politischen Fragen eingerichtet worden. Man protestierte
gegen die Trennung und einigte sich auf eine Reso-
lution, die vom Leipziger Superintendenten Cordes verfaßt
war, wonach erst dann eine Trennung eintreten sollte, wenn
das Eigenleben der Kirche garantiert sei (Staatszeitung
*10). Die Unterschriften für diese Resolution gingen bald
in die Hunderttausende. Besondere Forderungen erhob das
Evangelisch-lutherische Landeskonsistorium im Einverständnis
mit dem Synodalausschuß (Staatszeitung 25): ,
1. Jedem Reichseinwohner wird Gewissensfreiheit ge-
währleistet.
2. Den evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche und
ihren Angehörigen wird die freie und öffentliche Religions-
übung gewährleistet.
3. Die evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche und
ihre Gemeinden genießen die Rechte öffentlich-rechtlicher
Körperschaften mit dem Rechte der Selbstverwaltung und
der Besteuerung ihrer Mitglieder.
4. Die Feier des Sonntags und der christlichen Feier-
tage, die ungestörte Ausübung des Gottesdiensies und die
birchlichen Friedhöfe genießen den strafrechtlichen Schutz
dec Staates.
§. Den Angehörigen der evangelischen Kirchen wird die
religiöse Kindererziehung in ihrem Bekenntnisse gewähr-
leistet. Die theologischen Fakultäten an den Universitäten
sind zur Ausbildung der evangelischen Geistlichen aufrecht
zu erhalten.
6. Alle Stiftungen stehen unter dem besonderen Schutze
des Staates und das Vermögen wie das Einkommen der-
selben darf weder zum Staatsvermögen eingezogen noch zu
anderen, als den stiftungsmäßigen Zwecken verwendet werden.
7. Die evangelischen Kirchen im Deutschen Reiche haben
das Recht der Verbindung untereinander.
Diese Forderungen sind nach Mitteilungen der sächsischen
Aufklärungsstelle für die Trennungsfrage der National-
versammlung und der Abgeordneten und auch des Deutschen
evangelischen Kirchenausschusses ergangen. «
Mit all diesen Fragen, besonders auch mit der Abschaf-
fung des Religionsunterrichts, befaßte sich der am 11.
und 12. Februar abgehaltene Evangelisch-lutherische Kirchen-
tag in Dresden (Staatszeitung 37). Gespannt durfte
man auf die bevorstehende zehnte ordentliche Landessynode
sein, deren Wahlen auf den 31. März ausgeschrieben wur-
den.
In Schulfragen machte sich eine Radikalisierung der
Lehrerschaft geltend, deren Mitglieder in großen Mengen zu
den sozialistischen Parteien strömten. Durch das Scheitern
der früheren Schulgesetzentwürfe waren die Lehrer ver-
stimmt und ersehnten jetzt ihr Heil bei der neuen Regierung,
die die Wünsche der Lehrer ziemlich restlos erfüllte. Durch
einige Verordnungen waren schon die wichtigsten Forderun-
rungen erreicht (siehe Seite 446 f). Aber immer ungestümer
wurde der Drang, so daß die Regierung einen neuen Schul-
gesetzentwurf bearbeiten mußte. — Die Volkshochschul=
frage wurde allenthalben erörtert. Überall bildeten sich
mehr oder minder bedeutende Organisationen, und selbst
an den kleinsten Orten schossen Volkshochschulen ins Krant.
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Vorbildlich schnell organisiert war die Volkshochschule in
ChemniRz, die bereits am 0. Februar eröffnet werden konnte
(Staatszeitung 33).
Noch war Sachsen bis zur Verabschiedung der Verfassung
nicht zur Ruhe gekommen. Uberall gärte und brodelte es.
Nachdem aber der politische Zustand durch das Grundgesetz
konsolidiert war und durch die programmatische Erklärung
die Politik Sachsens in ihrer Richtung vorgezeichnet war,
durfte man hoffen, daß langsam eine Entspannung eintreten
würde.
V. Ubersicht über die Tätigkeit der Regierung und
der Volkskammer seit Erlaß des vorläufigen Grund-
gesetzes bis September 1910
Nachdem das Grundgesetz verabschiedet war, galt es vor
allen Dingen, auf den verschiedenen Gebieten der Ver-
waltung eine Umstellung vorzunehmen, die der programma-
tischen Erklärung der Regierung entsprach. Die Volkskam=
mer mußte gemäß Grundgesetz den Ministerpräsiden=
ten wählen. Die Wahl fiel auf Dr. Gradnauer mit einer
geringen Mehrheit, was an sich genügt hätte, ein Miß-
trauensvotum gegen die alleinig sozialdemokratische Regie-
rung zu sehen. Gleichwohl konstituierte sich wiederum
eine solche einseitige Regierung, in der alle früheren Minister
vertreten waren: Dr. Gradnauer (Ministerpräsident und
Außeres), Buck (Kultus und öffentlicher Unterricht), Dr.
Harnisch (Justiz), Heldt (Urbeitsministerium), Neu-
ring (Militärwesen), Nitzsche (Finanzen), Schwarz
(Wirtschaftsministerium), Uhlig (Inneres). Bei sparta-
kistischen Unruhen in Dresden wurde Neuring in schmäh-
licher Weise ermordet, an seine Stelle trat Kirchhof.
Mit 1. Oktober war sowieso das Ministerium für Militär-
wesen erledigt, da die Geschäfte das Reich übernahm. Der
Widerstand des Parlaments gegen diese einseitige Regie-
rung war groß. Namentlich von seiten der Deutsch-demo-
kratischen Partei wurde zuerst schüchtern, dann ganz offen
vor der Kammer erklärt, daß dieser Zustand nicht so bleiben
könne. Die Regierung verhandelte daraufhin mit den
Unabhängigen, die Verhandlungen schlugen fehl, erst dann
einigte man sich mit den Deutsch-demokraten dahin, daß
Anfang Oktober Dr. Seyfert das Kultusministerium,
Nitzschke-Leutzsch das Finanzministerium übernahm.
Die Arbeit der Regierung und Volkskammer
nach Erlaß des Grundgesetzes erstreckte sich vor allem auf
Umstellung der Verwaltung in Staat und Ge-
meinde, Herstellung von Ruhe und Ordnung,
Linderung der Notlage, Regelung der Finan-
zen, des Kohlenbergbaus und Elektrizitäts-
wesens, des Verkehrswesens, Maßnahmen in
Kirche und Schule, Abstellung von sonstigen
Mißständen und Schaffung von wichtigen Neue-
rungen. Im folgenden sei eine Ubersicht über diese Tätig-
keit an der Hand einer Tabelle gegeben, aus der auch der
Gang der Entstehung der Gesetze und Verordnungen zu er-
sehen ist.