Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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dabei aber die zum Wohl des Landes etwa gebotene Fort- 
führung der Geschäfte anheimgestellt. Er hat weiter alle 
Offiziere und Beamte, Geistliche und Lehrer des ihm ge- 
leisteten Treueids entbunden und dem Wunsch Auedruck 
gegeben, daß auch sie der veränderten Regierungsform un- 
geachtet fortfahren möchten, dem Vaterlande mit all ihren 
Kräften zu dienen. 
Im Interesse der öffentlichen Ordnung, deren Versagen 
unnennbares Elend nach sich ziehen müßte, sind wir an un- 
serem Teil bereit, die uns anvertrauten Ministerien weiter 
zu verwalten, insoweit und solange uns dazu die Möglichkeit 
bleibt. Aber auch für den Fall unseres endgültigen Aus- 
scheidens bitten wir alle, die im Dienste des Heeres, im 
unmittelbaren oder mittelbaren Dienst von Staat und Ge- 
meinde, Kirche und Schule stehen, auf ihrem Posten aus- 
zuharren und ihre Berufspflichten auch fernerhin mit aller 
Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Die Sicherung und För- 
derung des Gemeinwohls sei nach wie vor und in den schweren 
Wochen und Jahren, die unser warten, mehr denn je Richt- 
schnur für unser Tun und Lassen. 
Die Minister der Justiz und der auswärtigen An- 
gelegenheiten, des Kriegs, der Finanzen, des Innern 
und des Kultus und öffentlichen Unterrichts: 
Dr. Heinze, v. Wilödorf, Dr. Schroeder, 
Dr. Koch, v. Nostitz-Wallwitz. 
Nunmehr dachte man daran, in das Chaos des Um- 
sturzes Ordnung zu bringen. Noch gab es keine Landes= 
behörde. Die örtlichen Arbeiter= und Soldatenräte handel- 
ten sehr willkürlich, zum Teil gewalttätig und terrorisierend 
und setzten langverdiente, ihnen aber nicht genehme Beamte 
ab, so daß von der anscheinend noch einzig funktionierenden 
Stelle des Ministeriums des Innern sehr scharf dagegen 
Einspruch erhoben wurde. Die drei großen Arbeiter- 
und Soldatenräte von Dreöden, Leipzig und 
Chemnitz glaubten indes nicht das Land solange im un- 
sicheren Zustand lassen zu dürfen. Beauftragte von den 
drei Räten fanden sich zusammen und erließen den ersten 
Aufruf, der so blang, als ginge er von einer neuen Regie- 
rung aus (Staatszeitung 267); 
Das kapitalistische System hat seinen Zusammenbruch er- 
lebt. Die bürgerliche monarchische Regierung ist gestürzt. 
Das revolutionäre Proletariat hat die öffentliche Gewalt 
übernommen. Sein ziel ist die sozialistische Republik. Ver- 
wirblichung des Sozialismus heißt: Verwandlung der kapi- 
talistischen Produktion in gesellschaftliche; Enteignung des 
Privateigentums an Grund und Boden, Berg= und Hütten- 
werken, Rohstoffen, Banken, Maschinen, Verkehrsmitteln 
usw.; Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische; 
Übernahme der Produktion durch das Proletariat. Aufgabe 
der sozialistischen Regierung ist, die Revolution fortzusetzen 
und zu steigern bis zur völligen Uberwindung der herrschen- 
den bürgerlichen Klassen. Verwirklichung der Republik heißt 
absolute Herrschaft des Willens der Arbeiterklasse, Beseiti- 
gung der Knechtschaft in jeder Form, allgemeine Volks- 
bewaffnung zum Schutze der Errungenschaft der Revolu- 
tion, Abschaffung aller Arten des arbeitslosen Einkommens, 
Trennung der Kirche vom Staat, Abschaffung aller bürger- 
lichen Gerichte. Die republikanische Regierung Sachsens hat 
die besondere Aufgabe, die Liquidierung des sächsischen 
Staates herbeizuführen und die einheitliche sogialistische 
deutsche Republik zur Tatsache zu machen. 
Die Beauftragten der Arbeiter= und Soldatenräte von 
Dreoden, Leipzig und Chemnitz: 
Schwarz, Neuring, Fleißner, Rühle, Geyer, Lipinski, 
Seger, Heckert, Mälzer, Fellisch. 
