Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

politischen Fragen eingerichtet worden. Man protestierte 
gegen die Trennung und einigte sich auf eine Reso- 
lution, die vom Leipziger Superintendenten Cordes verfaßt 
war, wonach erst dann eine Trennung eintreten sollte, wenn 
das Eigenleben der Kirche garantiert sei (Staatszeitung 
*10). Die Unterschriften für diese Resolution gingen bald 
in die Hunderttausende. Besondere Forderungen erhob das 
Evangelisch-lutherische Landeskonsistorium im Einverständnis 
mit dem Synodalausschuß (Staatszeitung 25): , 
1. Jedem Reichseinwohner wird Gewissensfreiheit ge- 
währleistet. 
2. Den evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche und 
ihren Angehörigen wird die freie und öffentliche Religions- 
übung gewährleistet. 
3. Die evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche und 
ihre Gemeinden genießen die Rechte öffentlich-rechtlicher 
Körperschaften mit dem Rechte der Selbstverwaltung und 
der Besteuerung ihrer Mitglieder. 
4. Die Feier des Sonntags und der christlichen Feier- 
tage, die ungestörte Ausübung des Gottesdiensies und die 
birchlichen Friedhöfe genießen den strafrechtlichen Schutz 
dec Staates. 
§. Den Angehörigen der evangelischen Kirchen wird die 
religiöse Kindererziehung in ihrem Bekenntnisse gewähr- 
leistet. Die theologischen Fakultäten an den Universitäten 
sind zur Ausbildung der evangelischen Geistlichen aufrecht 
zu erhalten. 
6. Alle Stiftungen stehen unter dem besonderen Schutze 
des Staates und das Vermögen wie das Einkommen der- 
selben darf weder zum Staatsvermögen eingezogen noch zu 
anderen, als den stiftungsmäßigen Zwecken verwendet werden. 
7. Die evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche haben 
das Recht der Verbindung untereinander. 
Diese Forderungen sind nach Mitteilungen der sächsischen 
Aufklärungsstelle für die Trennungsfrage der National- 
versammlung und der Abgeordneten und auch des Deutschen 
evangelischen Kirchenausschusses ergangen. « 
Mit all diesen Fragen, besonders auch mit der Abschaf- 
fung des Religionsunterrichts, befaßte sich der am 11. 
und 12. Februar abgehaltene Evangelisch-lutherische Kirchen- 
tag in Dresden (Staatszeitung 37). Gespannt durfte 
man auf die bevorstehende zehnte ordentliche Landessynode 
sein, deren Wahlen auf den 31. März ausgeschrieben wur- 
den. 
In Schulfragen machte sich eine Radikalisierung der 
Lehrerschaft geltend, deren Mitglieder in großen Mengen zu 
den sozialistischen Parteien strömten. Durch das Scheitern 
der früheren Schulgesetzentwürfe waren die Lehrer ver- 
stimmt und ersehnten jetzt ihr Heil bei der neuen Regierung, 
die die Wünsche der Lehrer ziemlich restlos erfüllte. Durch 
einige Verordnungen waren schon die wichtigsten Forderun- 
rungen erreicht (siehe Seite 446 f). Aber immer ungestümer 
wurde der Drang, so daß die Regierung einen neuen Schul- 
gesetzentwurf bearbeiten mußte. — Die Volkshochschul= 
frage wurde allenthalben erörtert. Überall bildeten sich 
mehr oder minder bedeutende Organisationen, und selbst 
an den kleinsten Orten schossen Volkshochschulen ins Krant. 
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Vorbildlich schnell organisiert war die Volkshochschule in 
ChemniRz, die bereits am 0. Februar eröffnet werden konnte 
(Staatszeitung 33). 
Noch war Sachsen bis zur Verabschiedung der Verfassung 
nicht zur Ruhe gekommen. Uberall gärte und brodelte es. 
Nachdem aber der politische Zustand durch das Grundgesetz 
konsolidiert war und durch die programmatische Erklärung 
die Politik Sachsens in ihrer Richtung vorgezeichnet war, 
durfte man hoffen, daß langsam eine Entspannung eintreten 
würde. 
V. Ubersicht über die Tätigkeit der Regierung und 
der Volkskammer seit Erlaß des vorläufigen Grund- 
gesetzes bis September 1910 
Nachdem das Grundgesetz verabschiedet war, galt es vor 
allen Dingen, auf den verschiedenen Gebieten der Ver- 
waltung eine Umstellung vorzunehmen, die der programma- 
tischen Erklärung der Regierung entsprach. Die Volkskam= 
mer mußte gemäß Grundgesetz den Ministerpräsiden= 
ten wählen. Die Wahl fiel auf Dr. Gradnauer mit einer 
geringen Mehrheit, was an sich genügt hätte, ein Miß- 
trauensvotum gegen die alleinig sozialdemokratische Regie- 
rung zu sehen. Gleichwohl konstituierte sich wiederum 
eine solche einseitige Regierung, in der alle früheren Minister 
vertreten waren: Dr. Gradnauer (Ministerpräsident und 
Außeres), Buck (Kultus und öffentlicher Unterricht), Dr. 
Harnisch (Justiz), Heldt (Urbeitsministerium), Neu- 
ring (Militärwesen), Nitzsche (Finanzen), Schwarz 
(Wirtschaftsministerium), Uhlig (Inneres). Bei sparta- 
kistischen Unruhen in Dresden wurde Neuring in schmäh- 
licher Weise ermordet, an seine Stelle trat Kirchhof. 
Mit 1. Oktober war sowieso das Ministerium für Militär- 
wesen erledigt, da die Geschäfte das Reich übernahm. Der 
Widerstand des Parlaments gegen diese einseitige Regie- 
rung war groß. Namentlich von seiten der Deutsch-demo- 
kratischen Partei wurde zuerst schüchtern, dann ganz offen 
vor der Kammer erklärt, daß dieser Zustand nicht so bleiben 
könne. Die Regierung verhandelte daraufhin mit den 
Unabhängigen, die Verhandlungen schlugen fehl, erst dann 
einigte man sich mit den Deutsch-demokraten dahin, daß 
Anfang Oktober Dr. Seyfert das Kultusministerium, 
Nitzschke-Leutzsch das Finanzministerium übernahm. 
Die Arbeit der Regierung und Volkskammer 
nach Erlaß des Grundgesetzes erstreckte sich vor allem auf 
Umstellung der Verwaltung in Staat und Ge- 
meinde, Herstellung von Ruhe und Ordnung, 
Linderung der Notlage, Regelung der Finan- 
zen, des Kohlenbergbaus und Elektrizitäts- 
wesens, des Verkehrswesens, Maßnahmen in 
Kirche und Schule, Abstellung von sonstigen 
Mißständen und Schaffung von wichtigen Neue- 
rungen. Im folgenden sei eine Ubersicht über diese Tätig- 
keit an der Hand einer Tabelle gegeben, aus der auch der 
Gang der Entstehung der Gesetze und Verordnungen zu er- 
sehen ist.
	        
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