Verordnungen. Ihre Vertreter sind daher bei allen wich-
tigeren Verhandlungen zuzuziehen. Die Form wird sich bei
gemeinsamer Zusammenarbeit leicht finden lassen. Das
Ziel ist unbedingtes Fernhalten jeder Störung der öffent-
lichen Ordnung und Sicherheit. Zu allen Sitzungen der
Bezirksausschüsse sind Vertreter des Arbeiter= und Sol-
datenrates zuzuziehen, der für den Ort des Sitzes der Be-
hörden zuständig ist. Es ist erwünscht, daß bei jeder Kreis-
und Amtshauptmannschaft ein Vertreter des örtlichen zu-
ständigen Arbeiter= und Soldatenrates ständig als Kon-
trollorgan betätigt ist.
Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, die Rechtsgültig=
keit der Beschlüsse gegenüber den ordentlichen Gerichten
und den Verwaltunggerichten sicherzustellen, ist in jedem
Falle bis zum Erlaß weiterer Gesetze festzustellen, daß die
Beschlüsse in der von dem geltenden Gesetz vorgeschriebenen
Form zustande gekommen sind. Eine Zuziehung von Vertretern
der Arbeiter= und Soldatenräte zu den Sitzungen der Kreis-
ausschüsse erscheint nicht als erforderlich. Die Vertreter
der Arbeiter= und Soldatenräte haben für die Teilnahme
an den Sitzungen Anspruch auf Vergütung. Dieselbe beträgt
für die Stunde zwei Mark bis zum Hoöchstbetrage von
15 Mark für den Tag. Eine Verfügung über die Kassen
der staatlichen Behörden und Gemeinden steht den Arbeiter-
und Soldatenräten nicht zu.
In den Anschriften, Unterschriften, Schriftköpfen usw.
hat die Bezeichnung der Behörden als „Königlich“ zu un-
terbleiben. In den Vordrucken ist sie zu streichen. Statt
Königreich Sachsen ist zu setzen Republik Sachsen. Vor-
handene Siegel, Stempel, Verschlußmarken mit dem säch-
sischen Wappen und der Bezeichnung Königreich Sachsen,
Königliche Kreishauptmannschaft usw. sind vorläufig weiter
zu verwenden, soweit nicht die alte Bezeichnung z. B. an
Gummistempeln usw. leicht geändert werden kann.
Anträge auf Verleihungen von Uiteln und tragbaren
Ehrenzeichen, auch des Feuerwehrabzeichens und der Lebens-
rettungomedaille, haben zu unterbleiben. Solche Verleihungen
sind abgeschafft.
Alle Behörden und Beamten werden erneut aufgefordert,
ihre amtliche Tätigkeit zur Aufrechterhaltung geordneter Ver-
hältnisse weiterzuführen, wogegen ihnen ihre gesetzlichen An-
sprüche unverkürzt gewahrt bleiben. Die politische Ge-
sinnung und Betätigung ist für die Beamten frei. Ein Ge-
wissenszwang wird nicht ausgeübt werden. Insbesondere
sind keine ehrenwörtlichen Erblärungen über Betätigung
einer bestimmten politischen Gesinnung zu fordern, doch
wird twegen passiven Widerstand im Amte sowie gegen jede
Tätigkeit oder Versuche von Beamten, die Ergebnisse der
Revolution gewaltsam zu beseitigen, unnachsichtlich einge-
schritten.
Dresden, den 16. November 1918.
Das Gesamtministerium:
Lipinski, Geyer, Dr. Gradnauer, Schwarz,
Buck, Fleißner.
Um nun gewissermaßen mit einem Programm vor das
Volk zu treten, erließ die neue sächsische Negierung am
18. November folgenden Aufruf, der als Beginn
einer neuen Regierungsepoche zu gelten hat (Gesetz-
und Verordnungsblatt 1918, Seite 364 ff.):
Das imperialistisch-militaristische System ist unter den
Wirkungen des völkermordenden und kulturvernichtenden
Weltbrieges zusammengebrochen. Ein neues Zeitalter ist im
Werden, indem sich der Übergang von der kapitalistischen in
die soziale Gesellschaftsordnung vollzieht. Die Monarchie
ist beseitigt. Die öffentliche Gewalt ist in die Hand der Ar-
beiterklasse übergegangen. Die Aufgabe der neuen Regie-
rung geht dahin, das Land über die großen Schwierigkeiten
der gegenwärtigen Lage hinwegzuführen, die demokratischen
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Errungenschaften sicherzustellen und wirtschaftliche Umge-
staltungen nach sozialistischen Grundsätzen zu verwirklichen.
