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freiwillige mobile Verbände schaffen, die unseren sächsischen
Grund und Boden unter allen Umständen gegen jeden Frind
sichern zu können. Doch soll nur das aufgestellt werden,
was unbedingt notwendig ist. Das Notwendige aber muß
sofort geschehen! Die neuen Freiwilligenverbände sind zu
schnellent tatkräftigen Handeln berufen, falls ein Feind
wagen sollte, das sächsische Vaterland zu gefährden. Nur
wer den Willen zur strengsten Unterordnung, und wer sich
im Kriege einwandfrei geführt hat, soll sich zum Eintritt
melden. Die Gebührnisse sind ausreichend. Bei freier Un-
terbringung und freier Verpflegung werden mobile Gebühr-
nisse und eine tägliche Zulage von fünf Mark gewährt. Die
Bestimmungen des Mannschafts-Versorgungegesetzes und
des Militär-Hinterbliebenengesetzes finden Anwendung. Den
Unteroffizieren wird in den Freiwilligenabteilungen die Mög-
lichkeit gegeben werden, sich für die Offizierslaufbahn vor-
zubilden und Offizier zu werden, da künftig die Offiziers=
laufbahn jedem Soldaten zugänglich sein wird, der sich für
sie eignet. Es ist Vorsorge getroffen, daß der republikanische
Geist erhalten und die Errungenschaften der Revolution ge-
sichert bleiben. Die Bildung der neuen Grenzschutzabtei-
lungen ist dem Ministerium für Militärwesen übertragen,
das alle näheren Bestimmungen bekanntgeben wird. Sachsen!
Herbei zum Schutze Eurer Familien, Eurer Eltern, von Hauo
und von Herd! Helft mit an der Sicherung Eurer Heimat
und am Bau einer guten sächsischen Zukunft!
Das Ministerium für Militärwesen erliesi dazu folgende
Ausführungsbestimmungen:
1. Für die aufzustellenden Grenzschutzabteilungen werden
gebraucht Hauptleute, Leutnants und Feldwebelleutnants.
aller Waffen, Sanitäts= und Veterinäroffiziere, Beamte der
Militärverwaltung, Unteroffiziere und Mannschaften aller
Waffen einschließlich Sanitätspersonal. — 2. Die Annahme
der Freiwilligen, ihre Einstellung, Einkleidung, Ausrüstung
und Bewaffnung erfolgt bei den Grenzschutzabteilungen in
Königswartha bzw. Weissenberg. Die Meldung daselbst hat
persönlich oder schriftlich zu erfolgen. Für die schriftliche
Ammeldung sind Anmeldungsformulare bei allen Orts-
behörden zu haben, die ausgefüllt an die genannten Grenz=
schutzabteilungen zu senden sind. Persönlich sich Meldende
werden bei Brauchbarkeit sofort eingestellt und erhalten
ihre Reisekosten vergütet. Anmeldungen von Offizieren,
Sanitäts= und Veterinär-Offizieren und Beamten sind un-
mittelbar und auf dem Dienstwege unter der Aufschrift
„Meldung für Grenzschutzabteilungen“ an die Abteilung IV.
des Ministeriums für Militärwesen zu richten. — 3. Als
Freitillige werden nur vollkommen felddienstfähige, aus-
gebildete, moralisch einwandfreie Persönlichkeiten eingestellt.
Die Mannschaften müssen eine mindestens einhalbjährige
Frontdienstzeit hinter sich haben. — 4. Die Annahme er-
folgt unter nachstehenden Bedingungen: a) Verpflichtung
auf die Regierung der Republik Sachsen. b) Unterordnung
unter die eingesetzten Führer, denen Soldaten-(Vertrauens)=
räte zur Seite stehen. c) Verpflichtung auf einen Monat
vom Tage des Eintreffens beim Truppenteil mit 14 tägiger
Kündigungofrist am 1. und 15. des Monats. Wird die
Kündigung zu dieser Frist von einer der beiden Seiten nicht
ausgesprochen, so gilt der Vertrag um einen Monat verlängert.
