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§5. Entscheidet die Volksabstimmung gegen das Gesamt-
ministerium, so hat dieses zurückzutreten.
& 17. Das Gesamtministerium hat die von der Volks-
kammer oder durch Volksabstimmung beschlossenen Gesetze
auchufertigen und binnen einem Monat im Gesetz= und
Verordnungoblatt zu verkünden.
§ 18. 1. Die zuständigen Minister führen die Gesehe und
Beschlüsse der Volkskammer aus.
2. Sie erlassen die Ausführungsverordnungen und die
Verordnungen, zu deren Erlaß sie besonders ermächtigt sind.
3. Soweit nicht die Zuständigkeit einzelner Minister ge-
geben ist, ist das Gesamtministerium zuständig.
§ 109. Die Diensistellung der Minister, insbesondere ihre
Bezüge, werden durch besonderes Gesetz geregelt.
§ 20. Uber die Rechte und Pflichten der Arbeiter= und
Soldatenräte ist ein besonderes Gesetz zu erlassen.
& 21. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Annahme
durch die Volkskammer in Kraft.
Dresden, den 28. Februar 1919.
Der Präsident der Volbskammer.
Fräßdorf.
Die programmatische Erklärung wurde gemäß Beschluß
gesondert erlassen und damit die Richtung der sächsischen
Politik für die Zukunft festgelegt (Gesetz= und Verordnungs-
blatt 1919, Seite 41):
Die Volkskammer hat bei der Verabschiedung des vor-
läufigen Grundgesetzes für den Freistaat Sachsen folgen-
den Beschluß gefaßt, der hiermit bekannt gemacht wird.
Die Volkskammer erklärt, daß die Politik Sachsens nach
folgenden Grundsätzen zu führen ist:
Sachsen ist ein demokratisch-sozialistischer Freistaat im
Nahmen des Deutschen Reiches. Die Sozialisierung der
Wirtschaft ist nach dem Stande der Entwicklung herbei-
zuführen. Die dazu reifen Wirtschaftsgebiete und die
Schätze des Bodens sind in gesellschaftliches Eigentum
überzuführen und unter staatliche Aufsicht zu stellen.
Auch bierbei ist der Zusammenhang Sachsens mit dem
Reiche zu beachten und zu wahren. Die Produktion ist
planmäßig nach sozialistischen Grundsätzen zu gestalten,
die Verteilung der Verbrauchsgüter dementsprechend zu
regeln.
Dresden, den 28. Februar 1919.
Der Präsident der Volkskammer.
Fräßdorf.
Nachdem das Grundgesetz verabschiedet war, legten die
Volksbeauftragten ihre Amter nieder. Auf Beschluß der
Kammer wurden sie aber gebeten, die Geschäfte vorläufig
weiterzuführen (Verhandlungen der Sächsischen Volbskam-
mer, Seite 63).
Zwei Fragen beschäftigte die sächsische Regierung in diesen
Tagen ganz besonders. Die „Großsächsische Frage“,
die Vereinigung sächsischer Gebiete mit thüringischen, war
in der Presse viel besprochen worden, weil sich Dr. Grad-
nauer einem Pressevertreter über seine Ansicht in diesem
Punkte geäußert hatte. Die Regierung wollte jede Propa-
ganda in dieser Hinsicht von sich weisen und erließ folgende
Erklärung (Staatszeitung 20);
In der letzten Woche ist in der Presse wiederholt die
Frage erörtert worden, ob Sachsen durch Zusammenschluß
mit anderen Gebietsteilen des Deutschen Reiches sich an der
Bildung eines größeren Freistaates beteiligen solle. Diese
Betrachtungen und die Wiedergabe eines Gespräches, das
der Vertreter einer großen Zeitung mit dem Volbsbeauf-
tragten für das Ministerium des Innern über diesen Ge-
genstand hatte, haben leider zu der Vermutung Anlaß gegeben,
als verfolge man in Sachsen eine Einverleibungspolitik.
Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß auch die jetzige
sächsische Regierung nicht im entferntesten daran denkt, sich
in die inneren Verhältnisse Preußens oder eines anderen
benachbarten Staates irgendwie einzumischen. Daß die Mög-
lichkeit, zur Neubildung von größeren Freistaaten zu ge-
langen, in Deutschland zurzeit allgemein erörtert wird, ist
bekannt und hat seinen unmittelbaren Anlaß in der Denk-
schrift des Staatssekretärs des Innern zur Verfassungsfrage,
die diesen Punkt zur öffentlichen Diskussion stellt. Selbst-
verständlich prüft man auch in Sachsen, wie man sich sol-
chen Möglichkeiten gegenüber zu verhalten hätte, und unter-
sucht die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die über die
sächsischen Grenzen hinüberreichen. Man ist aber an allen
verantwortlichen Stellen dessen vollauf bewußt, daß nur,
wenn sich die Wünsche überwiegender Mehrheiten des Volkes
von beiden Seiten begegnen, solche Neubildungen überhaupt
in Betracht kommen, und zivar niemals als einseitiger An-
schluß, sondern als freier Zusammenschluß. Daß das Reichs-
amt des Innern die Frage in Fluß gebracht hat, beweist
doch wohl zur Genüge, daß die Staatshoheit und das Selbst-
bestimmungsrecht der Einzelstaaten hierdurch nicht berührt
werden, und es sollte kaum der Erklärung bedürfen, daß
die Bundesstaaten solche Fragen nur im beiderseitigen Ein-
vernehmen lösen werden.
Die zweite Frage, die Wendenfrage, war von größerer
Bedeutung und spielte wegen ihres Zusammenhangs mit
der Tschechenfrage auch eine große Rolle in der deutschen
Politik. Schon am 27. Dezember war auf dem Landesrat
der Arbeiter= und Soldatenräte die Frage gestreift wor-
den. Waren bis dahin die Bestrebungen der Wenden
im geheimen behandelt worden, so mußte die Frage
sofort das volle öffentliche Interesse beanspruchen, als in
der „Serbske Noviny“ in einer Problamation an die Lau-
sitzer Wenden offiziell bekanntgegeben wurde, daß auf
Grund der Wilsonschen Friedensgrundsätze das Wenden-
volk in einem selbständigen Wendenstaat gemäß des Selbst-
bestimmungsrechts der Völker seine Geschicke selbst in die
Hand nehmen und auf der Friedenskonferenz eine eigene
Verwaltung fordern würde. Unterschrieben war die Pro-
blamation von Barth, Deutschmann, Dobrucky und Bryl.
Gegen diese Bestrebungen legte der Stadtrat von Bautzen
schärfste Verwahrung ein. Osutlich genug wurde die Ab-
lehnung ausgesprochen (Deutscher Geschichtskalender, Die
deutsche Nevolution, Seite 440):
Wir haben die Wenden stets als unsere lieben und sehr
werten Mitbrüder behandelt und gehalten und denken nicht
entfernt daran, sie in ihrer nationalen Eigenart unterdrücken
zu wollen. Die Bestrebungen nach Schaffung eines Frei-
staates beruhen zum Teil auf sehr selbstsüchtigen Hoff-
nungen, die unserer festen Uberzeugung nach sich als trüge-
risch herausstellen werden. Wir müssen fordern, daß die
Wenden auf ihre staatlichen Sonderbestrebungen verzichten,
treu zur deutschen Sache halten und sich im Gefüge des
sächsischen Staatswesens ihre Zukunft zu bauen und zu ge-
stalten suchen. Wir werden ihnen von Herzen dazu die Bru-
derhand auch weiter reichen.
Die Wenden waren aber nicht gewillt, sich auf Vermitt-
lungsversuche deutscher Behörden einzulassen und wandten
sich sehr scharf dagegen (Deutscher Geschichtskalender, Die
deutsche Revolution, Seite 440 f.):
Wir Wenden befinden uns mit unseren Bestrebungen
auf legalem Wege. Die Wilsonschen Punkte sprechen keines-
wegs von irgendeiner Zahlengrenze, auch nicht von Verhält-
nissen, in denen das Selbstbestimmungsrecht nicht durch-
geführt sei. Solange daher die deutsche Regierung sich an
diesen Punkt hält, fühlen wir in uns die sittliche Pflicht,
die Verwirklichung der Wilsonschen Punkte auch für uns
zu verlangen. Wir streben eine vollständige Umgestaltung