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partei, die wohl fast überall im Lande Anhänger fand,
aber nur im Dresdener Wahlkreis mit Kandidaten auf-
wartete. Dort waren die Aussichten nicht ungünstig, da
Dr. Heinze, der spätere Vorsitzende der Partei, eine große
persönliche Anhängerschaft besaß. Die ehemaligen Konser-
vativen hatten sich zur Deutsch-nationalen Volks-
partei vereinigt. Ihre Anhängerschar war naturgemäß
auf dem Lande größer als in den Industriezentren. Die
beiden rechtsstehenden Parteien und ebenso die Christlich-
demokratische Partei waren bestrebt ihr Parteiprogramm
möglichst auf die neue Zeit zu orientieren. Insofern waren
alle bürgerlichen Parteien von ihren alten Grundsätzen etwas
abgewichen.
Die Festigung des Parteiwesens in Sachsen war ohne-
hin notwendig geworden, da auch der Ruf nach Ein-
berufung einer Volkskammer lebendig geworden
war. Am nachdrücklichsten forderte zuerst der sozial-
demokratische Bezirkstag in Dresden am 1o. Dezember
die Berufung einer Volksvertretung. Man wollte die Wahl
zur Volkskammer gleichzeitig mit der zur Nationalversamm-
lung stattfinden lassen (Staatszeitung 287). Die Forde-
rungen wurden deutlicher, als auch der Groß-Oresdener
Arbeiter= und Soldatenrat einen Antrag annahm, an die
Volksbeauftragten ein Gesuch zu richten, auf der Grund-
lage der Wahlen für die deutsche Nationalversammlung
eine sächsische Nationalversammlung einzuberufen (Staats-
zeitung 288). Im gleichen Sinn sprach sich die am 17. De-
zember stattgefundene außerordentliche Landeskonferenz der
sächsischen Sozlaldemokratie aus (Staatszeitung 294). Das-
selbe Thema beschäftigte auch des öfteren noch die Sitzungen
der Arbeiter= und Soldatenräte Sachsens, die fast alle mit
Ausnahme des Leipziger Nats, eine einheitliche Stellung
einnahmen. Dem Drängen der Bevölkerung gab nunmehr
auch das Gesamtministerium statt, indemes am 27. Dezember
lols die Verordnung über die Wahlen zur Volkskammer
der Republik Sachsen (Landeswahlgesetz) erließ (Gesetz-
und Verordnungsblatt 1918, Seite 408 ff.):
1. Als vorläufige Vertretung des gesamten Volkes
der Republik Sachsen wird eine Volkskammer gebildet, die
aus 96 Abgeordneten besteht.
& 2. 1. Die Mitglieder der Volkskammer werden in all-
gemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach den
Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.
2. Jeder Wähler hat eine Stimme.
& 3. 1. Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und
Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben
und in Sachsen wohnen; Personen des Soldatenstandes sind
berechtigt, an der Wahl teilzunehmen.
2. Der Wohnsitz in Sachsen ist nicht Voraussetzung für
die Wahlberechtigung sächsischer Staatsbeamter und staat-
licher Arbeiter, die außerhalb Sachsens ihren dienstlichen
Wohnsitz haben, sowie ihrer Angehörigen, die mit ihnen in
Familiengemeinschaft leben.
64. Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,
1. wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormund-
schaft steht;
2. wer infolge eines rechtskräftigen Urteils der bür-
gerlichen Ehrenrechte ermangelt.
5. Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die seit min-
destens einem Jahre Deutsche sind.
66. 1. Das Staatsgebiet wird in drei Wahlkreise ge-
teilt, die mit dem 28., 29. und 30. Wahlkreis nach der An-
lage zum Reichswahlgesetz vom 30. November 10918 über-
einstimmen.
2. Gewählt werden:
im 1. (28.) Wahlkreis (Dresden) 35 Abgeordnete,
im 2. (20.) Wahlkreis (Leipzig) 24 Abgeordnete,
im 3. (30.) Wahlkreis (Chemnitz) 37 Abgeordnete.
