Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

stätten eingerichtet, auch mußten naturgemäß in den Be- 
trieben die Meister und Vorarbeiter die Frauen auf die 
Arbeiten einrichten, die sie neu übernahmen. Im Anfange 
war bei den Betriebsleitern und Unternehmern ein gewisser 
Widerstand gegen die Verwendung der Frauen zu solchen 
neuartigen Arbeiten vorhanden. Auch die Arbeiter haben 
anfangs das Eindringen der Frauen nicht gern gesehen, 
man gewöhnte sich aber sehr bald an diese Erscheinung; 
ohne die Frauen hätte ja die industrielle Tätigkeit gar nicht 
in dem Umfange aufrecht erhalten werden können, in dem 
es wirklich geschehen ist und geschehen mußte. 
Das Urteil über die Eignung der Frauen zu so weit- 
gehender industrieller Verwendung ist sehr verschieden, in 
der Hauptsache aber günstig. „Sie waren,“ wie der Ge- 
werbeaufsichtsbeamte für Leipzig hervorhebt, „für die ge- 
lernten Facharbeiter nicht immer ein vollwertiger Ersatz, 
und erreichten in der Leistungsfähigkeit, Selbständigkeit und 
Juverlässigkeit die männliche Arbeitskraft vielfach nicht. Aber 
sie waren willig und gewandt und haben sich in ihre neuen 
Aufgaben vielfach wesentlich besser eingearbeitet, als man 
erwartet hatte.“ Jedenfalls wird man, wenn man von 
der Tätigkeit der deutschen Frauen und Mädchen im Welt- 
krieg mit Anerkennung spricht, die Industriearbeiterinnen 
nicht vergessen dürfen. Die Arbeiterinnen selbst haben trotzt 
Heranziehung zur Nachtarbeit und sonstigen ungewohnten 
Arbeiten doch im allgemeinen gern diese Tätigkeit aus- 
geübt, weil sie eben bei verhältnismäßig guten Löhnen hohe 
Verdienste und in der Rüstungsindustrie auch die sehr be- 
gehrten Lebenomittelzulagen erhielten. Auch die Einführung 
von Männerkleidung für Frauen an gefährlichen Arbeits- 
posten hat sich ohne größere Schwierigkeiten vollzogen. Die 
Gesundheit der Arbeiterinnen war nach den Be- 
richten der Gewerbeaufsicht durch die ungewohnte industrielle 
Tätigkeit verhältnismäßig weniger beeinträchtigt worden als 
man fürchtete; keiner der Berichte stellt nachteilige Folgen 
in der Industrie fest. Es sind ja auch viele Schutzbestim- 
mungen für Frauen bestehen geblieben und ihnen unge- 
eignete, besonders schwere Arbeiten wieder abgenommen oder 
auf geeignete Weise erleichtert worden. Wo Krankheiten 
eintraten, sind diese nach Ansicht der Gewerbeaufsichts- 
beamten wohl mehr der schlechten Ernährung und der 
mangelnden Körperpflege wegen Fehlens der Waschmittel 
zuzuschreiben, unter welcher der Gesundheitszustand aller 
Bevölkerungsschichten so erheblich gelitten hat. 
Auch die Löhne der Arbeiterinnen haben sich natur- 
gemäß gehoben; im Bezirk Bautzen betrug z. B. der Lohn 
für Arbeiterinnen 1914 in Textilfabriken 10—26 Pfennige, 
1917 15—44 Pfennige, in Maschinenfabriken 30—40 
Pfennige 1914, 60—80 Pfennige 1917 in der Stunde, 
doch geben diese Stundenlöhne kaum ein richtiges Bild, 
da gerade in der Rüstungeindustrie meistens in Akkord ge- 
arbeitet wurde. Im allgemeinen waren die Löhne der Ar- 
beiterinnen, entsprechend ihrer geringeren Leistungsfähig- 
beit, geringer als die der Männer; sie erreichten etwa 
vier Fünftel der Löhne dieser. 
Die jugendlichen Arbeiter sind ebenfalls im Kriege 
zu einer Bedeutung für die industrielle Tätigkeit gelangt, 
die sie vor dem Kriege nicht hatten. Die Zahl der be- 
schäftigten jugendlichen Arbeiter ging in den ersten beiden 
Jahren zurück, stieg dann aber stark, so daß fast der 
Friedensstand erreicht wurde. Auch bei den jugendlichen 
Arbeitern war das weibliche Geschlecht stark vertreten, 
in der Gesamtzahl der Arbeiter betrug die der Jugend- 
lichen 1913 8 00, lols 10,6 00. Die jugendlichen Ar- 
beiter wurden nicht wie die Arbeiterinnen zu neuen Be- 
schäftigungsarten herangezogen und bildeten auch keinen 
Ersatz für Ertvachsene. Lehrlinge traten zwar häufig an die 
Stelle von Gehilfen, und man war mit ihren Leistungen 
zufrieden. Häufig wanderten gerade die jugendlichen Ar- 
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beiter, von den hohen Verdiensten gelockt, in andere Ge- 
genden, namentlich nach der Rüstungsindustrie in der 
Großstadt. Der Übergang in die Großstadt hat aber sehr 
ungünstig auf die Jugend gewirkt. Genußsucht, Unbot- 
mäßigkbeit, Verlockung sind die Folgen dieser durch den 
Krieg herbeigeführten schnellen und leichten Verdienst- 
möglichkeiten jugendlicher Arbeiter gewesen, wie von den 
Gewerbeaufsichtsbeamten besonders hervorgehoben wird. Die 
Lehrlingsausbildung hat während des Krieges ge- 
litten, doch haben größere Betriebe vielfach Lehrwerkstätten 
für jugendliche Arbeiter eingerichtet. 
