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Neben dieser Tätigkeit des Landesrats, deren letztes Er-
gebnis die Wahl eines Zentralrats war, ist das Verhalten
der größeren Arbeiter= und Soldatenräte im Lande von
wichtiger Bedeutung. Der Vereinigte revolutio-
näre Arbeiter= und Soldatenrat Groß-Dres-
den hatte kurz nach der Regierungsbildung Mitte Novem-
ber die ersten Stürme zu bestehen. Am 17. November
traten die Kommunisten geschlossen aus (Staatszeitung
260)0. Da der Dresdener Rat sich nicht als endgültig be-
trachtete, waren neue Wahlen ausgeschrieben worden. Die
Wahlen liefen für die Mehrheitssozialisten sehr günstig
aus, indem sie 117 866 Stimmen (47 Vertreter) erhiel-
ten, während die Unabhängigen sich mit 8440 Stimmen
(3 Vertreter) begnügen mußten. Damit war der Dresdener
Nat sehr einheitlich zusammengesetzt (Staatszeitung 275).
Die Unabhängigen protestierten zwar in der ersten Sißtzung
gegen die Rechtsgültigkeit der Wahlen, bonnten aber nichts
ausrichten. Unter den wichtigeren Beschlüssen ragt die An-
nahme eines Antrags hervor, bei der sächsischen Regierung
dahinzuwirken, daß die Nationalversammlung sobald als
möglich zustande käme (Staatszeitung 277). Die Arbeiten
des Dresdener Nats bewegten sich in sehr geschickten Bahnen.
Man gab sich Mühe, die Schwierigkeiten des Ernährungs-
und Wohnungswesen zu beheben, man wollte für die heim-
kehrenden Krieger sorgen. Vor allen Dingen wollte man
ernstlich Ordnung schaffen (Staatszeitung 279). Gerade
auf sozialem Gebiete kam es zu ganz wichtigen An-
regungen. Zur Förderung des Kleinwohnungsbaus sollten
allgemeine Maßnahmen von seiten eines Landeswohnungs-
amts vorgenommen werden. Auch zielte man auf eine ein-
heitliche Lösung der Bekleidungsfrage hin (Staatszeitung
294). In Hinsicht auf die Seuchengefahr wurden sanitäre
Maßnahmen getroffen. In bezug auf die sogenannten revo-
lutionären Errungenschaften war man nicht besonders ängst-
lich. Diese Sorglosigkeit wurde vielfach von den Unabhängi-
gen zu scharfen Angriffen benutzt. Allerdings war man
sich in der Frage der Hinzuziehung des Bürgertums zu den
öffentlichen DOingen durchweg einig, indem die Mitarbeit
des Bürgertums glatt abgelehnt wurde. Andererseits konnte
man sich nicht der Notwendigkeit verschließen, für das Zu-
standekommen der deutschen Nationalversammlung einzu-
treten (Staatszeitung 300). Schließlich ging man dazu
über, sich über reine Arbeiterfragen schlüssig zu werden,
wohl nicht letzten Endes darum, weil die Arbeiterschaft
schon etwas ungeduldig war. Besonders standen die Lohn-
fragen und die Angelegenheiten des Arbeiterrechts im Vor-
dergrund des Interesses. Daneben spielte die Stellung zu
den Arbeiten des Landesrats und auch des Reichsrats öfters
eine große Rolle (Staatszeitung *1). Auch in ziemlich ab-
gelegene Gebiete wagte man sich. So beschäftigte eines
Tages die Frage der Neugestaltung Deutschlands (Bundes-
staat oder Einheitsstaat) und die großsächsische Frage den
Arbeiterrat Groß-Dreödens (Staatozeitung 5), beides wohl
in Anlehnung an die Verhandlungen des Landesrats.
Während der Dresdener Nat ziemlich viel positive Arbeit
leistete, war der Leipziger Arbeiter= und Soldaten-
rat, in dem jederzeit die Unabhängigen die geschlossene
Mehrheit hatten, geradezu ängstlich bemüht, die Errungen-
schaften der Nevolution zu wahren und auszubauen. Es
geschah dies mit großer Gewalt und zum Teil in offener
Opposition gegen Landes= und Reichsgesetze. Ofters kamen
Übergriffe im Verwaltungsbereich städtischer und staatlicher
Behörden vor, so daß sich die Regierung gezwungen sah,
energisch Verwahrung einzulegen (Staatszeitung 286, 302).
Insbesondere tat die Leipziger Volkszeitung das ihre, die
Bevölkerung fortgesetzt in Atem zu halten. Freilich gab es
auch besonnenere Elemente, die aber von den Radikalen
bald abgeschüttelt wurden. — Die übrigen örtlichen Räte
traten nur dann etwas aus ihrer Tätigkeit hervor, wenn
es galt zu Fragen Stellung zu nehmen, die über den Nah-
men der engen Ortlichkeit hinausgingen.
