Daß man solche Erwartungen auch an den Besuch des
Auslandes knüpfen durfte, war wohl ausschließlich dem
Meßausschuß der Handelskammer zu verdanken, der ganz
außergewöhnliche Anstrengungen gemacht hatte, um den
Einkäufern des verbündeten und neutralen Auslandes ein
zutreffendes Bild von der Lage und der ungeschwächten
Leistungofähigkeit der deutschen Industrie, der Bequemlich-
beit des Reisens in Deutschland und den übrigen für sie
in Frage kommenden Verhältmisen zu geben und sie zum
Besuch der Frühjahrsmesse zu veranlassen. Neben der
schier erdrückenden Last, die auf den Beamten des Meß-
ausschusses ruhte, war hier ein so gewaltiges neues Arbeits-
feld geschaffen, daß es der Aufbietung fast übermensch-
licher Kräfte bedurfte, um durchzuhalten: Sachsen in
großer Zeit auch hier! Und das war gegenüber den
ausländischen Meßinteressenten von größter Bedeutung an-
gesichts der Anstrengungen, die man jenseits des Kanals
machte, eine englische Messe in London oder in Birmingham
zu errichten. -
Aber neben dem Rat der Stadt Leipzig (nach Dr. Dittrichs
Ausscheiden unter dem nicht minder messefreundlichen und
messefördernden Oberbürgermeister Dr. Rothe), neben dem
Meßausschuß der Handelskammer, neben dem Verband der
Meßkaufhausinhaber und dem der Aussteller der Leipziger
Engrosmesse wirkte seit kurzer Frist noch. eine Vereinigung:
Die „Zentralstelle für Interessenten der Leipziger Muster-
lagermessen e. V.“, die eine stattliche Zahl der größten
Verbände von Ausstellern und Einkäufern in sich vereinigt
hatte und eine schnelle Erörterung wichtiger Fragen vom
Standpunkte der Meßinteressenten beraten und dabei zu
einheitlichen Beschlüssen gelangen konnte. Dieser Zentral-
stelle entbot das Oberhaupt der Stadt, Oberbürger-
meister Dr. Dittrich, mit folgenden Worten gewissermaßen
den Eingruß: „Was für unsere Messen, je größer sie
wurden, um so nötiger sich erwies, eine Körperschaft, in
der die größten Verbände von Ausstellern und Einkäufern
vereinigt sind, ist in der Zentralstelle geschaffen. Die große
Zahl der Verbände, die sich in ihr zusammengeschlossen
haben, ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihre große Mit-
gliederzahl bieten Gewähr dafür, daß die in die Zentral-
stelle abgeordneten Vertreter den Ausgleich zwischen etwa
sich widerstreitenden Interessen zu finden wissen werden.
Aber abgesehen davon ist die mit der Schaffung der Jentral-
stelle gebotene Möglichkeit, daß die als Aussteller oder
Einkäufer an den Messen beteiligten Kreise in der Person
ihrer selbstgewählten Vertreter über wichtige Fragen schnell
miteinander in Beratung treten und sich Gehör verschaffen
können, von allergrößter Wichtigkeit. Damit wachsen die
Messen bis zu einem gewissen Grade aus der obrigkeitlichen
Verwaltung heraus und treten in die Zeit der Selbst-
verwaltung ein.
In dem Kommerzienrat Ph. Nosenthal in Selb fand die
neue Vereinigung einen ersten Vorsitzenden, der seit der
Gründung dauernd erwiesen hat, daß er ein Steuermann
mit klarem Blick, fester Entschlußkraft und kraftvoller
Hand ist.
Man arbeitete in Leipzig mit einer, man möchte sagen
von nationaler Freudigkeit getragenen Fieberhaftigkeit, auf
diese nächste Kriegoostermesse zu, alles war in Bewegung
gesetzt, um auch das letzte Hemmnis aus dem Wege zu
räumen, das den Erfolg der Messe stören und damit die
Zufriedenheit der Meßgäste hätte unterbinden können.
Und die Messe fand statt. Die dritte Kriegsmesse, die
OÖstervormesse 1915. War es auch selbstverständlich, daß
die Friedensziffern nicht erreicht werden konnten — wie
viele früihere Meßbesucher hielt doch auch der feldgraue
Dienst fürs Vaterland zurückl — so war doch gegen die
letzte Messe, die erste Kriegsmesse im Herbst 1914, ein,
man möchte sagen glänzender Sieg erfochten worden. Nach
415
den amtlichen Feststellungen betrug die Jahl der Aussteller=
firmen 2002, und Leipzigs Meßhäuser und Meßstraßen und
Plätze, die öffentlichen Lokale und abends die Vergnügungs-
stätten bewiesen, daß auch die Einkäufer in Scharen herbei-
geeilt waren: waren doch schon am ersten Meßtage 2000
Meßadreßbücher abgefordert worden! Die Gesamtzahl der
auswärtigen Besucher belief sich auf 15000 Personen.