Auch die in Sachsen weit verbreitete Heimarbeit hat 
während des Krieges Wandlungen durchgemacht. Sie wurd: 
von der Kriegsnot besonders schwer betroffen, denn gerade 
in den Industriezweigen, in denen Heimarbeit viel aus- 
geübt wurde, kamen die Betriebe früher oder später zum 
Erliegen. Heereslieferungen gaben zwar Ersatz, doch ist 
es nicht möglich gewesen, in allen Teilen des Landes diese 
Ausbilfe einzuführen, da nach diesen Arbeiten (Sandsäcke 
nähen, Näh= und Strickarbeiten verschiedener Art, Teil- 
arbeiten für Heeresartikel) überall im Reiche, besonders 
auch in Berlin, große Nachfrage war, der ein viel zu hohes 
Angebot an Heimarbeiterinnen gegenüberstand. 
Es wird von den Gewerbeaufsichtsbeamten hervorgehoben, 
daß die lange Kriegszeit leider von schwerwiegendem nach- 
teiligen Einfluß auf die Gesundheit der Ar- 
beiter gewesen ist. Die Unterernährung habe im dritten 
Jahre des Krieges die körperliche Leistungsfähigkeit der 
Arbeiter immer mehr herabgesetzt, trotz der Fabrikküchen 
und sonstigen Einrichtungen zur Hebung der Ernährung. 
Infolge dieser Unterernährung soll auch die Grippeepidemie 
im Jahre 1018 so stark aufgetreten sein. Das Zuströmen 
schwacher und ungelernter Kräfte, die Beteiligung von Frauen 
an ungewohnter schwerer Arbeit, hat naturgemäß auch un- 
günstig auf den allgemeinen Gesundheitozustand der Arbeiter 
eingewirkt. Ganz besonders aber hat die Beschränkung der 
Wasch= und Reinigungsmittel infolge des Seifen= und 
Wäschemangels Erkrankungen und Unfälle hervorgerufen, 
die im Frieden nicht beobachtet worden sind. Wie weit diese 
Wirkungen gingen, läßt sich aus dem Bericht der Ge- 
werbeaufsichtsbeamten entnehmen. Mit dem Ausbruch des 
Krieges war zunächst ein allgemeines Sinken der Unfall- 
ziffern bemerkbar, später trat aber eine Steigerung der 
Unfälle ein, die sich überall bemerkbar machte. Als Grund 
hierfür gibt die Gewerbeaufsicht an, daß während des 
Krieges Industriezweige mit geringerer Unfallgefährlichkeit 
darniederlagen, während die unfallgefährlichen Betriebe 
(Metall-, Maschinen-, chemische Industrie) einen großen 
Aufschwung erlebten, in denen noch dazu viel mehr un- 
geübte und mangelhaft Vorgebildete tätig waren. Ferner 
trug die Überfüllung der Räume, die nicht rechtzeitig zu 
beseitigenden Betriebsmängel, die starke Abnutzung der Be- 
triebsmittel, die wechselnde Beschaffenheit der Nohstoffe 
und das immer mangelhafter werdende Betriebomaterial 
dazu bei. Jugendliche Arbeiter haben oft in „bodenlosem 
Leichtsinn“ Unfälle verschuldet, und im Bergbau hat die 
Einstellung vom Heere entlassener, durch Kriegserfab- 
rungen gegen Gefahren abgestumpfter Bergarbeiter, wie 
die Einstellung bergfremder Leute auch Unfälle verur- 
sacht. Auch die infolge Einziehung zum Heere sich er- 
gebende mangelhafte Aufsicht durch Meister und Auf- 
sichtspersonen hat verschärfend gewirkt. In dieser Be- 
ziehung hat eben die Not des Krieges zu vielen Übel- 
ständen geführt, von denen aber am schlimmsten doch 
bie sehlechte Ernährung wegen der durch die Blockade herbei- 
geführten Nahrungsmittelknappheit gewirkt, die ihren allen 
Beteiligten unvergeßlichen schrecklichen Ausdruck in dem 
sogenannten Kohlrübenwinter 1916,/17 gefunden und ja alle 
Bevölkerungskreise schwer in Mitleidenschaft gezogen hat.
	        
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