Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Die Umwälzung in Sachsen nach dem Kriege 
Von Dr. Herbert Schönebaum 
Vorwort 
Die folgenden Ausführungen geben eine objektioe partei- 
lose Darstellung der Entwicklung der Verhältnisse seit Ok- 
tober lols. Der kolossale Umschwung, verbunden mit der 
Liquidation des Krieges, schuf auch in Sachsen eine völlig 
veränderte Lage. Es ist versucht worden, aus dem Wust un- 
sicheren Tastens und Versuchens das Wichtigste herauszu- 
greifen. Gern wäre der Verfasser auch noch interessanten 
Einzelheiten nachgegangen. Er mußte sich dies versagen, 
da das vollständige Quellenmaterial naturgemäß gesperrt 
ist. Die Darstellung reicht mit zulänglicher Vollständigkeit 
bis zur Verabschiedung der vorläufigen Verfassung durch die 
Volkskammer, womit im großen die Umwälzung vorüber 
ist. Spätere Maßnahmen der Regierung und Volbskammer 
sind am Schluß tabellarisch zusammengestellt. Möge diese 
erste geschichtliche Darstellung der Revolutionszeit einiger- 
maßen Klarheit über die Entwicklung der Dinge bringen. 
Abkürzungen 
Staatszeitung = Sächsische Staatszeitung (die Nummern 
des Jahres 1919 erhalten?, sonst ist immer 1018 gemeint). 
Mitt. l. (II.) Kammer —= Mitteilungen über die Verhand- 
lungen des ordentlichen Landtags im Königreich Sachsen 
während der Jahre 1917—1918, I. und II. Kammer. 
Verh. d. Volkskammer — Verhandlungen der Volks- 
kammer. · 
Verichteusw.-Berichkeder11.Kammer(Volkskammer). 
Vorlagen usw. — Vorlagen der Regierung an die Volks- 
kammer. 
I. Die Luspitzung der Lage im Oktober 1018 
Die unglaublichen Anstrengungen eines Krieges von nie 
gekannter Härte und Schärfe, die dauernden Entbehrungen 
eines durch Blockade eingeschlossenen hungernden Volkes, 
die durch den langen Krieg mit Folgerichtigkeit eingetretenen 
wirtschaftlichen Gegensätze hatten im deutschen Volke eine 
seelische Erschütterung gezeitigt, die sich im Fühlen und 
Wollen der Menschen an allen Stellen zeigte. Der schwache 
geplagte Körper beherbergte keine gesunden Nerven mehr. 
Diese Lage war seit langem in Unverantwortlichkeit von 
radikalen Agitatoren ausgenutzt worden, die in zielbewußter 
Arbeit daheim und an der Front die Gegensätze vergrößer- 
ten. Das Treiben dieser Leute war nicht unbekannt geblieben, 
zu schwach waren die Mittel ihm entgegenzutreten, zumal 
durch die Erschöpfung wirtschaftlicher Quellen die Zufuhr 
an Munition und Verpflegung für die Front nicht mehr 
ausreichte und der Truppenersatz körperlich wie seelisch 
ganz besonders an Güte nachließ. Die Front wankte seit 
Juli 1918, und nirgends gab es mehr Halt. Zwar stand 
das Heer noch in Feindesland, und die Gegenwehr war an 
einzelnen Frontteilen oft recht beachtlich, aber im ganzen 
konnten die wenigen erfreulichen Anzeichen eines zähen 
Willens den Sturz nicht aufhalten. Noch schlimmer stand 
es bei unsern Bundesgenossen. Bulgaren und Türken, die 
österreichischen Völker waren noch briegsmüder als wir. 
