Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

430 
Hinsicht etwas geschehen muß. An dem gegenwärtigen Sy— 
stem der Zwangswirtschaft für unentbehrliche Lebensmittel 
muß zunächst noch festgehalten werden. Der allmähliche 
Abbau läßt sich erst ins Auge fassen, sobald der Vorrat an 
Nahrungsmitteln den freien Verkehr wieder ermöglicht. 
Die Maßnahmen zur Milderung der bereits be- 
stehenden und vieler Orten noch drohenden Wohnungs- 
knappheit werden mit Nachdruck gefördert werden. Die 
Hauptsache bleibt, daß die Möglichkeit, ohne Verlust zu 
bauen, durch öffentliche Zuschüsse geschaffen wird. Die Be- 
teiligung des Reichs hieran wird hoffentlich in allernächster 
Feit sichergestellt werden; für die Beteiligung des Staates 
werden die Mittel im Nachtrag zum außerordentlichen Staats- 
haushaltplan 1918/19 angefordert werden. Die Mitarbeit 
der Gemeinden und nicht zuletzt auch der Industrie wird 
bestimmt erwartet. Auch bei der Bereitstellung von Land 
wird der Staat dort, wo er solches besitzt, im Bedarfsfalle 
seinen Beistand nicht versagen. Für die Beschaffung der 
Baustoffe ist die Beschaffung der Kohlen für die be- 
teiligten Hilfsindustrien von größter Bedeutung. Freilich, 
meine Herren, wollen wir uns nicht verbehlen: völlig zu 
beheben wird der Wohnungsmangel nicht so bald sein. Die 
Wohnungen, die in den vier Kriegsjahren zu bauen gewesen 
wären und die nicht gebaut werden konnten, in zwei oder 
drei Monaten zu errichten, liegt in keines Menschen Macht. 
Da werden vorläufige Behelfe eintreten, und da wird die 
Einsicht und Geduld, die unser schwergeprüftes Volk wäh- 
rend der Kriegsjahre so oft gezeigt hat, ihr Ubriges tun 
müssen. 
Fast unabsehbar ist die Fülle der Aufgaben, die sich 
auf dem Gebiete der inneren Verwaltung dar- 
bieten, und die gewöhnlich unter dem Wort Verwaltungs= 
reform zusammengefaßt werden. Die Schwierigkeit liegt 
zum Teil darin, daß diese Probleme unter sich vielfach zu- 
sammenhängen; es sei nur an die Behördenorganisation, die 
Dezentralisation der aufsichtsbehördlichen Entschließungen, 
die Einschränkung der Gemeindeaufsicht, das Staats= und 
Geineindebeamtenrecht, die ÜUberprüfung der Gemeindeord- 
nungen, die Rechtsverhältnisse der Bezirbsverbände, die Ar- 
mengesetzgebung erinnert. Die neue Regierung ist bereit 
und gewillt, an die Lösung dieser Fragen im Sinne einer 
freiheitlichen, vom vollen Vertrauen des Staates getragenen 
Weiterentwicklung der Selbstverwaltung heranzutreten, und 
wird die Vorarbeiten ungesaumt in Angriff nehmen. Aber 
sie macht schon heute auf zweierlei aufmerksam: einmal, 
dass man mit der Herausnahme einzelner Fragen sehr vor- 
sichtig sein muß (Sehr richtigl), wenn man nicht haltloses 
Stückwerk fertigen will (Sehr richtig!), und daß man daher 
zunächst einen großen Grundplan haben muß (Sehr rich- 
tig!); und zum andern, daß die Selbstverwaltungskörper 
einen billigen Anspruch darauf haben, bei der Vorbereitung 
von Vorlagen, die in ihre Rechtsbeziehungen eingreifen und 
für ihre Entwicklung von großer Bedeutung sind, wie ihrem 
Gutachten gehört zu werden. (Sehr richtig!) 
Bei der Größe der Probleme wird selbstverständlich nur 
eins nach dem andern in Behandlung genommen werden 
können. Zunächst gedenkt die Regierung — nach Verabschie- 
dung des Landtagswahlrechts und nach vorgängigem Ein- 
vernehmen mit den Gemeinden an eine Reform des 
Gemeindewahlrechts in freiheitlichem Sinne 
heranzutreten. Die vieler Orten bestehenden, auf der Ein- 
kommensteuer aufgebauten Klassenwahlrechte, die den Ein- 
fluß der kleineren Steuerzahler auf die Gemeindeverwaltung 
empfindlich verk#rzen, entsprechen dem heutigen Rechts- 
gefühl nicht mehr und müssen durch ein gerechteres Wahl- 
system ersetzt werden, Bevorrechtigungen einzelner Gruppen 
müssen fallen. Das sogenannte Hausbesitzerprivileg ist min- 
destens in den größeren Städten des Landes nicht mehr 
innerlich begründet (Sehr richtig!), in den bleineren Städten 
aber zum wenigsten ganz bedeutend einzuschränken. Das 
Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden auf dem Gebiete 
des Wahlrechts soll wie überall nach Möglichkeit geschont 
werden; aber seine Einschränkung ist hier, wie die bisherige 
Entwicklung gezeigt hat, nicht zu vermeiden. 