Ohne Sang und Klang, so erzählte ein Berliner Blatt,
losgelöst von jeder Feierlichkeit, wurde diese Messe er-
öffnet. Eine nüchterne, selbstbewußte, ernste Stimmung,
entsprechend der Würde der Stimmung der gewaltigen
deutschen Zeit, durchwehte den Beginn dieser riesenhaften
industriellen deutschen Veranstaltung. Mit Genugtuung
konnte bestätigt werden, daß alle neutralen Länder, auch
Italien, ihre Einkäufer entsandt hatten, ja mit berechtigtem
Stolze konnte die Tatsache verzeichnet werden, daß selbst
englische Firmen erwiesenermaßen durch amerikanische Ein-
käufer große Bestellungen, besonders in Spielwaren, machen
ließen. Das lebensvolle Treiben hatte sich nach außen hin
erweitert, denn nun standen alle Straßen, die sich von
dem altehrwürdigen Marktplatze und der Meßstraße, dem
Neumarkte, abzweigen, im Zeichen der Messe, die sich nach
außen bunt und geräuschvoll zeigte, in ihrem inneren Ge-
triebe jedoch mit geschäftigem, ruhigen Ernst arbeitete.
Das Neue dieser Kriegsmesse, das aus den Folgen des
tobenden Weltkampfes hervorgegangen war, bildete in einer
der Passagen eine auf einem großen weißen Banner an-
gebündigte Ausstellung für Ersatz von Waren aus Feindes-
land. Das war in der Mädler-Passage, „die einst schöner
Auerbachs Hof hieß“, schöner und erinnerungsreich. Da
waren neben die feindlichen französischen, englischen und
japanischen Muster stets die entsprechenden deutschen oder
österreichischen oder beide gestellt, und wo es nicht gelungen
war, für die ausländischen Erzeugnisse den gleichwertigen
und gleichbilligen Ersatz deutschen Fabrikates zu finden, da
war an das ausländische die Frage angeheftet: Wer liefert
gleichwertiges Erzeugnis für diese fremdländische Ware?
Es war ein prächtiger Gedanke, der hier zur Ausführung
gekommen war, um so wertvoller, weil diese Aussiellung
zugleich eine Fülle neuer Anregungen für die gesamte deutsche
Industrie mit sich gebracht hat. Diese neue Musterschau
sollte aber auch gleichzeitig das nationale Empfinden des
deutschen Käufers stärken bzw. erwecken. Sie sollte eine
Übersicht gewähren über Waren, die man vor dem Aus-
bruch des Krieges aus fremden Ländern bezog, weil das
kaufende Publikum in der (echt „deutschen“) vorgefaßten
Meinung lebte, die ausländische Ware sei in irgendeiner
Beziehung besser und preiswerter als die einheimische
deutsche. Dabei galt es, an die Zukunft zu denken, für
die Zukunft erzieherisch zu wirken, dahin zu streben, daß
nach dem Kriege dem Deutschen deutsches Erzeugnis über
alles gehe. Kurz gesagt, diese Ausstellung sollte, um iu
wirken, Waren bringen, die erstens bereits von der ein-
heimischen Industrie hergestellt und nur infolge eines Vor-
urteils des Publikums der ausländischen hintangestellt wurden,
obwohl sie bereits als gleichwertig gelten mußten, zweitens
die bisher als ausländische Waren in Deutschland verkauft
wurden, obwohl sie tatsächlich in Deutschland fabrizlert
wurden und im Auslande nur einen Stempel erhalten
hatten (11), weil sie dann als fremde Ware bei uns
besser bezahlt wurden (111), drittens deren Herstellung für
die deutsche Industrie nicht lohnend scheint, weil der ein-
heimische Marbt nicht aufnahmefähig sein würde.
Auch die Neutralen waren mit den befreundeten Bundes-
genossen, wie schon gesagt, erschienen. Man schätzte sie
und die amtliche Erhebung bestätigte die Zahl — ins-
gesamt auf rund 900. Es wären noch mehr gewesen, wenn
nicht viele Neutrale der Kosten wegen sich zusammen-
geschlossen haben würden, so daß immer ein Neutraler