Sie warfen die Waffen zeitiger weg, und an allen Fronten 
kamen die deutschen Truppen in schwere Gefahren. Die 
Oberste Heeresleitung wollte noch zuletzt die Dinge durch 
den Ruf nach nationaler Verteidigung aufhalten. Zu mäch- 
tig war die Konsequenz geringer Willensstärke, und so muß- 
ten auch wir zu dem folgenschweren Schritt eines Waffen- 
stillstandsangebotes schreiten. Diese Tat gab der wartenden 
Heimat den letzten Stoß. Jeder wußte, daß damit der 
Krieg verloren war. Politisch zeigten sich die Folgen mit 
einem Schlage. Das alte System war untergraben. Ein 
kaiserliches Deutschland hatte es nicht vermocht, seine Ziele 
zu erreichen. Die Führer des Volkes waren damit kompro- 
mittiert, und der Ruf nach Neuorientierung war zu 
laut und offen, zu zwingend, als daß man ihn verhallen 
lassen durfte. Die Berufung des Prinzen Maxr von Baden 
zum Reichskanzler, die Entlassung Ludendorffs sind Mark- 
steine im Geschehen. Das eine bezeichnete die Neuorientie- 
rung, das andere bedeutete den Untergang des mili- 
tärischen Systems. Die Parlamentarisierung der Re- 
gierung, die Versprechen von kaiserlicher Seite her schufen 
wohl eine geringe Befriedigung für die, die noch etwas 
Nerven behalten hatten. Im ganzen aber lag eine schwere, 
fürchterliche Stimmung der Bangigkeit und Ungewißheit 
auf dem deutschen Volke. Voller Spannung wurde jeder 
Tag erwoartet, der neues Unheil bringen konnte. 
Wie im Reich, so auch in den Bundesstaaten schallte 
der Ruf nach Neuorientierung. In Sachsen wurde von 
seiten der Krone die Lage klar erkannt. König Friedrich 
August rief am 2. Oktober das Gesamtministerium 
zu einer Sitzung zusammen, ohne daß bekanntgegeben 
wurde, was der Gegenstand der Beratung sein sollte 
(Staatszeitung 230). Aber sicher ist, daß in dieser Sitzung 
die ersten Fühler zur Neuorientierung ausgestreckt wurden, 
zumal auch der Kronprinz alo zukünftiger Herrscher bei der 
Sitzung zugegen war. In neuer Beratung am H. Oktober 
wurde beschlossen, den ordentlichen Landtag auf den 28. Ok- 
tober einzuberufen, und das Ministerium des Innern be- 
auftragt, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, wonach das 
bestehende Landtagswahlrecht durch ein solches 
auf breiter Grundlage ersetzt werden sollte 
(Staatszeitung 236). Die Sitzungen wiederholten sich am 
17. und 22. Oktober (Staatszeitung 243, 247). In der 
letzteren wurde schon über die künftige Gestaltung der Re- 
gierung gesprochen. Der König behielt sich weitere Ent- 
schließung vor. Die nächsten Tage müssen die Entscheidung 
gebracht haben. Das Ministerium des Innern war mit 
einem Programm der Neuorientierung beauftragt worden. 
Diesem Programm vermochten die Staatsminister Beck und 
v. Seydewitz sich nicht anzuschließen. Sie baten darum, 
von ihren Amtern enthoben zu werden. Mit Handschreiben 
des Königs wurden sie entlassen (Staatszeitung 250). Die 
Durchführung der Neuorientierung begann Staatominister 
Vitzthum v. Eckstädt, der die Vertreter und Führer 
der Mehrheitsparteien zu einer Sitzung zusam- 
menrief. Der Direktor der ersten Abteilung des Ministe- 
riums des Innern Dr. Schmitt nahm an den Besprechungen 
teil, zu denen Landtagspräsident Dr. Vogel, die Abgeordneten 
Dr. Niethammer, Dr. Seyfert, „Nitzschke-Leutzsch von der 
nationalliberalen Partei, Günther und Brodauf von der 
fortschrittlichen Volkspartei, Fräßdorf und Heldt von der 
sozialdemobratischen Partei hinzugezogen waren. Es wurde 
über die Bildung eines Staatorats verhandelt, der über 
neuzubildende Ministerien (Arbeits-, Verkehrsministerium) 
und über die Abtrennung des Unterrichtsministeriums vom 
Kultusministerium Beschluß fassen sollte. Der Staatsrat 
sollte noch vor dem Landtag zusammentreten (Staatszeitung 
250). Die Parteiführer nahmen darauf Fühlung mit ihren 
Parteien und verlangten in einer weiteren Sitzung Re- 
form der ersten Kammer, allgemeines, direk-
	        
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