Außer einer Reform der inneren Verwaltung ist eine 
durchgreifende Reform des Volksschulwesens 
in Aussicht genommen. 
Daß die Sorge der Regierung nach wie vor der Univer- 
sität Leipzig gelten wird, bedarf kaum besonderer Er- 
wähnung. Die Regierung ist sich in vollem Maße bewußt, 
was die Universität für Sachsen und Deutschland bedeutet, 
und mit welchen Schwierigbeiten ihr Lehrkörper im Kriege 
zu kämpfen hat. 
Eine bedauerliche und in das Volksleben tief eingreifende 
Folgeerscheinung des Krieges ist die gewaltige Stei- 
gerung der Preise für alle Gegenstände des Verbrauchs 
und Lebensbedarfs, vor allem für die Lebensmittel. Bedauer- 
lich ist diese Erscheinung für die Einzelwirtschaften der Ver- 
braucher, von denen eine große Anzahl mit den zur Ver- 
fügung stehenden Einnahmen den erhöhten Lebensaufwand 
kaum noch notdürftig zu bestreiten imstande ist, beklagens- 
wert nicht minder für alle Gemeinwirtschaften, deren Auf- 
wand dadurch unverhältnismäßig anwächst, beklagenswert 
für unsere ganze Volkswirtschaft. Wenn unserem Volke 
das Durchhalten unter diesen schwierigen und drückenden 
Verhältnissen vermöge seines Opfersinnes und seines ent- 
sagungsvollen Sichschickens in Unvermeidliches gelungen 
ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß ihm dieses Durch- 
halten in hohem Maße erschwert worden ist durch die Tat- 
sache, daß manche Kreise es verstanden haben, in selbst- 
süchtiger Wahrnehmung des eigenen Vorteils aus der Not 
der Volksgenossen eine Einnahmequelle zu machen (Zurufe 
links: Leider!) und die wirtschaftliche Lage zur Erzielung 
reicher Gewinne auszunutzen. Das allseitig hervortretende 
Verlangen nach einer besonders wirkungsvollen steuer- 
lichen Erfassung solcher Kriegsgewinne ist des- 
halb verständlich und berechtigt. Durch das Kriegssteuer- 
gesetz vom 21. Juni 1916 und neuerdings durch das Gesetz 
über eine außerordentliche Kriegsabgabe für das Rechnungs- 
jahr lols hat das Reich bereits Schritte in dieser Richtung 
unternommen. Trotz der in diesen Gesetzen vorgesehenen 
hohen Steuersätze und der sehr beachtlichen Erträge, die sie 
geliefert haben und noch liefern werden, können die gesetz- 
geberischen Maßnahmen zu einer dem Volksempfinden ent- 
sprechend scharfen steuerlichen Erfassung der Kriegsgewinne 
noch nicht als abgeschlossen gelten. (Sehr richtig! links.) 
Die Regierung wird es als ihre Aufgabe betrachten, weitere 
gesetzgeberische Maßnahmen des Reiches in dieser Richtung 
in jeder Weise zu fördern und ihnen zur wirksamen Durch- 
fübrung zu verhelfen. (Bravo! in der Mitte und links.) 
Schließlich wende ich mich zu den Fragen der Beam- 
tenpolitik. Für eine gedeihliche Betätigung des Staates 
kommt es in unserer Zeit mehr denn je auf die persönliche 
Tüchtigkeit der Beamten an. (Sehr richtig!) Aber auch 
der Tüchtigste kann sich auf die Dauer nur bewähren, wenn 
ihm der Staat eine gesicherte Exristenz gewährleistet. Gerade 
nach dem Kriege werden wir zur Erfüllung der gewaltigen 
Aufgaben, die uns bevorstehen, und ein hoch gqualifiziertes, 
freudig und intensiv arbeitendes Staatsbeamtentum sichern 
müssen (Bravol in der Mitte), das sich aus den Leistungs- 
fähigsten aller Kreise rekrutiert. Ein Beamtenstand, den 
in allen seinen Gliedern eine echte Staatsgesinnung, eine 
unwandelbare Staatstreue beseelt, ist eine Staatsnotwendig- 
keit. 
Es wird deshalb eine der wichtigsten Sorgen der Staats- 
regierung sein müssen, die Lage unserer in Krieg und Frieden 
gleich ausgezeichnet bewährten Beamtenschaft so zu ge- 
stalten, daß ihr bisheriges Ansehen, ihre moralische Unan=
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.