Die Entlassung eines Freiwilligen kann nur von dem Truppen-
teil auögesprochen werden, bei dem er Dienst tut. Bei groben
Vergehen des Freiwilligen oder völliger Ungeeignetheit für
die Zwecke der Grenzschutzabteilung ist der Truppenteil be-
rechtigt, den Freiwilligen sofort zu entlassen. — F. Ge-
bührnisse: A. Offiziere und Beamte a) mobile Gebührnisse
mit freier Verpflegung und Unterkunft, b) soweit sie als
Offiziere nach Maßgabe ihrer Kriegsstelle, als Beamte nach
Maßgabe ihrer Friedensstelle, auf Wohnungsgeldzuschuß
Tarifklasse 3—6 angewiesen wären, eine Zulage von fünf
Mark täglich. B. Unteroffiziere und Mannschaften mobile
Löhnung nach den Dienstgraden mindestens 30 Mark mo-
natlich und eine tägliche Zulage von fünf Mark. Verpfle-
gung und Unterkunft sind frei. Stäbe und Truppen er-
halten Feldportionen aus Truppenküchen nach den Sätzen
der Feld-Verpflegungsvorschrift. — 6. Versorgung: a) Die
Freiwilligen gelten als vorübergehend zum aktiven Militär-
dienst herangezogen im Sinne der Militärversorgungsgesetze.
b) Die Ansprüche auf Familienunterstützung laufen weiter
und werden neu begründet. c) Die Freiwilligen-Dienstzeit
rechnet für Invaliden= und Altersversicherung wie Dienst
im aktiven Heer. — 7. o0 %½% aller Kompagnie-Offizierstellen
können mit älteren im Kriege bewährten Unteroffizieren be-
setzt werden. — 8. Alle Angehörigen der Grenzschutzabtei-
lungen tragen auf dem linken Unterarm der Bluse und des
Mantels (Unteroffiziere und Offiziere oberhalb der Grad-
abzeichen) ein aufgenähtes Jagdhorn aus rotem Tuch.
Neben den erstehenden Formationen des Grenzschutzes
blieben in den größeren Orten Sicherheitstruppen,
die von der Seite des Ministers für Militärwesen auf die
neue Eidesformel verpflichtet wurden (Staatszeitung 41):
Ich schwöre, nach reiflicher Uberlegung, daß ich während
meiner Zugehörigkeit zur Sicherheitstruppe der gegenwär-
tigen und jeder durch die Volkskammer des Freistaats
Sachsen bestätigten Regierung unbedingten Gehorsam
leisten, Ruhe und Ordnung in ihrem Dienste aufrechterhal-
ten, Untreue und Nachteil von ihr abwenden, sowie alle
im Dienstvertrage eingegangenen Verpflichtungen gewissen-
haft erfüllen will.
Der Widerstand gegen die Elemente des alten Heeres, ins-
besondere gegen die Offiziere, war groß. Die Organi-
sation des „Sächsischen Offizierbundes“ hatte offen be-
rechtigte Forderungen vertreten und war von der Reichs-
regierung durch Maßnahmen zugunsten der Offiziere
unterstützt worden. An manchen Orten, so in Chemnitz
und Leipzig, wurden Offiziere kurzerhand abgesetzt, und
nach dem Attentat auf Eioner nahm der Haß gegen die
Offiziere allenthalben wieder einen Aufschwung. Aber auch.
geheime Organisationen, wie die des „Roten Soldatenbun-
des“, trieben in Sachsen ihr Unwesen. Mit Waffen aus
den alten Heeresbeständen traten diese lichtscheuen Scharen
bei Streiks und Unruhen ans Tageslicht und reizten die
Menge durch Flugblätter auf. —
In dieser Zeit konstituierten sich auch die gemäß des
neuen Wahlgesetzes zusammengerufenen Gemeindever-
tretungen. Sie bebamen teilweise ein völlig veränder-
tes Bild, namentlich dort, wo nach dem Parteistandpunkte
gewählt wurde. Uberall da, wo berufliche Interessen im
Vordergrund der Wahl standen, unterschieden sich die Ge-
meindeparlamente nicht viel von den alten. In den Groß-
städten gewannen durchweg die sozialistischen Parteien die
Oberhand und stellten das Präsidium, in Dresden und
Chemnitz die sozialdemokratische, in Leipzig die unab-
hängig-sozialdemokratische Partei. Naturgemäß traten nun
die örtlichen Arbeiter= und Soldatenräte mehr in den Hin-
tergrund, obwohl sie nach wie vor betonten, daß sie die
Kontrolle über die Behörden rechtlich inmehielten.
Während der aufgeregten Zeit des Wahlkampfs lag das
geistige Leben eigentlich vollständig darnieder. Wohl
brachten die Bühnen neue, früher verbotene Stücke, wurden
weiter Konzerte gegeben, alles dies unter besondern Schwie-
rigkeiten der Beleuchtung und Beheizung. Das literarische
Leben stellte sich in den Dienst des Wahlkampfs. Immer
noch blühte die Broschürenliteratur. Anders stand es um
die politischen Fragen geistiger Kultur, um die Verände-
rungen in Kirche und Schule. Die Fragen, die im
Vordergrund des Interesses standen, waren: Trennung
von Staat und Kirche, Abschaffung des Reli-
gionsunterrichts, Einheitsschule. Von kirchlicher
Seite her war eine Aufklärungsstelle über die kirchen-