chemische und Lederindustrie abge- 
wandert und sie haben zu diesem Zwecke auch häufig ihren 
Wohnsitz verlegt. „Ganze Ortschaften kamen,“ wie der Ge- 
werbeaufsichtsbeamte für den Chemnitzer Bezirk schreibt, 
„in Bewegung, um der Eisenindustrie zuzustreben“. Manche 
Orte. in deren Nähe die Rüstungsindustrie nicht anzutreffen 
war, verloren dadurch erheblich an Einwohnerzahl. Der 
Berufs= und Betriebswechsel zeigt bei näherem Zusehen sehr 
interessante Einzelheiten. Die Rüstungsindustrie mit ihren 
hohen Löhnen lockte auch Arbeiter aus Betrieben, die an 
sich noch beschäftigt waren, aber nicht so hohe Löhne zahlen 
konnten. So gab es in den Munitionsfabriken und den son- 
stigen für das Heer arbeitenden Betrieben, oft außer den ge- 
lernten Facharbeitern, Arbeitskräfte aus anderen, der Metall- 
industrie fremden Berufszweigen: Friseure, Bäcker, Zeich- 
ner, Maler, selbst Handlungsgehilfen, Kunstzeichner, Photo- 
graphen und sonstige Privatangestellte ivurden gefunden. 
Auch nach Orten außerhalb Sachsens sind viele Ar- 
beiter abgewandert, nach Nheinland-Westfalen und anderen 
preußischen Industriebezirken, in denen höhere Löhne als 
in Sachsen bezahlt wurden. Diese Abwanderung wurde 
durch Inserate außersächsischer Firmen in sächsischen Zei- 
tungen sehr gefördert; sogar Agenten wurden nach Sachsen 
gesandt, um von dort Arbeiter nach anderen Bezirken weg- 
zuholen. Auch in die Landwirtschaft sind Arbeiter, 
namentlich auch Frauen abgewandert, in späteren Perioden
	        
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