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erst und noch nicht in geschlossener Gruppe, der Anregung,
sich der Leipziger Messe zu bedienen, auch schon gefolgt
und haben ihr Erscheinen kaum zu bereuen brauchen. Über
den Anfang haben alle einmal kommen müssen.
Daß Meßamt gab damals selbst eine summarische Über-
sicht über die auf jener Messe neu hinzugekommenen Waren
in folgender, auf Vollständigkeit jedoch nicht Anspruch er-
hebender Liste: Papiergarngetebe und Kleidungsstücke dar-
aus; Spitzen und Stickereien aus Plauen, Leipzig und aus
der Schweiz; Trikotagen; Strumpfwaren; verschiedene
Tertilerzeugnisse; Fasererzeugnisse, Bindfadenersatz usw.;
Lederersatz; Iigarettenersaßz neue Arten von Holzschuhen
und -Sohlen; Strohschuhe; Sohlenschoner; Ersatztreib--
riemen; Ersatzbereifungen; Pumpen; Maschinen für Ge-
schoßberstellung; Zellstoffwaren; Gemüsesamen; kunstge-
werbliche Arbeiten usv. Man seeht, ein großer Zuwachs,
meist unter dem Einfluß des Krieges, seiner Bedürfnisse
und seiner wirtschaftlichen Begleit= und Folgeerscheinungen.
Ein zwischen dieser Herbsi= und der nächsten Frühjahrs-
messe zur Erledigung gekommenes Preivausschreiben des
Meßamtes für ein Leipziger Meßplakat muß, will man als
Meßgeschichtsschreiber keine Unterlassungssünde begehen, er-
wähnt werden. Aber auch nur erwähnt. Denn das Er-
gebnis dieses Ausschreibens war so trostlos, daß selbst über
die preisgekrönten Entwürfe in der Wandelhalle des Neuen
Rathauses, wo die Gesamtzahl der 1138 Entwürfe öffent-
lich ausgestellt war, nur eine Stimme herrschte. und
diese eine war nichts weniger als schmeichelhaft.
Auch bei der zwölften Kriegsmesse (die Neujahrsmesse
immer mit eingerechnet), die am 3. März ihren An-
fang nahm, machte die Jahl der ausstellenden Firmen
einen tüchtigen Sprung nach oben. 3681 Firmen (gegen
25510 auf der Frühjahromesse 1917) waren vertreten. Und
die JZahl der Einkäufer stieg sogar um mehr als 100 00,
nämlich von 27 000 im Frühjahr 1917 auf 60 bool Die
Gesamtzahl der auswärtigen Besucher bezifferte sich auf
75 000, eine Summe, die alles bisher Dagewesene bei
weitem übertraf. Von ausländischen Einkäufern trafen (in
runden Jahlen) ein: gegen 800 ÖOsterreicher und Ungarn,
je 300 aus der Schweiz und aus Holland, 150 aus Däne-
mark, 75 aus Schweden, 60 aus Norivegen, 300 aus
dem besetzten Polen, 120 aus Bulgarien und 40 aus
Luremburg. Im ganzen etwa 2100 Ausländer. Besonders
bervorzuhebende Meßgäste hatten sich auch angemeldet:
die sächsischen Konsuln, das österreichische und das neu-
trale Pressequartier aus Berlin und die neutralen Militär-
attachés.
Abgesehen von der immer mehr und mehr durchdringenden
Erkenntnis des Wertes, den der Besuch der Leipziger
Messen hat und der in ihrem außerordentlich hohen kauf-
männischen Erfolg begründet war, war die Ursache der
Steigerung der Ausstellerzahl in dem vernünftigen Be-
streben der Fabribanten zu suchen, die Propaganda für
den Warenabsatz zu vereinfachen und gleichzeitig erfolgreich
zu gestalten. Dabei mag es in vielen Fällen den Aus-
stellern sogar weniger darauf angekommen sein, sofort, d.b.