Sehr erpicht waren diese Auserwählten die noch nicht 
firierten, aber doch im Wunsche vorhandenen Errungen- 
schaften der jungen Revolution zu sichern. Um in das 
zurückflutende Heer nicht vollends die Auflösung und Diszi- 
plinlosigkeit zu bringen, hatte die Reichsregierung angeord- 
net, daß das Vorgesetztenverhältnis im Heere bleiben sollte 
und die Soldatenräte nur beratende Stimme hätten. In 
Sachsen an der maßgebenden Stelle war man entrüstet über 
den Erlaß und veröffentlichte sofort einen geharnischten 
Protest dagegen, zugleich die erste Auflehnung gegen 
dar Reich und der erste Befreiungsversuch von der 
Politik der eben gebildeten Neichsregierung (Staatszeitung 
267), trotzdem im eben zitierten Aufruf der Reichsgedanke 
stark im Vordergrund stand: 
Gegen die von der Reichsregierung getroffenen Bestim- 
mungen über die Heereedisziplin, wonach das Vorgesetzten- 
verhältnis des Offiziers zu den Mannschaften bestehen bleibt 
und die Soldatenräte nur beratende Stimme bei Fragen der 
Verpflegung, des Urlaubs und der Verhängung von Diszi- 
plinarstrafen haben sollen, protestieren wir auf das ent- 
schiedenste, weil wir darin eine Preisgabe wichtiger revo- 
lutionärer Errungenschaften zum Nachteil des Proletariats 
sehen. Wir fordern die Reichsregierung auf, jene Bestim- 
mungen sofort aufzuheben und zu veranlassen, daß die Ar- 
beiter= und Soldatenräte die Bestimmenden auch in dieser 
Frage sind. # 
Die Vertreter der Arbeiter= und Soldatenräte von 
Leipzig, Dresden und Chemnitz. 
Die Reichsregierung antwortete darauf in einem Tele- 
gramm, daß jeder Eingriff der Arbeiter= und Soldatenräte 
in den Verwaltungsbetrieb bei der Demobilisation zu unter- 
lassen, jede tätige Mitarbeit sehr erwünscht sei (Staats- 
zeitung 270). 
Die Verhandlungen der von den drei Arbeiter= und Sol- 
datenräten ernannten Bevollmächtigten waren inzwischen 
soweit gediehen, daß von seiten der revolutionären Arbeiter- 
schaft die Regierung übernommen werden konnte. Damit er- 
ledigte sich die Bereitwilligkeit der alten Minister, die Geschäfte 
weiterzuführen. Sie traten nun endgültig zurück und eine 
neue Regierung, deren Mitglieder sich den Namen Volbs- 
beauftragte gaben, konstituierte sich. Sie setzte sich aus 
den Mehrheitssozialisten Dbr. Gradnauer (Justiz), Buck 
(Kultus und Unterricht), Schwarz (Arbeitsministerium) 
und den Unabhängigen Lipinski (Inneres und Außeres), 
Geper (Finanzen), Fleißner (Militärwesen) zusammen. 
Mit zwei großen Bekanntmachungen wandte sich diese ge- 
mischt-sozialistische Regierung an die Offentlichkeit, denn ihr 
lag unendlich viel daran, daß die Diensigeschäfte ordnungs- 
gemäß weitergeführt wurden, daß die Arbeiter= und Sol- 
datenräte in ihrer Tätigkeit festgelegt waren, daß wichtige 
sozialistische Grundsätze sofort zur Durchführung kamen 
(Gesetz= und Verordnungsblatt 1918, Seite 361 f.): 
Die Übernahme der Geschäfte durch die neue Regierung 
hat eine Anderung der Zuständigkeit der behördlichen Orga- 
nisation zunächst nicht zur Folge. Insbesondere bleibt die 
bestehende Über= und Unterordnung der Behörden bis auf 
weiteres unberührt. Die nachgeordneten Behörden erhalten 
bindende Verfügungen ausschließlich von den zuständigen 
Ministerien. Ortliche Arbeiter= und Soldatenräte haben keine 
Befugnis, den Behörden Befehle zu erteilen, die mit den 
Verordnungen der vorgesetzten Behörde in Widerspruch 
stehen. 
Über die Befugnisse der örtlichen Arbeiter= und Soldaten- 
räte wird eine für die nächste Woche in Aussicht genommene 
Versammlung entscheiden, zu der Abgeordnete der Arbeiter- 
und Soldatenräte des ganzen Landes zusammentreten. Bis 
dahin beschränkt sich die Arbeit der Arbeiter= und Soldaten- 
räte auf die Kontrolle der einzelnen Verwaltungsbehörden bei 
der Durchführung der von der Zentralbehörde erhaltenen
	        
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