Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Daß man solche Erwartungen auch an den Besuch des 
Auslandes knüpfen durfte, war wohl ausschließlich dem 
Meßausschuß der Handelskammer zu verdanken, der ganz 
außergewöhnliche Anstrengungen gemacht hatte, um den 
Einkäufern des verbündeten und neutralen Auslandes ein 
zutreffendes Bild von der Lage und der ungeschwächten 
Leistungofähigkeit der deutschen Industrie, der Bequemlich- 
beit des Reisens in Deutschland und den übrigen für sie 
in Frage kommenden Verhältmisen zu geben und sie zum 
Besuch der Frühjahrsmesse zu veranlassen. Neben der 
schier erdrückenden Last, die auf den Beamten des Meß- 
ausschusses ruhte, war hier ein so gewaltiges neues Arbeits- 
feld geschaffen, daß es der Aufbietung fast übermensch- 
licher Kräfte bedurfte, um durchzuhalten: Sachsen in 
großer Zeit auch hier! Und das war gegenüber den 
ausländischen Meßinteressenten von größter Bedeutung an- 
gesichts der Anstrengungen, die man jenseits des Kanals 
machte, eine englische Messe in London oder in Birmingham 
zu errichten. - 
Aber neben dem Rat der Stadt Leipzig (nach Dr. Dittrichs 
Ausscheiden unter dem nicht minder messefreundlichen und 
messefördernden Oberbürgermeister Dr. Rothe), neben dem 
Meßausschuß der Handelskammer, neben dem Verband der 
Meßkaufhausinhaber und dem der Aussteller der Leipziger 
Engrosmesse wirkte seit kurzer Frist noch. eine Vereinigung: 
Die „Zentralstelle für Interessenten der Leipziger Muster- 
lagermessen e. V.“, die eine stattliche Zahl der größten 
Verbände von Ausstellern und Einkäufern in sich vereinigt 
hatte und eine schnelle Erörterung wichtiger Fragen vom 
Standpunkte der Meßinteressenten beraten und dabei zu 
einheitlichen Beschlüssen gelangen konnte. Dieser Zentral- 
stelle entbot das Oberhaupt der Stadt, Oberbürger- 
meister Dr. Dittrich, mit folgenden Worten gewissermaßen 
den Eingruß: „Was für unsere Messen, je größer sie 
wurden, um so nötiger sich erwies, eine Körperschaft, in 
der die größten Verbände von Ausstellern und Einkäufern 
vereinigt sind, ist in der Zentralstelle geschaffen. Die große 
Zahl der Verbände, die sich in ihr zusammengeschlossen 
haben, ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihre große Mit- 
gliederzahl bieten Gewähr dafür, daß die in die Zentral- 
stelle abgeordneten Vertreter den Ausgleich zwischen etwa 
sich widerstreitenden Interessen zu finden wissen werden. 
Aber abgesehen davon ist die mit der Schaffung der Jentral- 
stelle gebotene Möglichkeit, daß die als Aussteller oder 
Einkäufer an den Messen beteiligten Kreise in der Person 
ihrer selbstgewählten Vertreter über wichtige Fragen schnell 
miteinander in Beratung treten und sich Gehör verschaffen 
können, von allergrößter Wichtigkeit. Damit wachsen die 
Messen bis zu einem gewissen Grade aus der obrigkeitlichen 
Verwaltung heraus und treten in die Zeit der Selbst- 
verwaltung ein. 
In dem Kommerzienrat Ph. Nosenthal in Selb fand die 
neue Vereinigung einen ersten Vorsitzenden, der seit der 
Gründung dauernd erwiesen hat, daß er ein Steuermann 
mit klarem Blick, fester Entschlußkraft und kraftvoller 
Hand ist. 
Man arbeitete in Leipzig mit einer, man möchte sagen 
von nationaler Freudigkeit getragenen Fieberhaftigkeit, auf 
diese nächste Kriegoostermesse zu, alles war in Bewegung 
gesetzt, um auch das letzte Hemmnis aus dem Wege zu 
räumen, das den Erfolg der Messe stören und damit die 
Zufriedenheit der Meßgäste hätte unterbinden können. 
Und die Messe fand statt. Die dritte Kriegsmesse, die 
OÖstervormesse 1915. War es auch selbstverständlich, daß 
die Friedensziffern nicht erreicht werden konnten — wie 
viele früihere Meßbesucher hielt doch auch der feldgraue 
Dienst fürs Vaterland zurückl — so war doch gegen die 
letzte Messe, die erste Kriegsmesse im Herbst 1914, ein, 
man möchte sagen glänzender Sieg erfochten worden. Nach 
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den amtlichen Feststellungen betrug die Jahl der Aussteller= 
firmen 2002, und Leipzigs Meßhäuser und Meßstraßen und 
Plätze, die öffentlichen Lokale und abends die Vergnügungs- 
stätten bewiesen, daß auch die Einkäufer in Scharen herbei- 
geeilt waren: waren doch schon am ersten Meßtage 2000 
Meßadreßbücher abgefordert worden! Die Gesamtzahl der 
auswärtigen Besucher belief sich auf 15000 Personen. 