Mehrfach ist bei der bisherigen Darstellung das Ver-
halten der Parteien gestreift worden. Die bürger-
lichen Parteien standen vor einer vollkommenen Neuorien-
tierung, die sich erst bei der Vorbereitung der Wahlen zur Na-
tionalversammlung und zur Volkokammer zeigte. Oie drei
sozialistischen Parteien lagen fortwährend im Kampfe. Den
Kommunisten und Unabhängigen war das Tempo der Um-
wälzung viel zu gemäßigt. Da sie auf geordnetem Wege
sich nicht durchsetzen konnten, versuchten sie es mit Ob-
struktion, ja sogar mit Illoyalität gegen die Ministerkol-
legen (vergleiche die Sitzung des Landesrats am 27. De-
zeinber). Die Masse ging noch gewalttätiger vor und er-
regte Unruhen und Aufstände, die nicht unblutig waren.
So kam es gelegentlich des Einzugs der Chemnitzer Ulanen
zu einer Schießerei (Staatszeitung 286, 287), ebenso in
Leipzig, als Truppen nach Berlin durch Leutzsch fuhren
(Staatszeitung 7). Die Leipziger Volksmenge ließ sich
auch des öfteren Ubergriffe gegen die bürgerlichen Blätter,
namentlich gegen die Leipziger Neuesten Nachrichten, zu
schulden kommen. Die Übergriffe gegenüber der Universität
steigerten sich oft zu groben Ungehörigkeiten. Auch war
Leipzig die erste Stadt, in der die Streiks einsetzten.
Während aber hier infolge des Übergewichts der Unab-
hängigen alle Übergriffe ohne jeden Einspruch von der
Bürgerschaft hingenommen wurden, waren in Dresden,
am Sitze der Regierung, die Putsche schon gefährlicher. Na-
mentlich waren es dort die von Nühle aufgepeitschten Kom-
munisten, die fortgesetzt Krawalle hervorriefen. Mitte De-
zember zogen die Kommunisten im Anschluß an Versamm-
lungen mehrere Tage in gewalttätiger Weise durch die
Stadt. Am ersten Tage zog man von Behörde zu Behörde
und lärmte (Staatszeitung 291), während am zweiten Tage
man es auf Requirierung von Lebensmitteln abgesehen
hatte (Staatszeitung 292). Leider fielen bei diesen Putschen
auch Menschenleben zum Opfer. Die Hauptführer konnten
festgenommen werden. Wie sich nachträglich herausstellte,
waren den Führern nur halbwüchsige Burschen und Mädchen
nachgelaufen. — Ernster waren die Ausschreitungen in der
ersten Hälfte des Januar. Den Kommunisten war es ge-
lungen, die Arbeitslosen ziemlich geschlossen an ihren Wagen
zu spannen. Offenbar hatte der Berliner Aufruhr den
Hauptanlaß gegeben. Im kommunistischen Roten Soldaten-
bund hatte Rühle zu einem Demonstrationszuge aufgefor-
dert. Man wollte das Redaktionsgebäude der Dresdener
Volkozeitung stürmen. Es kam zu einer Schießerei, die
ziemlich blutig auslief. Rühle wurde nach diesem Yutsch
verhaftet, und der Arbeiter= und Soldatenrat Groß-Dresden
verbot kommunistische Versammlungen (Staatszeitung 8).
Zweifellos ebenfalls im Zusammenhang mit den Berliner
Ereignissen standen die blutigen Kämpfe zwischen Kom-
munisten und Truppen in Zwickau in den folgenden Tagen.
Auch hier kam es zur Unterdrückung des Aufruhrs und zur
Inhaftierung der Rädelsführer (Staatszeitung 70, 10).
Den Anlaß zum Konflikt gab immer außer dem für die
Unabhängigen zu langsamen Tempo revolutionärer Ent-
wicklung die Frage der Nationalversammlung, die
alle Gemüter beherrschte (vergleiche die Sitzungen des Lan-
desrats). Die Radikalen lehnten überhaupt eine National-
versammlung ab, eine mittlere Gruppe wollte erst dann
eine solche, wenn in ganz Deutschland die wirtschaftliche
Gleichstellung aller Volksgenossen erreicht sei. Die gemäßig-
ten Sozialisten und vor allem das gesamte Bürgertum
rief immer lauter nach rechtlichen Zuständen, die einzig
und allein von der Nationalversammlung geschaffen wer-
den bonnten. Von Reichs wegen war man der Ansicht, die
Wahlen i#m Januar stattfinden zu lassen. Das Reichswahl-
gesetz war am 30. November lols erlassen worden (Reichs-