Die Arbeiterklasse braucht nicht nur politische Rechte, son-
dern ebenso die Befreiung aus ökonomischer Bedrückung,
die in vollem Umfang nur der Sozialismus bringen kann.
Die neue sächsische Regierung erstrebt die Beseitigung der
veralteten bundesstaatlichen Verfassung und die Einordnung
Sachsens in die einheitliche großdeutsche Volksrepublik, an
die auch Deutschösterreich seinen Anschluß vollziehen möge.
Den einzelnen Teilgebieten des neuen Großdeutschlands soll
weitgehende Selbstverwaltung und Schutz der Kulturinter-
essen gesichert werden.
Die Regierung will in Ubereinstimmung mit der neuen
Reichsleitung wirken. Sofern Anordnungen der Reichs-
leitung nicht unseren Beifall finden, werden wir unsere
Auffassung dagegen geltend machen. Die von der Reichs-
leitung mit Gesetzeskraft erlassenen Verfügungen werden
wir für Sachsen durch Vorschriften ergänzen, denen gleich-
falls Gesetzeskraft zukommt.
Die Arbeiter= und Soldatenräte, die Träger der revolu-
tionären Bewegung, haben die Aufgabe, die sozialistische
Volksregierung zu schützen und zu kontrollieren. Ihre Zu-
ständigkeit in den einzelnen Orten wird ein unverzüglich zu-
sammentretender Landesrat der Arbeiter und Soldaten um-
grenzen. Mit Beendigung der Demobilmachung und mit
Friedensschluß soll an Stelle des stehenden Heeres die
Volkswehr treten.
Die öffentliche Ordnung und Sicherheit wird gewähr-
leistet. Die Beschränkungen im Vereins-und Versammlungs-=
recht sind gefallen. Die Pressefreiheit ist von vollem Um-
fange gesichert. Die Gesindeordnung ist aufgehoben; an
ihrer Stelle gelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Ge-
setzouches über den Dienstvertrag.
Die Arbeiterschutzbestimmungen für gewerbliche Arbeiter
und Arbeiterinnen, die bei Beginn des Krieges aufgehoben
wurden, sind wieder in Kraft gesetzt. Der achtstündige
Marimalarbeitstag soll am 1. Dezember dieses Jahres in
Kraft treten. Unternehmer, die dieser Vorschrift nicht Folge
leisten, haben strenge Bestrafung zu gewärtigen. Um die
Arbeitsgelegenheit zu steigern, läßt die Regierung in den
einzelnen Verwaltungszweigen feststellen, welche Arbeiten
unmittelbar in Angriff genommen werden können. Sie ist.
bemüht, Rohstoffe für die Aufnahme der Arbeit freizu-
machen.
Die Sicherstellung der Volksernährung ist in unserem
Lande besonders schtvierig. Die Regierung wird die Inter-
essen Sachsens an Reichsstelle mit größtem Nachdruck ver-
treten. Sie wird mit den schärfsten Mitteln gegen unbe-
rechtigte Zurückhaltung von Lebensmitteln, gegen Wucher
und gewerbsmäßigen Schleichhandel einschreiten. Die Woh-
nungsnot soll durch Bereitstellung von Wohnungen und
durch schleunigen Bau neuer Wohnungen bekämpft werden.
Die Trennung der Kirche vom Staat ist durchzuführen. Den
Religionsgemeinschaften wird volle Freiheit gewährt. Die
Schule ist von politischer und birchlicher Bevormundung zu
befreien. Die Volkoschule ist unter fachmänniseher Aufsicht
zur Einheitsschule auszugestalten. Bildungs= und Kunst-
institute sollen gefördert werden. Krongut ist für staatliche
Zwecke, insbesondere für Volksbildung und Volksgesund-
heitswesen, zur Verfügung zu stellen. Die Verkehrsmittel,
insbesondere die Eisenbahnen, sollen mit möglichster Beschleu-
nigung ausgebaut und weiter ausgedehnt werden. Die Land-
wirtschaft bzw. die Produktion bedarf der sorgsamsten Pflege
zur Uberwindung der ihr zugefügten Kriegssehäden. Die
Rechtspflege ist zu modernisieren und zu demobratisieren.
Es wird alsbald eine weitgehende Amnestie erfolgen, vor-
nehmlich für Personen, die aus Notlage sich gegen Gesetze
oder Kriegsverordnungen vergangen haben. Zur Deckung
der Ausgaben sind die großen Vermögen und Einkommen,