Ohne Sang und Klang, so erzählte ein Berliner Blatt, 
losgelöst von jeder Feierlichkeit, wurde diese Messe er- 
öffnet. Eine nüchterne, selbstbewußte, ernste Stimmung, 
entsprechend der Würde der Stimmung der gewaltigen 
deutschen Zeit, durchwehte den Beginn dieser riesenhaften 
industriellen deutschen Veranstaltung. Mit Genugtuung 
konnte bestätigt werden, daß alle neutralen Länder, auch 
Italien, ihre Einkäufer entsandt hatten, ja mit berechtigtem 
Stolze konnte die Tatsache verzeichnet werden, daß selbst 
englische Firmen erwiesenermaßen durch amerikanische Ein- 
käufer große Bestellungen, besonders in Spielwaren, machen 
ließen. Das lebensvolle Treiben hatte sich nach außen hin 
erweitert, denn nun standen alle Straßen, die sich von 
dem altehrwürdigen Marktplatze und der Meßstraße, dem 
Neumarkte, abzweigen, im Zeichen der Messe, die sich nach 
außen bunt und geräuschvoll zeigte, in ihrem inneren Ge- 
triebe jedoch mit geschäftigem, ruhigen Ernst arbeitete. 
Das Neue dieser Kriegsmesse, das aus den Folgen des 
tobenden Weltkampfes hervorgegangen war, bildete in einer 
der Passagen eine auf einem großen weißen Banner an- 
gebündigte Ausstellung für Ersatz von Waren aus Feindes- 
land. Das war in der Mädler-Passage, „die einst schöner 
Auerbachs Hof hieß“, schöner und erinnerungsreich. Da 
waren neben die feindlichen französischen, englischen und 
japanischen Muster stets die entsprechenden deutschen oder 
österreichischen oder beide gestellt, und wo es nicht gelungen 
war, für die ausländischen Erzeugnisse den gleichwertigen 
und gleichbilligen Ersatz deutschen Fabrikates zu finden, da 
war an das ausländische die Frage angeheftet: Wer liefert 
gleichwertiges Erzeugnis für diese fremdländische Ware? 
Es war ein prächtiger Gedanke, der hier zur Ausführung 
gekommen war, um so wertvoller, weil diese Aussiellung 
zugleich eine Fülle neuer Anregungen für die gesamte deutsche 
Industrie mit sich gebracht hat. Diese neue Musterschau 
sollte aber auch gleichzeitig das nationale Empfinden des 
deutschen Käufers stärken bzw. erwecken. Sie sollte eine 
Übersicht gewähren über Waren, die man vor dem Aus- 
bruch des Krieges aus fremden Ländern bezog, weil das 
kaufende Publikum in der (echt „deutschen“) vorgefaßten 
Meinung lebte, die ausländische Ware sei in irgendeiner 
Beziehung besser und preiswerter als die einheimische 
deutsche. Dabei galt es, an die Zukunft zu denken, für 
die Zukunft erzieherisch zu wirken, dahin zu streben, daß 
nach dem Kriege dem Deutschen deutsches Erzeugnis über 
alles gehe. Kurz gesagt, diese Ausstellung sollte, um iu 
wirken, Waren bringen, die erstens bereits von der ein- 
heimischen Industrie hergestellt und nur infolge eines Vor- 
urteils des Publikums der ausländischen hintangestellt wurden, 
obwohl sie bereits als gleichwertig gelten mußten, zweitens 
die bisher als ausländische Waren in Deutschland verkauft 
wurden, obwohl sie tatsächlich in Deutschland fabrizlert 
wurden und im Auslande nur einen Stempel erhalten 
hatten (11), weil sie dann als fremde Ware bei uns 
besser bezahlt wurden (111), drittens deren Herstellung für 
die deutsche Industrie nicht lohnend scheint, weil der ein- 
heimische Marbt nicht aufnahmefähig sein würde. 
Auch die Neutralen waren mit den befreundeten Bundes- 
genossen, wie schon gesagt, erschienen. Man schätzte sie 
und die amtliche Erhebung bestätigte die Zahl — ins- 
gesamt auf rund 900. Es wären noch mehr gewesen, wenn 
nicht viele Neutrale der Kosten wegen sich zusammen- 
geschlossen haben würden, so daß immer ein Neutraler
	        
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