§ 7. Auf das Wahlverfahren finden im übrigen — soweit
sich nicht aus dieser Verordnung Abweichungen ergeben —
die Vorschriften des Reichswahlgesetzes vom 30. November
loys, der Wahlordnung vom gleichen Tage in der Fassung
der Verordnung des Staatssekretärs des Innern vom
10. Dezember 1918 (Reichsgesetzblatt, S. 1442) sowie der
Ministerialverorndung Nr. 318 I L, vom 7. Dezember 1918
(Gesetz= und Verordnungsblatt S. 388) entsprechende An-
wendung.
G8. 1. Die durch die Ministerialverordnung vom 7. De-
zember 19183 unter I ernannten Wahlkommissare werden als
solche auch für die Wahlen zur Volkskammer ernannt.
2. Die Stimmbezirke, die Wahlräume, die Wahlvorsteher
und ihre Stellvertreter sind dieselben wie bei den Wahlen
zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, so-
weit nicht nach dem Ermessen der nach der Ministerial-
verordnung vom 7. Dezember 1918 unter II,1 zuständigen
Behörden eine Anderung geboten erscheint.
6 #. 1. Die Bestimmung derjenigen Gemeinden, in deren
Wählerlisten die in § 3 Abs. 2 erwähnten Personen aufzu-
nehmen sind, erfolgt durch das Ministerium des Innern.
2. Die Wählerlisten werden nur in einem Stück aufgestellt.
Werden Durchschläge oder Abschriften der für die Wahlen
zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung an-
gelegten Wählerlisten benützt, so müssen sie entsprechend den
inzwischen eingetretenen Veränderungen berichtigt oder er-
gänzt werden.
§ 10. 1. Die Wählerlisten werden vom 14. bis 21. Ja-
nuar lolg zu jedermanns Einsicht ausgelegt. Ort und
Zeit werden vorher unter Hinweis auf die Einspruchsfrist
öffentlich bekanntgegeben.
2. Uber die nachträgliche Aufnahme von Angehörigen des
Heeres und der Marine, die nach Ablauf der Auslegungsfrist
aus dem Felde heimkehren, ergeht eine besondere Verordnung.
3. Die Wählerliste ist dem Wahlvorsteher zur Benutzung
bei der Wahl zu übersenden.
& 111. 1. Die Bekanntmachung des Wahlkommissars nach
5 12 Abs. 1 der Wahlordnung ist spätestens am 4. Januar
16½ 3½ erlassen.
Die Wahlvorschläge sind spätestens am 14. Januar
1 beim Wahlkommissar einzureichen.
3. Sind von den zuständigen Behörden keine Abände-
rungen gemäß § 8 Abs. 2 vorgenommen worden, so kann
bei den nach §9 3o der Wahlordnung vorgeschriebenen Ver-
öffentlichungen auf die früheren Bekanntmachungen Bezug
genommen werden.
4. Im Wahlraum ist außer den in 9 33 Abs. 4 der Wahl-
ordnung erwähnten Druckstücken ein Abzug dieser Verord-
nung auszuhängen.
* 12. Die Wahlen zur Volkskammer der Republik
Sachsen finden Sonntag, den 2. Februar 1910 statt.
& 13. 1. Die Volkskammer wird von den Volksbeauf-
tragten der Republik Sachsen einberufen. Sie gibt sich ihre
Geschäftsordnung selbst und regelt das Wahlprüfungsver-
fahren. Sie beschließt über Bestätigung oder Neubildung
des Gesamtministeriums und bestimmt im Einvernehmen
mit diesem ihre weitere Zuständigkeit und die Dauer ihrer
Wirksamkeit.
2. Spätestens mit Ablauf des zweiten Jahres nach dem
Zusammentritt der Volkskammer finden Neuwahlen statt.
4. Diese Verordnung hat Gesetzeskraft und tritt so-
fort in Wirksamkeit.
Dresden, den 27. Dezember 1918.
Gesamtministerium.
Buck, Fleißner, Geyer, Dr. Gradnauer,
Lipinski, Schwarz.