schon auf dieser Messe neue Abnehmer zu gewinnen, als
vielmehr erst einmal Beziehungen für die kommende Frie-
denszeit anzuknüpfen. Und der Grund für die ganz außer-
ordentlich starke Erhöhung der Einkäuferzahl war wohl,
wenigstens zum Teil, darin zu suchen, daß die Beschaffung
von Ware damals weit schwieriger war, als unter nor-
malen Verhältnissen. Daß bei solchem vorübergehenden
Bevölkerungszuwachs Leipzigs die Wohnungefrage zu-
friedenstellend gelöst wurde, ist ein Orgamisationomeister-
stück des Meßamtes gewesen, und man wunderte sich gar
nicht, wenn man hörte, daß die Meßbesucher, ein weiteres
Steigen des Zustromes voraussehend, schon für die nächste
Messe Unterkunft vorausbestellten, so daß die Hotels im
voraus völlig „ausverkauft“ waren. Obdachlose gab es
nicht, und wo hier und da Unzufriedene waren, lag's fast
ausschließlich am Abmieter und seinen unbilligen An-
sprüchen, denn die Leipziger Vermieter — man sagt nicht
zuviel — hätschelten ihre Meßgäste. —
Im allgemeinen verlief diese Messe, in vergrößertem Maß-
stabe natürlich, wie die vorherigen d. h. in zufriedenstellendster
Weise. Warenmangel machte sich nur selten in einzelnen
Branchen bemerkbar. Wiederum bildeten die Preissteigerungen
kein Hindernis für den guten, zum Teil glänzenden Absatz, und
die ausländischen Einkäufer durften sich für das ihnen
vielfach bezeigte Entgegenkommen und ihre Bevorzugung nur
bedanken, die soweit ging, daß gewisse Artikel fast aus-
schließlich fürs Ausland in Arbeit genommen worden sein
sollen, wie z. B. Musikinstrumente. Unter der deutschen
Inlandskundschaft war nicht nur wie ummer der Groß-=
handel vertreten, sondern auch der Kleinhandel hatte sich
dieses Mal in nicht gewöhnlicher Zahl zusammengefunden.
Ganz besonders zahlreich aber hatten die Waren= und
Kaufhäuser ihre Einkäufer geschickt, ebenso eine stattliche
Reihe von Spezialgeschäften. Die immer vielseitiger wer-
dende Auslese von Warengattungen, die reiche und gut
sortierte Bemusterung der letzten Messen bonnte diese Folge
mit Sicherheit erwarten lassen. Für viele Geschäftszweige
galt, was die Sonneberger Spielwarenindustrie für sich be
richten konnte, „daß der Warenhunger und das Angebot
in Ersatzmitteln aller erdenklichen Arten größer war als je.
Entgegen früher, wo die Kauflust erst am Montag nach
dem Sonntagbeginn der Messe einsetzte, haben wir z. B.
bereits bis zum Freitag vorhergender Woche soviel verkauft,
wie sonst während der ganzen Messe. Man konnte nicht
so schnell bedienen, wie die Kundschaft kaufen wollte, und
dabei wurde neue Kundschaft überhaupt nicht mehr an-
genommen.“ Ganz erfreulich war es, zu beobachten, daß
die Bedeutung des nur beste Qualitätsware erstrebenden
Kunstgewerbes auch auf dieser Messe gewonnen hatte. Für
den Erfolg der Messe, so wurde mehrfach behauptet, hatte
nicht allein auch das prächtige stimmungmachende Meß-
wetter mit seinem goldenen Sonnenschein gewirkt, sondern
auch der Friedensschluß mit Rußland. Ob die recht hatten,
die dies betonten — es wird sich unter den jetzt herrschenden
Verhältnissen kaum noch feststelllen lassen.
Neu war auch die „Verpackungsmittelmesse“, eine Sonder-
meßveranstaltung der Fachzeitschrift „Verpackungemateria-
lienmarkt“", im Meßpalast „Hansa“. Hatte schon die
Kriegszeit mit ihrem ungeheuren Frontbedarf erwiesen, wie
wichtig die Verpackungemittelfrage ist, so galt es, sich auch
für die Friedenswirtschaft und für das Weederaufleben
von Versand und Export vorzubereiten, wozu die Ver-
packungsmittelmesse als Zentralstelle für Hersteller und
Abnehmer der einschlägigen Artikel die Vermittlerin dar-
stellen sollte. Sie hat sich auf jeder folgenden Messe immer
mehr bewährt.
Wir hatten in Sachsen wieder einmal einen vollen deut-
schen Messesieg errungen!
Diese Frühjahrsmesse hatte auch die ersten Anfänge einer
technischen Messe gebracht, wie sie künftig als Unterabtei-
lung der allgemeinen Leipziger Mustermesse regelmäßig
wiederkehrend gedacht war. Es zeigte sich schon geraume
Jeit, daß gewisse Zweige der Industrie und des Handels eine
zusammenfassendere Darbietung auf den Messen erhalten
mußten, als dies der Fall war, eine räumlich geschlossenere
Vereinigung von Waren, die unbedingt zusammengehören,
für deren Interessenten und Käufer die Zerstreuung in
den einzelnen, doch mehr oder minder weit auseinander-
liegenden Meßhäusern einen Zeitverlust mit sich brachte, der
bei der Kürze der Mesdauer schwer ins Gewicht fiel. Im
Laufe des Krieges hat sich das besonders deutlich gezeigt.
Die Sachlage drängte für eine ganze Reihe von Waren-